Kommentar Brexit-Votum der Lords: Mensch, nicht Verhandlungsmasse
EU-Bürger sollen in Großbritannien bleiben dürfen. Das Oberhaus bringt damit die inhaltliche Debatte um die Auswirkungen des Brexit voran.
E ndlich kommt Bewegung in die britische Brexit-Debatte. Mit dem Votum, die Regierung zur Gewährleistung des Bleiberechts von bereits in Großbritannien lebenden EU-Bürgern auch über den Brexit hinaus aufzufordern, hat das Oberhaus des britischen Parlaments die Diskussion von der formalen auf die inhaltliche Ebene gehoben.
Das Für und Wider des EU-Austritts ist entschieden. Aber das Wie ist noch völlig offen. Je früher und genauer darüber gesprochen wird, desto besser.
Die Frage, was aus EU-Bürgern in Großbritannien wird – und umgekehrt aus Briten in EU-Staaten –, sollte eigentlich in den anstehenden Austrittsgesprächen keine Rolle spielen dürfen. Ein Mensch ist kein Spielball und keine Verhandlungsmasse.
Aber weder die Regierung Theresa May in London noch die EU wollen bei dieser Frage in Vorleistung treten – obwohl genau diese Vorleistung der beste Einzelschritt wäre, dem Brexit seinen Schrecken zu nehmen. Manche Brexit-Gegner wollen dem Brexit natürlich gar nicht den Schrecken nehmen. Diesem Zynismus gehört schnellstmöglich ein Riegel vorgeschoben.
Das House of Lords in London kann freilich nur symbolische Riegel vorschieben. Die Zeiten, in denen die Sitze im britischen Oberhaus mehrheitlich innerhalb der Aristokratie vererbt wurden, sind zwar längst vorbei; inzwischen sind die meisten Lords und Ladys ernannte Technokraten, die für ihre Verdienste und Expertise mit einem Parlamentssitz belohnt werden. Aber sie sind nach wie vor nicht gewählt und können Beschlüsse des gewählten Unterhauses nicht durchkreuzen. Ihre Funktion ist die eines Korrektors für Gesetzentwürfe aus dem Unterhaus – und die eines Beinpinklers, der ab und zu eine politische Duftmarke setzt, die zum Nachdenken anregen soll.
Dieses Votum ist eine solche Duftmarke. Es wird daraus keine Blockade des Brexit. Aber vielleicht riecht es jemand in 10 Downing Street – und in Brüssel.
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