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Kommentar Asylpaket der KoalitionHauptsache schnell abschieben

Tobias Schulze
Kommentar von Tobias Schulze

Die Spitzen der Koalition haben sich auf Maßnahmen geeinigt, die das Asylverfahren beschleunigen sollen. Um Fluchtursachen geht es kaum.

Haben sich geeinigt: Sigmar Gabriel, Horst Seehofer und Angela Merkel (v.r.n.l.). Foto: dpa

A n die Fluchtursachen hat die Regierung am Donnerstag nicht gedacht. Acht Seiten umfasst das Maßnahmenpapier, auf dass sich die Koalition im Kanzleramt einigte. Um die Frage, warum Menschen ihre Heimat verlassen, geht es aber nur an einer Stelle – und auch dort nur am Rande (um die Lage in Afghanistan zu verbessern, will die Regierung den Einsatz der Bundeswehr verlängern).

Diese Prioritätensetzung ist verständlich: SPD, CDU und CSU wollen die Zahl der Flüchtlinge in Deutschland senken. So schnell wie möglich. Will die Koalition das schaffen, muss sie auf Abschottung und Abschiebungen setzen. Langfristig kann sie damit aber nicht verhindern, dass Menschen aus Krisen- und Armutsregionen nach Europa drängen.

Beispiel Türkei und Syrien: In ihrem Papier kündigt die Koalition an, auf Erdogan und seine Regierung zuzugehen. Deutschland bietet den Türken Geld, neue Verhandlungen über den EU-Beitritt und Gespräche über Visa-Erleichterungen. Damit liegt die Bundesregierung auf Linie mit der EU-Kommission.

Prinzipiell ist dagegen nichts einzuwenden. Dass Europa die Türkei jahrelang abweisend behandelte, hat dazu beigetragen, dass Erdoğan vom Demokratisierungsprozess, den Friedensgesprächen mit den Kurden und seinem pro-europäischen Kurs abrückte. Ihn und die Türken durch Angebote zu einem neuen Dialog zu bewegen, ist daher richtig.

Geschenke wie die Visa-Freiheit für türkische Bürger kann Europa aber nur einmal vergeben. Die EU sollte also genau darüber nachdenken, welche Gegenleistung die Türkei fordert.

Grenzsicherung Richtung Griechenland

Die EU möchte, dass die Türkei die Grenze Richtung Griechenland besser sichert, also Flüchtlingsboote an der Abfahrt hindert. Die Koalition hat nun in ihr Papier geschrieben, dass die Türkei so rasch wie möglich „der Rückführung von Drittstaatsangehörigen aus der EU“ zustimmen solle. Beide Maßnahmen werden dazu beitragen, dass weniger Flüchtlinge nach Deutschland kommen oder hier bleiben. Wie viele weniger es sein werden, kann niemand vorhersagen. Klar ist aber: Die Maßnahmen sorgen nicht dafür, dass sich aus Syrien überhaupt keine Flüchtlinge mehr auf den Weg nach Europa machen.

Dafür müsste der Krieg in Syrien enden. Auch die Türkei könnte einen Beitrag dazu leisten: indem sie aufhört, die Kurden zu bekämpfen. Deren syrische Miliz ist schließlich eine der wenigen halbwegs vernünftigen Kräfte, die dem IS Paroli bieten.

Visa-Freiheit für die Türkei gegen Waffenstillstand mit den Kurden: Das wäre ein Angebot, mit dem EU und Bundesregierung einen Beitrag zur Entschärfung der Flüchtlingskrise leisten könnten. Dass dieser Plan aufgeht, wäre aber nicht garantiert. Dass er kurzfristig die Lage an den bayerischen Grenzübergängen beruhigt, wäre sogar ausgeschlossen. Und so beschließen die Koalitionsspitzen wenige Wochen nach der ersten Asylrechtsverschärfung ein achtseitiges Maßnahmenpaket zur zweiten Asylrechtsverschärfung, aber kein einziges Papier zur Bekämpfung der Fluchtursachen.

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Tobias Schulze
Parlamentskorrespondent
Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.
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6 Kommentare

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  • Hätte sich Deutschland, und seine Mehrheitsgesellschaft, immer an Recht und Gesetz gehalten, wenn es um Waffenexporte ging? Wenn es um völkerrechtswidrige und an deren Beteiligung ging? Wenn es um die Destabilisierung von Ländern und deren Beteiligung ging? Wenn es um einseitige Handelsverträge, zum Nachteil in erster Linie für die Ärmsten Länder der Welt? Wenn es um die sog. Entwicklungshilfe gegangen ist und geht, welche in erster Linie deutschen Firmen ihre Geschäftsmodelle sicherte, um weiter Menschen vor Ort ausbeuten zu können? Nicht einmal die 0,7 % welche der Westen den armen Ländern zugesagte hatte, wurde eingehalten, gerade einmal 3%? Obwohl täglich noch immer einhunderttausend Kinder an Hunger und deren Folgen von Hunger auf dieser Welt sterben? Wenn viele Deutsche heute im Bezug auf Flüchtlinge, Ross und Reiter nicht nennen wollen, dann sollten diese feinen Deutschen nicht von Invasion schreiben, denn nach Definition von Wikipedia bedeutet Eine Invasion (von lat. invadere – dt. hineingehen, eindringen) bezeichnet das feindliche Einrücken von Militär in fremdes Gebiet.[1]? Aber ich gehe einmal davon aus, dass die Mehrheit der Deutschen dies auch weiß. Viele Deutsche haben eben vergessen, wem Deutschland seinen wirtschaftlichen Wiederaufstieg zu verdanken hatten und haben. Ideologisch wie man heute wieder sehen, hören und leider auch oft auf Demos gesagt wird, nicht viel dazu gelernt?

  • mmh!das die herren ihre dienste ganz anderen zu verfügung stellen ,sollte eigentlich jeden klar sein.die flüchtlinge wurden mit verspechungen und geld gelockt und werden dann wenn sie von geld abhängig sind verheizt.

    das merkel jetzt auf mutter teresa macht, ist von scheinheiligkeit kaum zu überbieten, nur obama leuchte da ein bisschen mehr.

     

    mein fazit:die flüchtlinge werden wie wir für dumm verkauft.

  • pro asyl ist mit http://www.proasyl.de/de/news/detail/news/groko_beschluss_fluechtlinge_entrechten_familien_auseinanderreissen_europa_abschotten/

    wesentlich ausführlicher.

    und macht sehr deutlich, welche verstöße gegen geltendes recht in diesem paket enthalten sind.

     

    es wird allerhöchste zeit, sich vor allem das obiter dictum im flughafenverfahren http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv094166.html#

    vorzunehmen, um ganz konservativ argumente gegen die gehörsverletzungen qua gesetz zu entwickeln.

  • Der Herr Seehofer hätte sehr gut daran getan, sich gestern Abend den Bericht von Monitor anzusehen und nichgt weiter an den Stammtischen zu palavern. Es ist einfach Hirnlos, was dieser Mensch(?) von sich gibt. Anführer einer CHRISTLICHEN Organisation?

    Er lebt tatsächlich das, wofür das CHRIST SEIN schon seit dem frühen Mittelalter steht, was früher die Kirche tat und heute die Politiker tun: ANGST VERBREITEN, den Teufel an die Wand mahlen:

    TEILE UND HERRSCHE!!

    Die Stratigie ist doch klar: Uns weiter für dumm verkaufen, damit er weiter an der Macht bleiben kann.

  • ob die redaktion wohl einen link auf dieses iminöse papier hätte?

    ich hab bislang nur http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2015/11/2015-11-06-kanzleramt-fluechtlingspolitik.html;jsessionid=875C4193DE7736CC9376463FA68FA9C1.s4t2

    gefunden - und wüßte es gern noch genauer.

  • Nicht einmal, wenn sie etwas falsch machen, machen sie es handwerklich korrekt.

     

    Eine solche Ansammlung notorischer Stümper wäre in Frankreich schon längst von der Bevölkerung in die Wüste geschickt worden.