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Kommentar Bürgerwehr in ArnsdorfEinschlägige Tendenz

Nina Apin
Kommentar von Nina Apin

Die Täter von Arnsdorf berufen sich auf Zivilcourage. Doch das brutale Vorgehen gegen einen Iraker war eine Inszenierung rechter Selbstjustiz.

In einem Rechtsstaat sind Bürgerwehren ein Anachronismus, der nur auf dem Deutschen Trachtenfest gut aufgehoben ist. Im Bild: Mitglieder einer historischen Bürgerwehr Foto: dpa

M an habe doch nur Zivilcourage gezeigt, verteidigte sich einer der vier Männer, die im sächsischen Arnsdorf einen Iraker aus einem Supermarkt gezerrt und mit Kabelbindern an einen Baum gefesselt haben.

Zivilcourage, zu Deutsch Bürgermut, ist ein Verhalten, das sich eine demokratische Gesellschaft nur wünschen kann. Es ist wichtig, dass es Menschen gibt, die beherzt eingreifen, wenn sie andere in Not sehen – und nicht erst warten, bis irgendwelche Experten vor Ort sind. Aber rechtfertigt es auch, dass Bürger, die die Polizei als ineffektiv erleben, das Vertreiben von Störenfrieden in die eigene Hand nehmen? Die Grenze zur Selbstjustiz ist fließend, das zeigen schon allein die Kabelbinder in den Taschen der zivilcouragierten Nachbarn.

Es mag durchaus frustrierend sein, wenn eine Supermarktmitarbeiterin zweimal an einem Tag die Polizei rufen muss, weil ein Kunde Ärger macht. Und wenn der Mann jedes Mal wieder im Laden steht. Trotzdem hätte es die Bürgerwehr nicht gebraucht, denn der Rechtsstaat hat durchaus eine Antwort auf solche Fälle: Beim dritten Mal hätte die Polizei den Störer festsetzen müssen.

Aus dem kurzen Video von dem Supermarkt-Vorfall, das im Internet kursiert, ist jedenfalls keine Bedrohung erkenntlich, die den Einsatz von vier Männern mit starken Armen und Kabelbindern erforderlich macht.

Dafür ist aus dem Video, das mit dem gewaltsamen Abführen des Irakers endet, etwas anderes erkenntlich: Es handelt sich hier um eine bewusste Medieninszenierung von rechtsaußen. Eine vielfach geteilte Version des Handyvideos ist überschrieben mit „Fachkraft beim Diebstahl erwischt! Bürgerwehr Arnsdorf/Sachsen hilft!“. Die Clips, die danach automatisch auf dem Bildschirm erscheinen, tragen den Titel: „Tipps zum Überleben“ und „Kriminelle Flüchtlinge“.

Die Tendenz ist eindeutig. Hoffentlich findet der Rechtsstaat auch darauf eine eindeutige Antwort.

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Nina Apin
Redakteurin Meinung
Jahrgang 1974, geboren in Wasserburg am Inn, schreibt seit 2005 für die taz über Kultur- und Gesellschaftsthemen. Von 2016 bis 2021 leitete sie das Meinungsressort der taz. 2020 erschien ihr Buch "Der ganz normale Missbrauch. Wie sich sexuelle Gewalt gegen Kinder bekämpfen lässt" im CH.Links Verlag.
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21 Kommentare

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  • 1G
    1714 (Profil gelöscht)

    Rechtsstaat? Das betont man ich Sachsen anders als in den integrationsfähigen und -willigen Bundesländern...

  • Zivilcourage ist es, zu versuchen, eine Situation mit unklaren Kräfteverhältnissen im Alltag zu deeskalieren. Mit vier Leuten ist doch überhaupt keine Courage nötig. Rage höchstens. Die Jungs wollten sich groß und stark fühlen und halten sich jetzt für mutig, weil sie mit vier Mann einen einzelnen nicht nur gestoppt und beruhigt haben, sondern einfach gewalttätig waren. Die Moderation: Teilkommentar entfernt, bitte achten Sie auf Ihre Wortwahl.

    • @Karl Kraus:

      "Die Moderation: Teilkommentar entfernt, bitte achten Sie auf Ihre Wortwahl."

       

      Mein Mitgefühl, ich ahne was da stand und auch ich muss mich stark zusammenreißen um nicht wieder nette Antwortmails von den Mods zu bekommen. So, ich geh jetzt raus, vielleicht läuft einem ja mal so ein Bürgerwehrler über den Weg, hab Bock auf "Diskussion"...

      • @Neinjetztnicht:

        Lustig: Ich hatte doch tatsächlich einen sehr durchschaubaren Nazivergleich gebracht: Die Einordnung der damaligen Zeitgenossen von Gewalt als Ausdruck von "Mut", "Ehre", "Tapferkeit" sowie die kriegerischen Folgen waren das Thema. Hihi. Drastisch!

        Aber jetzt weiß ich, wie die Netiquette funktioniert. Wenn ich raune, dass es "damals" auch so anfing, müsste ich eigentlich ebenfalls nicht durchdringen. Der Logik nach. Naja. Ich versuch's einfach mal: "Damals" fing es auch unter dem Deckmantel der Selbstverteidigung an.

  • Wieso muss man drei mal die Polizei rufen, bis ein offenbar verwirrter Mann mitgenommen wird? Offenbar bestand ja kein Interesse an einer Deeskalation. Das eigentlich Versagen liegt doch bei der Polizei.

    • @FraMa:

      Relativ einfach, weil es unser Rechtssystem so gebietet. Das Recht muss immer und universal gelten, ansonsten funktioniert es nicht. Auch wenn es einem manchmal noch so bitter aufstoßen mag. Wie bei dem Piraten aus Somalia, welcher per Asylgesuch hier in Deutschland ankam und nicht rechtskräftig verurteilt werden kann, da das Altersgutachten aussagt, dass die Möglichkeit besteht, dass er zum Tatzeitpunkt noch nicht strafmündig war.

       

      Unser Recht gilt bedingungslos für jeden. Wenn es das nicht mehr tut, dann handelt es sich auch nicht mehr um einen Rechtsstaat. Leider verstehen das viele Menschen heute nicht mehr. Es wird zu sehr auf Polemik und Gefühl gesetzt und zu wenig auf Ratio. Und das nicht nur von Rechts. In der "Nein heißt Nein" Kampagne wird auch viel zu sehr mit hochrotem Kopf argumentiert und schon lange nicht mehr zugehört, geschweige denn kühl abgewogen, was denn rechtsstaatlich überhaupt sinnvoll wäre.

       

      Am Ende vom Tag muss man auch den schlimmsten Straftäter so behandeln, als wäre er unschuldig bis zum endgültigen Beweis der Schuld. Und das heißt halt auch, dass man nicht einfach jemanden festsetzen kann, nur weil man sich bedroht fühlt oder zu der Auffassung gelangt, dass die betreffende Person nicht an Deeskalation interessiert ist.

      • @JoeNight:

        "Am Ende vom Tag muss man auch den schlimmsten Straftäter so behandeln, als wäre er unschuldig bis zum endgültigen Beweis der Schuld."

         

        Rechtlich ist das Unsinn. Frau Zschäpe gehört selbstverständlich eingesperrt, auch wenn ihre Schuld noch nicht endgültig (=>rechtskräftig) festgestellt ist. Es gibt auch den Grundsatz "Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen." Im Falle des Hausfriedensbruch, darf der Täter mit Gewalt rausgesetzt werden. Man muss sich auch nicht mit einer Flasche bedrohen lassen.

         

        Der Umgang mit psychisch Gestörten ist schwierig. Dass es hier ein irakischer psychisch Gestörter ist, ist eigentlich egal. Eigentlich ist das ganze mehr ein Fall für Feuerwehr/Notarzt als für die Polizei.

         

        Dass hier

      • 7G
        73176 (Profil gelöscht)
        @JoeNight:

        Interessanter Kommentar.

        Letztes Beispiel war der erschossene Gorilla: Da wird tatsächlich eine Petition gestartet und von mehreren zehntausend unterschrieben, die fordert, dass die Eltern bestraft werden sollen - ohne Hintergrundwissen, was sich tatsächlich zugetragen hat.

        Mich erinnert das immer an vergangene Tage, als der Pöbel mit Mistgabel und Fackel durch die Straßen zog.

        Heute ist man weiter - man nutzt "soziale" Netzwerke!

  • 3G
    33731 (Profil gelöscht)

    Die Moderation: Kommentar entfernt.

    • 1G
      1714 (Profil gelöscht)
      @33731 (Profil gelöscht):

      Vielleicht will man mit Ihnen gar kein gemeinsames Thema haben. Wäre doch möglich, oder?? Ich will's allemal nicht...

    • @33731 (Profil gelöscht):

      Hä?

    • @33731 (Profil gelöscht):

      Es ist also antideutsch, wenn man auch von der "Bürgerwehr" die Einhaltung von Gesetzen verlangt? Noch ist das Recht nicht wieder durch das "gesunde" Volksempfinden ersetzt.

  • Die beiden Schluss-Sätze: "Die Tendenz ist eindeutig. Hoffentlich findet der Rechtsstaat auch darauf eine eindeutige Antwort." Als taz-Leser stolpere ich: Meint die Autorin, der Rechtsstaat finde im Bereich Asyl/Flüchtlinge regelhaft eine eindeutig menschenrechtlich orientierte Antwort? Oder meint die Autorin nicht vielmehr: "Hoffentlich findet der Rechtsstaat darauf auch eine eindeutige Antwort."? Dies entspräche mehr meiner Erwartung dessen, was die Autorin wirklich sagen möchte.

    Sinn und Sprache sind sensibel...

  • Wenn es stimmt, dass die Polizei den Iraker bereits zweimal zuvor zur Klinik zurück gebracht hat, dann war die ganze Eskalation doch sowieso vermeidbar, aber niemand anscheinend bereit diesem Mann zu helfen. Wer ist denn verantwortlich für die Betreuung eines psychisch Kranken Flüchtlings der die Sprache nicht spricht und versucht ein Problem zu lösen? Erbärmliches Versagen auf ganzer Linie.

  • Stellen Sie sich, Frau Apin, vor, Sie seien Ladenbesitzerin, zum dritten Mal steht ein psychisch kranker Mann bei Ihnen im Geschäft, nachdem Sie ihn bereits zweimal von der Polizei haben entfernen lassen, er ist wütend, reagiert nicht auf Ihre zigfache Aufforderung, das Geschäft zu verlassen, auch nicht auf die Aufforderung, die Weinflasche, die er aus Ihrem Regal genommen hat, zurückzugeben.

     

    (Das ist objektiv, dass was dort passiert ist)

     

    Und in dieser Situation würden Sie keine Bedrohung sehen?

  • Die von Ihnen als Strörenfried verharmloste Person ist ein Straftäter.

     

    § 123

    Hausfriedensbruch

     

    (1) Wer in die Wohnung, in die Geschäftsräume oder in das befriedete Besitztum eines anderen oder in abgeschlossene Räume, welche zum öffentlichen Dienst oder Verkehr bestimmt sind, widerrechtlich eindringt, oder wer, wenn er ohne Befugnis darin verweilt, auf die Aufforderung des Berechtigten sich nicht entfernt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

     

    (2) Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt.

    • @Baidarka:

      Baidarka, Sie behaupten, dass der "Störenfried" ein Straftäter ist. Wer in Deutschland oder in anderen demokratischen Ländern ein Straftäter ist, entscheiden die Gerichte. Da können Sie noch so viele Paragrahpen aus dem Strafgesetzbuch abschreiben. Das ändert daran nichts. Auch Sie haben nicht zu entscheiden, wer ein Straftäter ist.

    • @Baidarka:

      Schon mal was von Gewaltenteilung gehört? In dem Paragraphen steht nicht, dass man auf Zuruf mit Fesselung durch Dahergelaufene bestraft zu werden hat. Du missbrauchst hier einen Rechtsbegriff, um Rechtsbruch und die Aufkündigung unserer zivilisatorischen Basis zu rechtfertigen. Diese Technik ist ein Charakteristikum von Rechts- und Gewaltpopulisten.

    • @Baidarka:

      Falsch, setzen Sechs! Der Iraker ist erstmal nur eine Person. Wenn der Inhaber des Supermarkt (die Kassiererin ist dazu nicht berechtigt, da es nicht deren Geschäftsräume sind) sich entscheidet, einen Straftantrag (und nur dann) wegen Hausfriedensbruch zu stellen, wird der Mann zum Tatverdächtigen. Wenn dann ein ordentliches Gericht ihn wegen des Vorwurfs des Hausfriedensbruchs verurteilt, dann, und nur dann, wird er zum Straftäter.

       

      Genauso wie eine Flasche erst einmal eine Flasche ist und erst dann, wenn sie zur versuchten Verletzung einer Person eingesetzt wird, wird die Flasche zur Waffe.

       

      Interessant ist auch, dass die Bürgerwehrer (also die sächische Scharia-Polizei), die Polizei erst nach ihrer Attacke rufen ließen. Das dürfte im Strafprozess gegen diese noch relevant werden.

    • @Baidarka:

      Die lustigen Menschen mit den Kabelbindern sind vermutlich auch Straftäter.

      https://de.wikipedia.org/wiki/Freiheitsberaubung

      • @LastHope:

        Ich glaube das auch kann man streichen.

         

        Straftäter ist man erst wenn man auch verurteilt wurde.

         

        Desweiteren hat der Mann wohl nur eine Flasche gehalten. Weder geklaut noch was anderes "gemacht". Vielleicht war er verwirrt aber bisher ist wohl die Bürgerwehr die einzigen Tatverdächtigen.

         

        Wie so oft.