Jobbörse in der Europäischen Union: Postengeschacher im Hinterzimmer
Noch ist unklar, wer die Topposten ergattert. Nun sollen sechs Regierungschefs den Weg weisen und eine Arbeitsgruppe im Parlament.
Doch die neu gewählten EU-Abgeordneten werden an den Sondierungsgesprächen ebenso wenig beteiligt wie die Wahlgewinner von den Grünen. Das Wort führen Konservative (mit Kroatiens Regierungschef Andrej Plenkovič), Sozialdemokraten (mit Spaniens Pedro Sánchez) und Liberale (mit dem Niederländer Mark Rutte).
So hat es der EU-Gipfel vor zehn Tagen beschlossen – und damit das Verfahren an sich gerissen. Weil sich Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron nicht auf offener Bühne über den Nachfolger von Kommissionschef Jean-Claude Juncker streiten wollten, wurden die sechs „Koordinatoren“ eingesetzt – eine Premiere.
Das EU-Parlament hat dem wenig entgegenzusetzen. Auch hier ist ein Streit um die Topjobs entbrannt, auch hier rangeln die Parteienfamilien um die Macht. Weil sich die Spitzenkandidaten gegenseitig im Weg stehen, hat das Parlament eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die ein Koalitionsprogramm ausarbeiten soll.
Schwer verständlich
Für die EU-Bürger dürfte all das nur schwer verständlich sein. Das Europaparlament hatte versprochen, sie könnten den nächsten Präsidenten der EU-Kommission wählen und den künftigen Kurs bestimmen. Nun regieren die Hinterzimmer.
Was bei den Koalitionsverhandlungen und dem Postengeschacher herauskommt, ist selbst für EU-Insider schwer auszumachen. Die sechs Staatschefs tagen hinter verschlossenen Türen. Auch im Europaparlament weiß niemand Bescheid. „Alles Chefsache“, sagen sonst gut informierte Pressesprecher.
Nur einer wagt sich vor: der scheidende deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU). Er sieht gute Chancen, dass ein Deutscher das große Los zieht. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Konservative Manfred Weber (CSU) nächster Kommissionschef werde oder Bundesbankpräsident Jens Weidmann die Europäische Zentralbank führe, liege bei 60 Prozent, sagte Oettinger der Wirtschaftswoche.
Dabei folgt der Stuttgarter einer simplen Logik: Wenn Merkel ihren Spitzenkandidaten Weber nicht durchsetzen kann, werde sie eben Weidmann pushen. Macron und den anderen Staats- und Regierungschefs werde nichts anderes übrig bleiben, als einen der beiden zu nehmen. Dabei sind längst nicht alle EU-Politiker der Meinung, dass Deutschland noch mehr Schlüsselposten besetzen sollte.
Magere Bilanz
Zum einen ist die europapolitische Bilanz der Bundesregierung mager. Zuletzt hat Merkel eine Digitalsteuer verhindert und mehr Ehrgeiz im Klimaschutz verweigert. Zum anderen genießen Weber und Weidmann in Brüssel keinen guten Ruf. Weber wird fehlende Regierungserfahrung vorgehalten, Weidmann die Nähe zu Merkel und die harte Linie in der Geldpolitik.
Für die Nachfolge von Jean-Claude Juncker wäre die Dänin Margrethe Vestager besser geeignet, heißt es nicht nur bei den Liberalen. Auf EZB-Chef Mario Draghi könnte genauso gut der französische Notenbankchef François Villeroy de Galhau folgen. Klar scheint nur: Wenn Macron Weber verhindert, wird Merkel wohl auch einen Franzosen ablehnen.
Berlin und Paris blockieren sich gegenseitig. Auch deshalb müssen es die „Koordinatoren“ richten. Dass dafür ein Abendessen in Brüssel genügt, glauben nur wenige Optimisten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen