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Kommentar Briten und IrakkriegPenibel ausgeleuchteter Fehler

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Der Bericht über Großbritanniens Beteiligung am Irakkrieg liefert faszinierende Fakten. Der Wille zur Selbstkritik verdient Anerkennung.

Vor der Präsentation des Untersuchungsberichts: Protest gegen die Irakintervention von 2003 Foto: dpa

E s hat sieben Jahre gedauert, aber das Warten hat sich gelohnt. Großbritanniens offizieller Chilcot-Untersuchungsbericht über Großbritanniens Beteiligung am Irak­krieg 2003 ist ein Kompendium faszinierender Fakten, eine hervorragende Grundlage sowohl für die zeitgeschichtliche Forschung als auch für mögliche juristische Konsequenzen der darin benannten Fehlentscheidungen.

Groß war vorab die Befürchtung gewesen, dass die lange Bearbeitungszeit helfen könnte, sämtliche unangenehmen oder kontroversen Inhalte zu entfernen und ein halbseidenes amtliches Selbstlob übrig zu lassen. Das ist nicht geschehen, und das verdient Anerkennung.

Der Wille zur institutionellen Selbstkritik ist nicht selbstverständlich, und es gibt nicht viele Länder auf der Welt, in denen Abläufe im Inneren der Sicherheitsapparate so penibel ausgeleuchtet werden können wie jetzt in Großbritannien. In den USA, der Führungsnation im Irakkrieg, gibt es keine mit Chilcot vergleichbare Untersuchung. Frankreich, dessen Kriege in Afrika nicht minder umstritten sind, lässt erst recht kein Licht in sein Dunkel. Deutschland richtet zwar gern parlamentarische Untersuchungsausschüsse ein, findet aber dabei in der Regel nicht aus der Parteipolitik heraus.

Natürlich gibt es jetzt enttäuschte Kriegsgegner, die nur zufrieden wären, wenn Tony Blair persönlich auf der Anklagebank eines internationalen Tribunals säße. Aber die Fixierung auf Rache bietet keine Antwort auf die Grundfrage, um die im Irakkrieg so verbissen gerungen worden ist: Unter welchen Umständen es geboten sein könnte, in einen souveränen Staat einzumarschieren.

Tony Blair und George Bush haben diese Frage vor dreizehn Jahren auf ihre Weise beantwortet; die Geschichte hat ihnen nicht recht gegeben. Eine andere, alle Seiten zufriedenstellende Antwort gibt es nach wie vor nicht. Der Chilcot-Bericht macht es zumindest möglich, die Suche nach Antworten intelligenter zu gestalten.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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22 Kommentare

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  • "Aber die Fixierung auf Rache bietet keine Antwort auf die Grundfrage, um die im Irakkrieg so verbissen gerungen worden ist: Unter welchen Umständen es geboten sein könnte, in einen souveränen Staat einzumarschieren."

     

    Nun - hätte man das nicht VOR dem Einmarsch klären sollen?

  • Zum Glück wurden Saddam Hussein und Gaddafi und Milosevic gestürzt!

     

    Glauben Sie nur nicht, wenn der Diktator noch herrschen würde, gäbe es keine negativen Entwicklungen, die sich globalisieren. Was für ein Irrtum.

    • @nzuli sana:

      "Die Zahlenangaben der Opfer des Irakkrieges und der anschließenden Zeit der Besetzung schwanken je nach Quelle zwischen weniger als 100.000 und mehr als 1.000.000 Menschen.

      Die Koalition der Willigen verschoss im Laufe des Krieges 1000 bis 2000 Tonnen panzerbrechende Uranmunition."

    • @nzuli sana:

      Stimmt die betroffenen Völker freuen sich riesig. Früher starben dort Hunderte Menschen durch die Diktatur. Heute sind es Zehntausende. Ein enormer Fortschritt...

  • "Die Welt war und ist ein besserer Ort ohne Saddam Hussein." .

     

    Saddam Hussein ist aufgehängt worden, was ohne Billigung von Blair und Bush wohl kaum möglich gewesen wäre.

     

    Die Welt wäre sicher auch besser ohne Kriegstreiber wie Bush und Blair.

  • Gerne würde ich alle hier darauf hinweisen das es ein US Dekret gibt das sagt das sobald ein US Amerikaner fürs internationale Gerichtshof gezerrt werd die Vereinigten Staaten Den Haag angreifen soll um die Person zu befreien. So sind sie 'unsere Freunde'

     

    Ein Niederländer

  • "Tony Blair und George Bush haben diese Frage vor dreizehn Jahren auf ihre Weise beantwortet; die Geschichte hat ihnen nicht recht gegeben."

    Ein auf Lügen begonnener Krieg kann also mit passendem Ergebnis legitimiert werden? Aufschlussreich.

  • 6G
    60440 (Profil gelöscht)

    Und wer wirklich wissen will, wies um Blair bestellt war und ist, möge Robert Harris lesen (Ghost).

  • 6G
    60440 (Profil gelöscht)

    Rache ? George Dabbelju und sein Pudel sind Kriegsverbrecher, die nach den Statuten von Nürnberg abzuurteilen wären. Der Strafgerichtshof in Den Haag leidet nicht umsonst darunter, dass sich bislang in erster Linie afrikanische Despoten vor ihm wiederfinden, die viel größeren Verbrecher mit den westlichen Nadelstreifen aber stets ungeschoren davonkommen. Bush und Blair haben bewusst gelogen, Beweise gefälscht, einen durch kein Recht oder UN-Beschluss gedeckten Angriffskrieg geführt, der zu hunderttausenden Toten und bis heute andauernden katastrophalen Zuständen geführt hat. IS, der Zerfall Iaks, Syriens oder Libyens, die Terrorangriffe auf Charlie Hebdo oder auf die Londoner U-Bahn, zuletzt die Anschläge in Bangladesh und Bagdad sind direkt oder indirekt auf dieses Desaster zurückzuführen. Die beiden dummbrutalen Gimpel haben es geschafft eine ganze Weltregion in tiefstes Leid zu stürzen, sie haben die ganze Welt unsicherer gemacht. Dafür gebührt ihnen die Höchststrafe. Nach einem ordentlich geführten Prozess.

  • "Aber die Fixierung auf Rache bietet keine Antwort auf die Grundfrage, um die im Irakkrieg so verbissen gerungen worden ist: Unter welchen Umständen es geboten sein könnte, in einen souveränen Staat einzumarschieren."

     

    Die Antwort steht in der UNO Charta.

     

    Für Blair und viele, die den Angriff auf den Irak immer noch rechtfertigen, ist der Satz: "Die Welt war und ist ein besserer Ort ohne Saddam Hussein." bezeichnend. Ich frage mich, ob die Angehörigen der Opfer der fast täglichen Bombenanschläge in Bagdad ähnlich denken.

     

    Noch immer versuchen Regierungen mit solchen "humanitären" Begründungen Kriege zu rechtfertigen.

  • DJ salviert hier eiskalt, auch seine damalige, antreibende Sicht auf die seinerzeitigen Kriegsbegründungen. Es ist wie so oft: Auch kriegsbejahende Journalisten wollen es dan nachher, relativ nicht gewesen sein. Es wird salviert und laviert, um sich kaltblütig aus der Affäre zu ziehen. Kein Wunder, dass immer mehr Zeitgenossen auch dem Journalismus keinerlei Vertrauen mehr entgegenbringen wollen.

  • Da auch diese Untersuchung wahrscheinlich keine Konsequenzen für die Beteiligten hat, bleibt der internationale Gerichtshof eine Farce. Dort dürfen sich nur Afrikaner verantworten.

  • Penibel ausgeleuchteter Fehler ... Fehler ist viel zu wohlwollend für diesen Vorgang. Wie wenn Firmen handfest betrügen, und von Schummelei gesprochen wird. Es müsste heißen oberflächlich gestreifte Kriegsverbrechen. Hier wurde rücksichtsvoll bestätigt, was in England und im Rest der Welt seit 10 Jahren Allgemeinbildung ist. Dass die ganze Welt belogen wurde, Veto-Recht im Sicherheitsrat missbraucht, eine unbequeme Schlüsselfigur (David Kelly) überraschend Selbstmord beging, ein durch nichts gerechtfertigter Angriffskrieg gegen ein souveränes Land geführt wurde, mit sämtlichen Kriegsverbrechen, die dabei begangen wurden - das gehört untersucht. Und die Verantwortlichen nach Den Haag.

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    Den Verlauf, die Propaganda, die "sincere deceiver" und ihre Wirkung - all dies könnte man als Template benutzen an dem das Wirken der Hillary Rodham-Clinton ab 2017 gemessen werden sollte.

  • Wer es gern ein bißchen ausführlicher hat, der sei auf diesen artikel mit zahlreichen Links verwiesen: http://www.heise.de/tp/artikel/31/31964/1.html

    • @Albrecht Pohlmann:

      Zur Vorgeschichte des Eintritts der Blair-Regierung in den Irakkrieg gehört auch der Tod des Biowaffen-Experten David Kelly, welcher der Blair-Regierung aufgrund seiner Geheimdienstinformationen vorwarf, ihre Berichte über irakische Massenvernichtungswaffen seien aufgebauscht. Kelly starb unter mysteriösen Umständen, eine offizielle Untersuchung stützte aber die staatliche Version vom "Selbstmord" Kellys. Unbegreiflich bloß, daß die Akten über diesen Fall für 70 Jahre geheim bleiben sollen. - Solche staatlicherseits behaupteten "Selbstmorde" wichtiger Zeugen sind stets ein Indiz dafür, daß entweder der Staat selbst oder mächtige Lobbygruppen hinter ihm Zeugen beseitigen lassen. Mich erinnert es an den NSU-Komplex, bei dem es mittlerweile sieben solcher ungeklärten "Todesfälle" von Zeugen gibt. - Zu David Kelly s. ausführlich hier: http://www.heise.de/tp/artikel/31/31964/1.html

      • 6G
        60440 (Profil gelöscht)
        @Albrecht Pohlmann:

        Gut, dass Sie an den Tod von Kelley erinnern. Hatte ich ganz vergessen. Das ganze Lügengebäude von den "weapons of mass destruction" brach für Kundige sichtbar zusammen als Colin Powell im Februar 2003 die UNO und die ganze Welt belog. Und das nicht gut. Das kriminelle Mastermind hinter all dem Terror ist aber natürlich Dick "The Evil" Cheney.

  • Lieber Herr Johnson, Ihrem Lob der britischen Untersuchungen zum Machtmißbrauch der eigenen Regierung stimme ich zu - gerade auch im Vergleich zu dem "Dunkel", in dem andere demokratisch verfaßte Staaten ihre Verfehlungen gern lassen. Nicht einverstanden bin ich mit dem Passus: "Unter welchen Umständen es geboten sein könnte, in einen souveränen Staat einzumarschieren. Tony Blair und George Bush haben diese Frage vor dreizehn Jahren auf ihre Weise beantwortet; die Geschichte hat ihnen nicht recht gegeben." Das klingt so wie: Man kann's ja mal probieren - die Geschichte wird's entscheiden. Es muß aber Möglichkeiten geben, den Staat daran zu hindern, solche fatalen Entscheidungen treffen und umzusetzen! Denn: Solche Untersuchungen wie der Chilcot-Bericht sind lobenswert, aber schaden sie irgendwie den eigentlichen Kriegsprofiteuren? Der Militärisch-Industrielle-Komplex hat doch bekommen, was er wollte: verheerende, endlose Kriege. Und das heißt für diese Masters of War: ausgesorgt für viele Jahre.

    • 6G
      60440 (Profil gelöscht)
      @Albrecht Pohlmann:

      Völlig Richtig. Joschka Fischer erklärte dem süffisant grinsenden vom "alten Europa" schwafelnden Rumsfeld zu den Kriegplänen und den vorgelegten "Beweisen"; "I´m not convinced." Was immer man sagen kann über Rot-Grün unter Gerd und Joschka, sie wussten es damals schon besser und behielten Recht. Wäre allerdings Merkel schon damlas Kanzlerin gewesen ...

  • Es gibt da schon Initiativen Blair ranzukriegen: http://www.arrestblair.org

    Tony Blair und George Walker Bush sollten sich dem Kriegsgerichtshof in Den Haag stellen müssen. Wenn die unschuldig sind kann man die ja wieder laufen lassen.

  • (mindestens) 151.000 Toten bis Anfang 2008 und den IS über gelassen!

     

    Aber bischen Selbstkritik und die Welt im Norden is wieder "Bombe"!

     

    Scheiß Imperialismus! Scheiß Kapitalismus!