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Kommentar EU-GipfelNeustart? Schon vergessen

Eric Bonse
Kommentar von Eric Bonse

Europas Bürger haben für mehr Demokratie und Nachhaltigkeit gestimmt. Das scheint die EU-Staatschefs bei ihrem Postengeschacher nicht zu kümmern.

Merkel will schnell eine neue Koalition. Tusk soll dafür sorgen, dass es klappt Foto: ap

D ie Botschaft der Europawahl war eindeutig: Die Mehrheit der Wähler steht zur Europäischen Union – aber sie will eine andere Politik. Grüner, sozialer und bürgernäher soll die EU werden, ein „Weiter so“ darf es nicht geben.

Doch beim EU-Gipfel am Dienstagabend in Brüssel war das schon wieder vergessen. Die Staats- und Regierungschefs feierten die hohe Wahlbeteiligung bei der Europawahl als „Erfolg für Europa“ – das war’s. Dass die ehemaligen Volksparteien ihre absolute Mehrheit im Europaparlament verloren haben, schien kaum jemanden zu kümmern. Nur Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron und die Liberalen betonten die Krise der (alten) Mitte.

Kanzlerin Angela Merkel hingegen stand fest zur Europäischen Volkspartei, in der CDU und CSU den Ton angeben – und zu „ihrem“ Spitzenkandidaten Manfred Weber. Dabei hat Weber nicht einmal in Deutschland überzeugt. Eine Mehrheit der Bundesbürger hält nichts davon, den blassen Niederbayern zum Nachfolger von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker zu machen, ergab eine Umfrage. Fast 60 Prozent sind gegen ihn, nur 32 Prozent dafür.

Weber hat weniger Stimmen eingefahren als Juncker vor fünf Jahren. Gemeinsam mit der offenbar überforderten CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer bescherte er der Union das schlechteste Ergebnis aller Zeiten bei einer EU-Wahl. Doch Merkel ging darüber hinweg. Sie selbst habe ja auch mal klein angefangen, sagte sie. Auch ihre politische Agenda hat sie nicht geändert. Ganz oben stünden nun „Innovation und Wachstum“, so die Kanzlerin in Brüssel, „Nachhaltigkeit und Klima“ kommen erst danach.

Noch über nichts und niemanden einig

Klimawahl? Nicht für Merkel. Neustart der EU? Schon vergessen. Das zeigt auch die Art und Weise, mit der die Staats- und Regierungschefs nun vorgehen wollen. Sie beauftragten Ratspräsident Donald Tusk, bis zum nächsten EU-Gipfel Ende Juni eine Vorschlagsliste auszuarbeiten. Auf dieser „Short list“ soll aber nicht nur der neue Kommissionschef stehen, sondern auch Namen für den ständigen Ratspräsidenten, die Europäische Zentralbank und den bzw. die Außenvertreter/in. Das Wahlergebnis wird so mit einem großen Personalgeschacher vermischt.

Schlimmer noch: Die EU-Chefs ließen offen, wie man überhaupt auf die Tusk-Liste kommt. Sie konnten sich weder darauf einigen, nur gewählte Spitzenkandidaten zu nominieren, noch legten sie ihre Karten etwa für die Nachfolge von Notenbankchef Mario Draghi auf den Tisch. Der Grund liegt auf der Hand: Die 28 sind sich über nichts und niemanden einig. Vor allem Merkel und Macron liegen über Kreuz. Damit die deutsch-französische Führungskrise nicht gleich nach der Europawahl offen zutage tritt, soll Tusk nun möglichst geräuschlos sondieren.

Doch bei diesem Verfahren bleiben Demokratie und Transparenz auf der Strecke. Das Wahlergebnis landet in einer „Black Box“, die Beratungen finden wie immer im Hinterzimmer statt. Man müsse Handlungsfähigkeit beweisen, begründete Merkel dieses merkwürdige Verfahren.

Abgeschaut wurde es übrigens in Deutschland. EU-Ratspräsident Tusk soll ähnlich wie der Bundespräsident nach der Bundestagswahl 2017 dafür sorgen, dass möglichst schnell eine neue Brüsseler Koalition zusammen kommt. In Berlin hat das ja auch ganz toll geklappt, nicht wahr?

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Eric Bonse
EU-Korrespondent
Europäer aus dem Rheinland, EU-Experte wider Willen (es ist kompliziert...). Hat in Hamburg Politikwissenschaft studiert, ging danach als freier Journalist nach Paris und Brüssel. Eric Bonse betreibt den Blog „Lost in EUrope“ (lostineu.eu). Die besten Beiträge erscheinen auch auf seinem taz-Blog
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7 Kommentare

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  • Unwucht der Achse Berlin - Paris

    Zitat: „Vor allem Merkel und Macron liegen über Kreuz.“

    Dies ist nur die Widerspiegelung des gegenwärtigen europapolitischen Gerangels zwischen Berlin und Paris. Macron will mit seinem Veto gegen das von Martin Schulz erfundenen Spitzenkandidaten-Prinzip gegen die faktische deutsche Hegemonie im EU-Europa angehen, die nun nach Merkels Willen auch noch mit einem deutschen Kommissionspräsidenten vollendet werden soll. Merkels demonstrative parteipolitisch gefärbte Unterstützung für den EVP-Kandidaten M. Weber empfindet Macron, dessen LREM-Gruppe sich den ALDE-Liberalen anschließen will, als antifranzösischen Affront. Seit langem hat Berlin alle Vorstöße Macrons zu strukturellen und politischen Reformen der EU abgeschmettert, sei es auf finanz-, digital- oder klimapolitischem Gebiet, wo Merkel strikt nach der Pfeife deutscher Wirtschaftsinteressen tanzt. Da darf man sich nicht wundern, daß Macron nun der Kragen platzt.

    Wenn die Stabilität der EU von der deutsch-französischen Alliance cordiale abhängt, wie allgemein - und nicht unzutreffend behauptet -, dann sieht es gegenwärtig nicht gut damit aus. Die Achse Paris - Berlin weist eine deutliche Unwucht aus. Bricht sie, dann zerbricht auch die EU.

  • Ja! Ein sehr treffender Kommentar Herr Bonse!



    "CAMPACT" hat ja bereits vor der EU Wahl darauf hingewiesen, das Frau Merkels Rhetorik gegenüber den GRÜNEN und der jugendlichen Klimabewegung im Sinne des `weglobens´ strukturiert war.



    ..d.h: die Forderung für Nachhaltigkeit wurde nur im Lichte von Wachstum und Innovation - als sekundär- anerkannt !



    ..und diese Sekundarisierung der globalen und EU Notwendigkeit des Umdenkens lässt sich m.E. nur so erklären , das die herrschende Politik der Gegenwart im eigenen historischen Denken des provinziellen imaginierten "unbegrenzten Wachstums" stagniert .. und als unfähig erscheint, sich zum selbstgemachten katastrophischen Szenario ökologischer Weltkrisen zu verhalten! Die Politik des "Geht nicht" setzt sich fort !



    Ergo? Die "fridays for future" Jugend Bewegung muss weitermachen, es bedarf mehr #REZO , die Grüne Fraktion muss erstarken...

    • @vergessene Liebe:

      Ich weiß nicht warum, hier immer wieder die "Grünen" als lobenswert hervorgehoben werden? Ist es nicht so, dass dank den Grünen ein Völkerrechtswidrig Krieg im Kosovo durch ging, ganz zu schweigen die vielen illegalen Waffenlieferungen.

      Oder waren es nicht auch Grüne Verantwortliche, die bei der "Agenda 2010" mitgemacht haben und bis heute mitmachen, obwohl man sieht, was für verheerende Folgen das für Millionen von Menschen alleine in Deutschland und der EU zu folgen haben?

      Wie kann man da eine Empfehlung für die Grünen abgeben. Für mich sind die Grüne eine grün lackierte FDP.

  • Nur weiter so Frau Merkel, bei der nächsten Bundestagswahl gibts dann gleich den nächsten Denkzettel.

    Aber, das wird Frau Bundeskanzlerin wohl nicht groß kümmern, die hat dann ja ihre Schäfchen schon im Trocknen...

  • Netter Beitrag, aber es war immer so #Rezo. Erst, wenn die ehemals Grossen weg sind, wir mehr Basisdemokratie für Mitbestimmung nach den Wahlen haben, wird sich etwas ändern. Bis dahin, wie war das bei Die Anstalt? Preisstabilität...

  • Gestern hieß es, bei der Postenbesetzung sollten Themen im Vordergrund stehen und nicht Personen.



    Gibt es schon Informationen dazu, welche Themen das sind? Und welche Kandidaten für welche Themen stehen? Im Wahlkampf ist das ein wenig untergegangen ...

    • 0G
      05838 (Profil gelöscht)
      @Peter_:

      Verstehe ich das richtig? Regierungs- und Fraktionschefs einigen sich auf die Besetzung des Kommissionschefs und deren Abgeordnete nicken das nachher ab? Das wäre ja beinahe DDR 2.0.