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Kommentar Auschwitz-Urteil des BGHReichlich verspätete Gerechtigkeit

Kommentar von Klaus Hillenbrand

Das Urteil ist ein Meilenstein im Umgang mit Nazitätern. Und die symbolische Bedeutung kann gar nicht hoch genug bewertet werden.

Der Haupteingang der Vernichtungslagers Auschwitz Foto: dpa

E s ist ein Meilenstein in der Geschichte der Strafverfolgung von Nazitätern. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass es zu einer Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord ausreicht, wenn der Täter in einem Lager wie Auschwitz als Wachmann oder Buchhalter den Mordbetrieb unterstützt hat. Eine unmittelbare Tatbeteiligung ist dazu nicht erforderlich. Damit könnten nun endlich die Tausenden SS-Wachhabenden und Bürokräfte zur Verantwortung gezogen werden, denen kein individueller Mord nachweisbar war – nicht verwunderlich angesichts der Tatsache, dass die Zeugen ihrer bestialischen Taten fast ausnahmslos selbst ermordet worden sind.

Die Täter könnten jetzt belangt werden. Aber das wird nicht passieren. Das BGH-Urteil kommt um Jahrzehnte zu spät, und das wohl nicht ganz zufällig. Fast alle mutmaßlichen Täter sind inzwischen, mehr als 71 Jahre nach dem Ende des NS-Regimes, verstorben. Ja, es leben noch einige wenige Greise, denen nun der Prozess bereitet werden kann.

Das ist auch gut so, denn warum sollte ein Mordhelfer straffrei ausgehen, nur weil es ihm gelungen ist, sich unter tätiger Mithilfe der Justiz lange genug vor einer Haftstrafe zu drücken? Auch einige wenige ihrer mit dem Leben davongekommenen Opfer leben schließlich noch, ganz zu schweigen von ihren Nachfahren. Ihr Verlangen nach Gerechtigkeit misst sich nicht an der Zahl der vergangenen Jahre seit dem Holocaust. Mord verjährt nicht.

Die letzten Verfahren gegen Nazitäter, die nun noch folgen mögen, sind strafrechtlich betrachtet nur noch von geringer Relevanz. Viel größer ist ihre symbolische Bedeutung – als Auseinandersetzung mit begangenem deutschem Unrecht, ja, auch als eine Art Geschichtsunterricht aus einer inzwischen fernen Zeit. Das ist gerade angesichts des Versuchs von rechtspopulistischer Seite, die deutsche Geschichte in ein günstigeres Licht zu rücken, bitter nötig – man denke nur an Frauke Petrys Erklärung, das „Völkische“ positiv besetzen zu wollen.

Selbstverständlich haben all diejenigen recht, die der Justiz vorwerfen, sie habe die Verurteilung all der Schreibtischtäter, Richter und Staatsanwälte in Nazidiensten viel zu lange systematisch boykottiert. Aber wenn es im Jahr 2016 überhaupt noch etwas gibt, das dem Recht zu seinem sehr späten Durchbruch verhilft, dann ist es dieses Urteil. Dafür gebührt dem Bundesgerichtshof Dank.

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taz-Autor
Jahrgang 1957, ist Mitarbeiter der taz und Buchautor. Seine Themenschwerpunkte sind Zeitgeschichte und der Nahe Osten. Hillenbrand ist Autor mehrerer Bücher zur NS-Geschichte und Judenverfolgung. Zuletzt erschien von ihm: "Die geschützte Insel. Das jüdische Auerbach'sche Waisenhaus in Berlin", Hentrich & Hentrich 2024
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9 Kommentare

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  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...die deutsche Justiz, der BGH, wartete mit dieser Entscheidung so lange, bis 99,99 % der Täter verstorben, bzw. nicht mehr haftfähig waren, gehorsam bis zum Schluss ; )

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    "Ich jedenfalls wünsche den Richtern und auch Klaus Hillenbrand, dass ihnen nicht in 20 Jahren der Prozess für dieses Urteil gemacht wird."

     

    Sie leben also in einer Welt in der Journalisten möglicherweise 20 Jahre nach Erscheinen eines von ihnen geschriebenen Artikels von der Justiz belangt werden können.

     

    Schräge Sache, oder?

     

    Und der neueste Hit ist es ja nicht, dass Mitglieder einer Mörderbande für ihre Mitgliedschaft ohne einzelnen Tatnachweis verurteilt werden. Man denke nur an die RAF.

     

    Und was alles mit dem rot-grünen Zeitgeist zu tun haben soll, das mag sich mir auch nicht erschließen.

     

    Und wieso sollte es nur das "Sein" des Buchhalters von Ausschwitz sein, das verurteilt wurde. Hat er denn den ganzen Tag nur dagesessen ohne irgendwelches "Tun"?

  • Das Urteil bestätigt Ralph Giordanos Kritik der 'Zweiten Schuld'. Justiz und Gesellschaft haben nach 45 die Täter davonkommen lassen. Die Mörder vor Ort und an den Schreibtischen konnten zumeist ungestört ihre Karrieren fortsetzen. Sie starben in der Regel friedlich in ihren Betten. Ihre Opfer hatten nicht einmal ein Grab.

    Die Postings der Taz-Leser zeigen, dass sie anscheinend auch nix begriffen haben. Für die Täter der Zukunft bedeutet das Urteil: Ruhe bewahren, denn wenn die Gesellschaft einfach wegschaut, besteht für die Täter danach keine Gefahr ernsthaft zur Rechenschaft gezogen zu werden. Die mitwissenden Reichsbürger und Hitlerwähler haben nach 1945 die Täter gedeckt, sonst hätten sie sich dem Grauen stellen müssen. Man gab sich aber lieber der Lebenslüge der Verführten und Belogenen hin. Insofern ist das Urteil jetzt nur ein Trauerspiel ohne Folgen.

  • "Das ist auch gut so, denn warum sollte ein Mordhelfer straffrei ausgehen, nur weil es ihm gelungen ist, sich unter tätiger Mithilfe der Justiz lange genug vor einer Haftstrafe zu drücken?"

     

    Weil die Resozialisierung damit offensichtlich erfolgreich war, und damit der offizielle Haftgrund des deutschen Rechtssystems wegfällt? Eine Inhaftierung von Menschen die seit mehr als 70 Jahren nicht mehr straffällig geworden sind ist doch nur Rache, und hat für den Schutz der Gesellschaft keinerlei Relevanz.

    • @ShieTar:

      sie hätten recht, wenn der buchhalter inzwischen "sozialisiert" wäre; dann aber zeigt das strafurteil einen weiteren mangel des deutschen strafrechts: seine fantasielosigkeit im erwachsenen-strafrecht ausser geld- und freiheitsstrafe nicht auch formen des sozialen strafens - wie etwa wiedergutmachung - in die strafrichterliche entscheidungs- macht zu stellen: hatte uns der smarte bundesjustizminister nicht auch eine revision des mordparagrafen versprochen ?

  • gut so durchkämmt jetzt alle Altersheime, es werden sich sicher noch ein paaar hundertjährige fnden, die man auf die Anklagebank zerren kann, die dann als Alibi für 60jähriges Versagen der Justiz herhalten können, vielleicht kommt noch jemand auf die idee, die Richter, die jetzigen und vergangenen des Bundesgerichtshofes zu überprüfen ich wette da gibts bestimmt ein paar braune Flecken, was seit ihr doch für Heuchler

  • Ob Herr Gröning tatsächlich ins Gefängnis muss, ist in diesem Fall möglicherweise zweitrangig. Viel wichtiger ist das Signal an die gegenwärtig aktiven Verbrecher weltweit, sie sollten sich nicht zu sicher sein. Sie werden sich nicht auf ihre Ideologie und ihre Befehlsgeber, die ihnen das „Recht“ gaben, herausreden können!

     

    Diese Botschaft ist bei den Betreffenden durchaus angekommen. Sie wollen sich nun vorsichtshalber aus der drohenden Strafverfolgung heraus mogeln. Und so gibt es eine illustre Gesellschaft von Staaten, allen voran USA, Russland und China, die den Verträgen mit dem Haager Strafgerichtshof gar nicht erst beigetreten sind oder sich neuerdings wieder verabschiedet haben!

  • Der BGH bestätigte die Verurteilung des früheren SS-Mannes Oskar Gröning, der in einem KZ überwiegend als Buchhalter tätig war. Klaus Hillenbrand hält das Urteil für einen „Meilenstein in der Geschichte der Strafverfolgung von Nazitätern.“ Er schreibt: „Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass es zu einer Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord ausreicht, wenn der Täter in einem Lager wie Auschwitz als Wachmann oder Buchhalter den Mordbetrieb unterstützt hat. Eine unmittelbare Tatbeteiligung ist dazu nicht erforderlich.“

    Da wird ein Mann dafür verurteilt, weil er an dem Ort arbeitete, an dem (nach meiner und unserer Ansicht und – entscheidend) nach Ansicht der Richter massenmörderisches Unrecht geschah.

    Ich meine: Das Verlangen der Opfer und derer Nachfahren nach Gerechtigkeit ist verständlich, legitim und politisch von enormer Bedeutung, darf aber nicht Maßstab für ein Urteil sein.

    Entscheidend ist: Da wird jemand vorrangig nicht dafür verurteilt, dass er etwas tat, sondern etwas war. Ob er das für richtig hielt, spielt keine wesentliche Rolle.

    Ich halte das Urteil in dieser Form für falsch. Es handelt sich aus meiner Sicht um politische Justiz gemäß dem Zeitgeist von Rot-Grün als Zeichen gegen die (im Artikel ja nicht zufällig erwähnte) AfD.

    Zudem: Was macht die Justiz denn jetzt mit den noch lebenden Ehefrauen der SS-Männer, die mit im Lager wohnten oder die darum gebeten hatten?

    Ich jedenfalls wünsche den Richtern und auch Klaus Hillenbrand, dass ihnen nicht in 20 Jahren der Prozess für dieses Urteil gemacht wird. Ihre Richter werden dann womöglich darauf hinweisen, dass sie das Sein des Angeklagten Oskar Gröning verurteilten, nicht sein Tun, und dass eine solche Sichtweise rassistisch ist und dass Klaus Hillenbrand darüber frohlockte. Und viele seiner LeserInnen auch.

    Na, das wird ja eine Prozesslawine geben.

    Martin Korol, Bremen

    • 8G
      88181 (Profil gelöscht)
      @Martin Korol:

      "Ich jedenfalls wünsche den Richtern und auch Klaus Hillenbrand, dass ihnen nicht in 20 Jahren der Prozess für dieses Urteil gemacht wird."

       

      Sie leben also in einer Welt in der Journalisten möglicherweise 20 Jahre nach Erscheinen eines von ihnen geschriebenen Artikels von der Justiz belangt werden können.

       

      Schräge Sache, oder?

       

      Und der neueste Hit ist es ja nicht, dass Mitglieder einer Mörderbande für ihre Mitgliedschaft ohne einzelnen Tatnachweis verurteilt werden. Man denke nur an die RAF.

       

      Und was alles mit dem rot-grünen Zeitgeist zu tun haben soll, das mag sich mir auch nicht erschließen.

       

      Und wieso sollte es nur das "Sein" des Buchhalters von Ausschwitz sein, das verurteilt wurde. Hat er denn den ganzen Tag nur dagesessen ohne irgendwelches "Tun"?