Kommentar Digitalsteuer: Die Angst vor dem Sprung
Die Bundesregierung weicht einer Digitalsteuer mit einer durchsichtigen Finte aus. Sie ist zu feige für eine realistische Lösung.
N ahezu kämpferisch zeigte sich die Bundesregierung vor einem Jahr: „Wir unterstützen eine gerechte Besteuerung großer Konzerne, gerade auch der Internetkonzerne wie Google, Apple, Facebook und Amazon“, heißt es im Koalitionsvertrag. Davon übrig geblieben ist mittlerweile weder die „gerechte Besteuerung“ noch das „Unterstützen“. Als auf EU-Ebene eine entsprechende Steuer zur Diskussion stand, hat Deutschland gebremst. Und nun, wo Frankreich vorprescht und zeigt, was geht, bleibt SPD-Finanzminister Olaf Scholz bei seiner Position, lieber eine globale Vereinbarung zu wollen.
Dabei ist das nicht mehr als eine durchsichtige Finte, mit der er den großen Sprung fordert, aber zu feige ist, auch nur Anlauf zu nehmen. Denn wie bitte soll bei der international noch viel heterogeneren Interessenlage eine Einigung realistisch sein, wenn sich schon die EU-Staaten nicht einigen können? Und zwar deshalb, weil Länder wie Irland – Sitz diverser Konzerne, die eine solche Steuer betreffen würde – und Deutschland – Sitz diverser Konzerne, die gerne in die USA exportieren und steuerliche Vergeltung befürchten – bremsen?
Vielleicht sollte mal jemand der Bundesregierung verraten, dass die Debatte selbst in den USA mittlerweile progressiver geführt wird. Elizabeth Warren etwa, die für die US-Demokraten als Präsidentschaftskandidatin aufgestellt werden will, denkt laut darüber nach, dass die letzten Firmenübernahmen von Amazon, Facebook und Google rückgängig gemacht werden sollten. So ein Vorschlag würde hierzulande sofort mit dem Stempel Zerschlagung versehen und damit diskreditiert werden.
Leider scheint das Interesse der Bundesregierung an einer Begrenzung der Marktmacht auch sonst überschaubar. Jüngstes Symptom: die Nachricht, dass die Bundespolizei die Aufnahmen ihrer Bodycams in der Amazon-Cloud speichert. Weil eine entsprechende staatliche Infrastruktur fehle. Vielleicht wäre das der erste Punkt für die To-do-Liste der Regierung: Sich selbst und den Behörden klarmachen, dass es alternative Anbieter gibt. Dafür würde es nicht einmal Ärger aus den USA geben.
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