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Kommentar Demo-ParoleDeutschland, bleib locker!

Malene Gürgen
Kommentar von Malene Gürgen

Der Spruch „Deutschland, du mieses Stück Scheiße“ gefällt vielleicht nicht allen. Eine Rechtfertigung für 21 Festnahmen ist das aber noch lange nicht.

Regenschirme ok, Parolen nicht: auf der Solidaritätsdemo für Griechenland in Berlin Foto: dpa

BRD, Bullenstaat, wir haben dich zum Kotzen satt“: Dafür, dass sie diese Parole gerufen hatte, wurde eine Frau im Jahr 2006 vom Amtsgericht Patenkirchen zu einer Geldstrafe von 800 Euro verurteilt. Mit dem auf linksradikalen Demonstrationen beliebten Spruch hatte sie sich nach Ansicht der Richter der „Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole“ schuldig gemacht.

Dies ist ein deutschlandweit einmaliges Urteil, das gern als Beispiel für die Härte der bayerischen Polizei und Justiz herangezogen wird: Auf Demonstrationen in anderen Bundesländern entlockt dieser Spruch der Polizei kaum mehr ein müdes Lächeln, in Berlin gehört er zum Standardrepertoire.

Denn was auf Demonstrationen gerufen wird, muss nicht jedem gefallen, es darf auch zugespitzt oder derb formuliert sein – strafbar ist es deswegen noch lange nicht. Ob das auch für das am Freitag auf einer Demonstration gezeigte Transparent mit der Aufschrift „Deutschland, du mieses Stück Scheiße“ gilt, muss juristisch geklärt werden, bisher spricht jedoch alles dafür.

Die 21 Festsetzungen in diesem Zusammenhang sind deswegen völlig unverhältnismäßig: Es gab hier keine Ausschreitungen, die Demo war noch nicht einmal los gelaufen, die DemonstrantInnen standen zum Teil lediglich in der Nähe des Plakats herum.

Locker bleiben

Ein souveräner, ein gelassener Staat muss Kritik aushalten können, selbst wenn sie einigermaßen derb, vielleicht sogar unanständig formuliert ist. Einen Spruch auf ein Plakat zu schreiben und sich damit auf die Straße zu stellen ist erst einmal ein demokratischer Akt und eine angemessene, friedliche Art, Wut und Empörung auszudrücken.

Die Palette dieser demokratischen Meinungsäußerungen sollte nicht eingeschränkt, sondern bestärkt werden – das absurde Verhalten der Polizei am Freitag zeugt hingegen von allem anderen als Gelassenheit. Glückwunsch an die DemonstrantInnen: Sie haben einen Nerv getroffen.

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Malene Gürgen
Reportage und Recherche
Redakteurin im Ressort Reportage&Recherche | Jahrgang 1990 | Seit 2014 Redakteurin der taz, zunächst im Berlinressort | 2016-2020 schwerpunktmäßig Recherchen zur extremen Rechten, dazu 2019 "Angriff auf Europa" im Ch. Links Verlag erschienen (mit C. Jakob, P. Hecht, N. Horaczek, S. am Orde) | 2020-2022 als Produktentwicklerin verantwortlich für die Konzeption der wochentaz | 2022-2023 Redakteurin im Ressort Zukunft – Klima Wissen Utopien | Seit 2023 im Investigativteam der taz.
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11 Kommentare

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  • Das Problem hier ist doch nicht der Staat, der hier kindisch reagiert, sondern die Demokratiefeindlichkeit der Polizei. Denen ging es nicht um den Staat, die wollten nur der ihnen nicht genehmen Demo schaden. Und natürlich den Menschen, die daran teil nehmen. Dagegen helfen Strafen (bzw. Gerichtsurteile) wenig - hier täten strukturelle Änderungen dringend Not.

    • @Karin Möller:

      Liebe Frau Möller,

       

      nicht "der Staat" ist kindisch, sondern die Verfasser dieses Spruches. Denn was soll dieser denn bezwecken?

      Und Demokratiefeindlichkeit der Polizei?

      Was ist das?

      Und welche strukturellen Änderungen meinen Sie.

      Was ich hier oft lese, sind plakative Sätze, ohne genauere Erläuterungen. Klingen aber gut, da diese eine Kodierung in sich tragen: Ich gehöre dazu. Wo auch immer.

  • "Einen Spruch auf ein Plakat zu schreiben und sich damit auf die Straße zu stellen ist erst einmal ein demokratischer Akt und eine angemessene, friedliche Art, Wut und Empörung auszudrücken."

     

    Ob Sie das wohl auch so kommentiert hätten, wenn statt Deutschland der Name einer anderen Nation auf dem Plakat gestanden hätte?

  • 1G
    12294 (Profil gelöscht)

    Einverstanden! Deutschland bleibt locker und darf im Gegenzug die DDR einen Unrechtsstaat nennen, ohne dass jemand austickt. Deal?

  • "Einen Spruch auf ein Plakat zu schreiben und sich damit auf die Straße zu stellen ist erst einmal ein demokratischer Akt und eine angemessene, friedliche Art, Wut und Empörung auszudrücken."

     

    Ich finde es nicht "angemessen" und "friedlich" ein Land als Stück Scheiße zu bezeichnen. Und was soll das überhaupt für eine Form von Kritik sein? Wer wird hier kritisiert? Ich meine, wenn ich ein Land "scheiße" finde, dann kann ich mir doch ein anderes Land aussuchen, in dem ich lieber leben will, oder?

  • Nun, ich würde meinen, dieser Spruch ist keine Kritik am deutschen Staat. Denn es fehlt das Argument. "Mieses Stück ist halt mal kein Argument.

    Und er drückt meiner Meinung nach nicht Wut, noch Schwäche aus. Sondern einfach Dumpfbackigkeit.

    Wenn diejenigen, die diese Unsäglichkeit gut finden, sollten sie auch schweigen, wenn ein "Rechter" wieder mal so was in dieser Richtung ablässt. Wie Straußens "Schmeißfliegen" seinerzeit.

  • Der Spruch polemisiert, polarisiert und ist z.K.

  • Der Spruch ist eben Ausdruck einer Schwäche und Wut darüber, dass hier so viel Egoismus herrscht und kaum jemand in sozialen Bewegungen die Welt verändern möchte.

  • Aber bitte, verehrte Frau Gürgen.

     

    Wer würde der lieben Frau Merkel jetzt – nach den so wundervollen und herrschaftlichen Romantik-Tagen von Elmau – denn wirklich einen Realitäts-Schock zumuten wollen?

     

    Das wäre doch un-mensch-lich! ;-)

  • "Ein souveräner, ein gelassener Staat muss Kritik aushalten können, selbst wenn sie einigermaßen derb, vielleicht sogar unanständig formuliert ist. Einen Spruch auf ein Plakat zu schreiben und sich damit auf die Straße zu stellen ist erst einmal ein demokratischer Akt und eine angemessene, friedliche Art, Wut und Empörung auszudrücken."

     

    Reden Sie in der Redaktion nicht miteinander, oder wie muss ich diesen Essay deuten:

    http://taz.de/Essay-Griechenland-und-EU/!5209992/

     

    Ich hoffe nicht dass die Begründung darin liegt das geschmacklose Hetze nur dann in Ordnung ist wenn es gegen "die richtigen" geht.

  • So ein Verhalten hätte ich ja eher von einem Bullenstaat erwartet! Ich bin verwirrt.