Kommentar EU und Griechenland: Masters of Desaster
Man wird es dieser Tage oft hören: Die europäische „Rettungspolitik“ sei eine Erfolgsgeschichte. Ha. Haha. Hahahaha!
S ie sind so gewiss und erwartbar, dass wir sie uns auch gleich selbst schreiben könnten – die Jubelmeldungen aus den europäischen Technokratenstuben, dass die Krise in Griechenland nun zu Ende sei; dass das Land jetzt wieder an die Finanzmärkte zurückkehre; dass die verordnete Kur ja nun doch Erfolg gehabt hätte, allen Kassandrarufern zum Trotz.
Und gibt es nicht auch sonst genug an Erfolgsmeldungen aus Griechenland? Die Arbeitslosigkeit, ja, sie ist immer noch hoch – aber erstmals seit Jahren unter die 20-Prozent-Marke gefallen. Die Erwerbsquote steigt wieder langsam.
Aber warten wir ab, ob sich das geschundene Land tatsächlich zu akzeptablen Bedingungen auf den Finanzmärkten refinanzieren kann; ob die Schuldenlast jetzt tatsächlich tragfähig ist. Und selbst, wenn: Eine Erfolgsgeschichte wird die „Rettungspolitik“, wie sie von Schäuble, Troika und Co exekutiert wurde, nimmermehr. Und im Grunde geben das ja sogar die Verantwortlichen heute zu. Sie sagen nur: Es gab damals ja kaum eine andere Möglichkeit.
Fakt ist natürlich: Als die griechische Regierung 2009 eingestand, dass im Budget ein astronomisches Finanzloch klaffe, war das nur bedingt eine Folge der Finanzkrise. Anders als in Spanien oder Island war es nicht der Kollaps der Banken, sondern die Misswirtschaft der vorhergegangenen Regierungen, die für die Malaise verantwortlich war. Die Finanzkrise führte dann aber dazu, dass Griechenland kaum mehr Kredite bekommen hätte – und quasi bankrott gewesen wäre.
Also musste die Eurozone hektisch Rettungsinstrumente für angeschlagene Pleitekandidaten basteln, denn auf so ein Szenario war man nicht vorbereitet. Das kostete wertvolle Zeit, in der das Land zudem immer tiefer in die Krise hineingeredet wurde.
Wirtschaft abgewürgt
Heute räumen sogar die Eurozonen-Dirigenten ein, dass es schon damals einen scharfen Schuldenschnitt gebraucht hätte – man einen solchen aber nicht gewagt hat, da die Finanzmärkte ohnehin lodernd in Flammen standen und man daher einen Dominoeffekt befürchtete.
Dass ein Land mit riesigem Defizit in den laufenden Haushalten bei seinen Staatsausgaben den Rotstift ansetzen muss, ist natürlich kaum abzustreiten, noch dazu, wenn es, wie Griechenland, nicht auf die Schnelle für mehr Steuereinnahmen sorgen kann. Aber die Schocktherapie, mit der die griechische Volkswirtschaft kaputtgeschrumpft wurde, war viel zu brutal, um irgendwelche effizienten Folgen haben zu können.
Der Sparkurs, der verordnet wurde, machte die Schulden noch drückender, wie jeder Kreditnehmer schnell hätte verstehen können: Wenn deine Schulden langsam sinken, dein Einkommen sich aber halbiert – dann hast du mehr Probleme mit deinen Schulden, nicht weniger.
Nahezu alles, was die Troika und die Eurogruppe Griechenland an Medizin verabreichte, war fatal. Klar brauchte das Land Strukturreformen: Aber eine Modernisierung der Wirtschaft kriegst du eher schlecht hin, wenn du sie abwürgst – und leichter, wenn du investierst. Und die Generationen, die jetzt ein nahezu ganzes verlorenes Jahrzehnt hinter sich haben – die holen die verlorenen wirtschaftlichen Möglichkeiten nie wieder auf.
Mag man sogar die Privatisierung von Staatseigentum für unumgänglich halten; wenn ein Land hohe Schuldenstände abbauen muss, dann ist erstens schon fraglich, ob das denn ökonomisch langfristig so effizient ist (dem Staat entgehen ja auch künftige Einnahmen), vor allem aber weiß jedes Kind, dass es sehr verrückt ist, inmitten einer globalen Krise fast alles auf den Markt zu werfen – dann verfallen nämlich die Preise, und die Erlöse aus den Privatisierungen bleiben weit unter den Erwartungen.
Chance für Erneuerung
Beinahe im Monatstakt wurden Griechenland aber genau solche Unfug-Rezepte verschrieben.
Doch nicht nur in konzeptioneller Hinsicht wurde fast alles falsch gemacht – vor allem auch in atmosphärischer. Mit Zutun höchster Kreise wurde eine Sprache des „wir gegen sie“ salonfähig: Fleißiger Norden gegen faule Südländer. Tüchtige Deutsche versus Pleitegriechen. Da wurde runtergemacht und in Herrenreitermanier gebellt, man möge doch bitte in Athen die Hausaufgaben machen. Ein ganzes Land wurde zum Befehlsempfänger degradiert. Nun ist ein Gläubiger-Schuldner-Verhältnis immer ein Macht-Ohnmacht-Verhältnis, aber gerade deshalb wäre ein wenig Fingerspitzengefühl nicht zu viel verlangt gewesen.
Und zu allem Überdruss hat man dann ab 2015 die linke Syriza-Regierung nicht als Chance für eine grundlegende Erneuerung des griechischen Filz- und Schlendrian-Systems behandelt, sondern hat vom ersten Tag ihres Amtsantritts klar gemacht, dass sie der Feind sei, ein Unfall und Irrtum, eine Regierung, die so schnell wie möglich wieder verschwinden muss.
Viel mehr falsch hätte man schwer machen können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?