Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.
Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?
Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.
Klasse Kommentar, danke dafür.
Wie die Autorin schon sagt, "Mitte der Gesellschaft" ist relativ. Im Dritten Reich war Judenhass der zum Tod von Millionen führte in der Mitte angekommen.
Mitte ist Durchschnitt, aber Gesellschaftsveränderungen gehen nicht von der zufriedenen Mehrheit aus.
Mitte der Gesellschaft, klingt für mich wie der Standart Werbespruch im Radio: "Das Beste aus den 80ern, 90ern und von heute." Was vielleicht funktioniert wenn es um Berieselung im Hintergrund geht, aber es sollte nicht Credo einer Partei sein.
Eine pluralistische Gesellschaft KANN gar nicht einheitlich in der "Mitte" vcersammelt sein. Dazu sind mMenschen und ihre Vorstellungen was richtig, falsch, gerecht, ungerecht, spaßig oder langweilig ist, viel zu verschieden. Insofern ist auch die These, dass die Mitte ein
Ort für alle sein sollte, aus meiner Sicht ein Satz aus dem sozialistisch-egalitären Utopiebaukasten. Wäre eine derartige Uniformierung der Werte- und Lebensverhältnisse möglich, bräuchte es im Zweifel keine Parteien mehr - bzw. nach gutem alten Brauch nur eine...
Wer den Leuten ständig ein falsches Bild von der Mitte vermittelt, muss sich dann auch mit vollgeschissenen Rändern abfinden. Passt scho'!
Sich an der soziologischen und philosophischen Fragestellung der „Mitte der Gesellschaft“ - genauer „der politischen Mitte der Gesellschaft“ in einem TAZ-Kommentar abzuarbeiten ist löblich - bringt aber nichts. Die sogenannten „C“-Parteien glauben von sich, Mitte zu sein, sind aber eher rechts-konservativ bis rechts-national. Die aktuellen Reste der SPD streben zur Mitte, zu den „sicheren WählerInnenstimmen“ und sind doch mittlerweile so „links“-konservativ eingeordnet (ohne es zu sein), das Teile der SPD-Mitglieder auch CDU-Mitglieder sein könnten. Die FDP war einmal „freiheitlich“, konserviert aber ihre neo-kapitalistische Nabelschau wo es nur geht. Die Grünen würde ich derzeit bestenfalls als „neo-konservativ-ökologisch“ ebenfalls mit dem Drang zur Mitte einsortieren, die Linke ist auch nicht wirklich „links“ sondern eher so „links-liberal“, fast schon sozialdemokratisch. Die AfD positioniert sich nach eigenen Aussagen klar in „der Mitte der Gesellschaft“ - ja - ja - und fischt im rechts-nationalen Teich. Und wo bringt uns jetzt dieser Kommentar politisch bzw. gesellschaftliche weiter? Nirgendwo, denn in einer sich immer kleinteiliger und auch selbstsüchtiger atomisierenden Gesellschaft gibt es keine festen Positionen mehr, sondern individuelle wechselnde Mehrheiten, je nach Thema und persönlicher Betroffenheit. Spannend wird, wie wir uns dann als Gesellschaft Themen wir „wirtschaftliche Umverteilung, Gemeinwohl, soziale Gleichstellung, Geschlechtergleichstellung, Generationenvertrag zur Alterssicherung und medizinischen Versorgung, etc.“ stellen werden. Ohne politische Profilierung, ausgerichtet am persönlichen Mehrwert.
@97088 (Profil gelöscht) Wenn ich Ihre Aufzählung so mitlese und dann vergleiche, welche Stimmen dieses ganze konservative Gesocks auf sich vereint, komme ich zu dem Ergebnis, dass die "Mitte der politischen Gesellschaft" in Deutschland wohl so konservativ IST. Es sind ja nicht die Parteien, die sich ihre Wähler bauen und die Ergebnisse vorgeben.
Umgekehrt: Wenn nach Ihrer Auffassung die "richtige" Mitte ehrlicherweise nur die politische Heimat eines unbeugsamen Häufleins aufrechter linker Idealisten sein sollte, dann fragt es sich schon, WOVON das die Mitte sein soll - jedenfalls nicht der Gesellschaft.
Oder - mit der 80er-Kultwerbung: Sind wir nicht alle ein bißchen Mitte? (oder wären es zumindest gerne...)
Ach ja zu Ihrem Spannungspunkt: "Wir" finden "als Geselllschaft" alle diese Punkt unglaublich interessant und dikussionswürdig. Da wir aber ca. 99,99999% (abgerundet) unserer Zeit nicht als Gesellschaft sondern als Individuen verbringen, ist das keine reinrassige Überzeugung. Als Individuen interessiert "uns" dann nämlich am Ende doch eher, dass diese Themen bitte auf anderer Leute Buckel angegangen werden sollen. Auch wieder ein schöner Grund, "Mitte" zu sein, übrigens: Mitten im Volk kann man sich schön vor Verantwortung verstecken. Die hat dann "die Gesellschaft".
Da ich die böse Erfahrung gemacht habe, dass Parteien im Wahlkampf nie sagen, was sie wollen sondern nur sagen von dem sie annehmen, dass es Wählerstimmen bringt, lässt sich die Wahlkampfansage "Wir sind die Mitte." ganz einfach interpretieren: "Wir behaupten, dass wir die Mitte sind, sind es aber in Wahrheit nicht." Und schon ist die Aussage Wahr!
Politische Mitte? Ich singe bei den C-Parteien schon seit Jahrzehnten mit Heino: "Schwarz-braun ist die Haselnuss...". Der braune Anstrich war da nie gut versteckt. Im Moment wird er natürlich besonders durch Herrn Seehofer sehr offen zur Schau getragen. Sollte braun in der Mitte ankommen, wird es allerhöchste Zeit aus Deutschland auszuwandern!
Soziale Mitte? Die soziale Schere wird von den C-Parteien und der SPD schon lange auseinander gedrückt. Es gibt oben und unten - die Mitte ist leer! Die C-Parteien halten es mit den Reichen. Immer schon. Und die SPD seit Schröder auch. Mitte? abgeschafft.
"Wir sind die Mitte." Klingt nach absoluter Egozentrik. In diesem Fall wäre die Aussage auch wahr.
Israel begeht einen Völkermord in Gaza – zu diesem Urteil kommt ein neuer Bericht von Amnesty. Da stellt sich die Frage: Ist Deutschland mitschuldig am Völkermord?
Kommentar CDU und Politik der Mitte: Die Mitte. Für alle.
Die CDU erhebt Anspruch darauf, Politik für „die Mitte der Gesellschaft“ zu machen. Aber wer soll das eigentlich sein? Und: Ist das noch zeitgemäß?
Die Kanzlerin und ihre Raute: „Die Mitte.“ Mit Punkt. Ohne Widerrede. Foto: Michael Kappeler/dpa
Die Mitte der Gesellschaft ist ein diffuser Ort. Ihn zu finden ist gar nicht so einfach, sogar geografisch gesehen. Die Mitte Deutschlands liegt irgendwo im südöstlichen Niedersachsen, im östlichen Hessen oder im westlichen Thüringen – es ist schwer zu sagen. Das liegt daran, dass es verschiedene kartografische Darstellungen Deutschlands gibt, und hängt davon ab, auf welche Weise man die Inseln beziehungsweise Halbinseln in Nord- und Ostsee in die Berechnung der Ausgangsfläche mit einbezieht.
Viele Orte erheben Anspruch auf das Label „Mittelpunkt Deutschlands“. Alle wollen Mitte sein. Die Mitte ist schön. Die Mitte ist wichtig.
In der Politik ist das ähnlich – allerdings werfen da weniger Parteien ihren Hut in den Ring. Lediglich Union und SPD müssen sich um die Mitte streiten, wobei die Union das Mitte-Marketing stringenter betreibt: Da steht sie, die Kanzlerin mit ihrer Signature-Raute, vor dünnen Aufstellwänden mit der Aufschrift „Die Mitte.“, mit Punkt, ohne Widerrede.
Und nicht nur Angela Merkel setzt auf diese Erzählung. Zuletzt sagte Annegret Kramp-Karrenbauer bei „Anne Will“, als es um mögliche Koalitionsbestrebungen mit der AfD auf Landesebene ging: „Die CDU ist genau dort, wo sie hingehört. In der gesellschaftlichen Mitte.“ Dass damit nicht der geografische Mittelpunkt Deutschlands gemeint ist, ist klar. Alles andere ist jedoch vollkommen uneindeutig.
Euphemismus für bräsige Durchschnittlichkeit
Würde es um die politische Mitte gehen, ließe sich das Anspruchsverhalten der CDU noch irgendwie erklären. Die politische Mitte ist zwar uneindeutig, aber eben irgendwo auf dem Spektrum zwischen links und rechts. Fraglich aber, was geschieht, wenn die eindimensionale Vorstellung einer politischen Bandbreite von links über alles Mögliche dazwischen bis rechts nicht mehr greift.
Wenn politische Einstellungen zu einem dreidimensionalen Mobile geworden sind, in dem sich Positionen ständig in Abhängigkeit der jeweils anderen neu austarieren müssen. Dann muss auch die Mitte flexibel sein, mehr als der Pol zwischen den Extremen.
Nun geben CDUler*innen immer wieder vor, dass es nicht (nur) um die politische Mitte gehe, sondern um die Mitte der Gesellschaft. Womöglich ist „Mitte der Gesellschaft“ aber nicht viel mehr als ein Euphemismus für bräsige Durchschnittlichkeit. Eine Selbstauffassung, die einen lange nicht mehr überprüften Anspruch der Nahbarkeit und des alltagsbezogenen politischen Auftrags in sich trägt.
Im Jahr 2019 wirken CDU und SPD vielleicht auch deshalb wie aus der Zeit gefallen. „Volksparteien“, danach sieht es gerade aus, können beide nicht mehr sein. Während die einen zum Gespött im Netz werden, tuckern die anderen auf der Suche nach einer Doppelspitze ohne Kompass durch den Nebel.
Der erstrebenswerte Ort der Vernünftigen
Der Zustand der ehemals tonangebenden Parteien erinnert an Traditionsunternehmen, die es im letzten Jahrzehnt verpasst haben, sich an neue Bedürfnisse des Personals und Lebensrealitäten potentieller Kund*innen anzupassen. Beim beiläufigen Blick durch die Jalousien vor den Fenstern der Parteizentralen lässt sich noch glauben, da draußen sei alles wie immer. Drinnen ist ja schließlich auch noch vieles gleich: die Kolleg*innen, die Hierarchie, das Faxgerät.
Die Mitte ist auch der Wohlfühlort, an den sich Menschen mit ausreichend Privilegien gern zurückziehen
Die Mitte, das ist der erstrebenswerte Ort der Vernünftigen. Er steht für etwas Urdemokratisches: für Grautöne, für Differenziertheit, Besonnenheit, Kompromiss. In der Mitte ist man sich der irdischen Grausamkeiten und der gesellschaftlichen Verwerfungen bewusst. Man schaut betroffen, wenn wieder irgendwo Krieg ist. Man schüttelt den Kopf, wenn Donald Trump etwas Dummes sagt. Man beobachtet und analysiert, weil man sich die Distanz leisten kann.
Die Mitte ist auch der Wohlfühlort, an den sich Menschen mit ausreichend Privilegien gern zurückziehen, um die Ränder beliebig aus- und einblenden zu können. Wo Kompromiss vielleicht kurz zwickt, aber nicht wirklich wehtut. Das Problem ist aber: Es stellen sich zunehmend Fragen, deren Antwort nur Kompromisslosigkeit sein kann, wenn man sie ernsthaft angehen will.
Die größer werdende Schere zwischen Arm und Reich, die drängenden Herausforderungen der alternden Gesellschaft, die bedrohlichen Auswirkungen der Klimakrise und die zu lange beiseitegeschobenen Angriffe rechter Gewalttäter*innen auf diese Gesellschaft sind nur ein paar Beispiele. Auf diese Fragen hat die CDU, die „Partei der Mitte“, keine kompromisslosen Antworten. Weil sie Angst hat, mindestens die Hälfte ihrer Wähler*innenschaft zu vergraulen?
Wer gehört dazu, wer wird angesprochen?
Die Mitte der Gesellschaft sollte ein sicherer Ort sein, und zwar für alle. Viele Unions-Politiker*innen vermitteln mit ihren Worten das Gegenteil. Da sagt eine Annegret Kramp-Karrenbauer beim Politischen Aschermittwoch, Toiletten für das dritte Geschlecht seien was für „Männer, die noch nicht wissen, ob sie schon stehen dürfen beim Pinkeln oder schon sitzen müssen“.
Und der ehemalige Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen, CDU-Mitglied, tönt bei einer Rede vor der sich selbst als konservativ bezeichnenden Werteunion, er sei „vor dreißig Jahren nicht der CDU beigetreten, damit heute 1,8 Millionen Araber nach Deutschland kommen“. Aha. Denkt so die Mitte der Gesellschaft?
Klar, sie könnte. Und mit dieser Erkenntnis wird schließlich klar, wonach man bei der Suche nach der Mitte zuerst fragen muss. Nämlich nach der Gesellschaft selbst. Wer ist diese Gesellschaft, in deren Mitte CDUler*innen angekommen sein wollen? Wer gehört dazu, wer wird angesprochen, wer wird gehört und für wen werden Witze auf Kosten anderer gemacht?
Eine Partei, die von sich selbst behauptet, die Mitte abzubilden, lohnt es sich infrage zu stellen. Weil es beim Kampf um die Mitte immer auch um Deutungshoheit und Macht geht. Und dann verhält es sich doch erstaunlich ähnlich wie mit dem geografischen Mittelpunkt: Es macht einen Unterschied, wer misst.
Fehler auf taz.de entdeckt?
Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!
Inhaltliches Feedback?
Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.
Schwerpunkt Angela Merkel
Kommentar von
Lin Hierse
taz-Redakteurin
Lin Hierse ist Redakteurin der wochentaz und Schriftstellerin. Nach ihrem Debüt "Wovon wir träumen" (2022) erschien im August ihr zweiter Roman "Das Verschwinden der Welt" im Piper Verlag. Foto: Amelie Kahn-Ackermann
Themen