Kommentar Antisemitismus-Vorwurf: Klamauk mit Michael Müller
Ist Berlins Bürgermeister einer der „zehn schlimmsten Antisemiten der Welt“? Das Simon-Wiesenthal-Center macht sich mit seiner Liste lächerlich.
B erlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) darf sich wundern. Das Simon Wiesenthal Center (SWC) in Los Angeles erwägt, ihn auf seine Liste der zehn schlimmsten Antisemiten der Welt zu setzen. Der Grund? Müller hat die Israel-Boykottbewegung BDS noch nicht lautstark kritisiert. Damit steht er nicht allein. Hat sich etwa Jens Spahn schon dazu geäußert? Und, was schwerer wiegen dürfte: Berlin weigert sich, die Boykottbewegung zu kriminalisieren, wie es die Stadt Frankfurt gerade gemacht hat. Damit hat sich Michael Müller in den Augen des SWC schwer verdächtig gemacht.
Erstaunlicherweise gibt es noch Leute, die das Simon Wiesenthal Center ernst nehmen. Auf dessen absurden Top-Ten-des-Antisemitismus-Listen landeten in den vergangenen Jahren neben Terrormilizen wie dem IS und Demagogen wie Mahmud Ahmadinedschad, die man als echte Bedrohung betrachten kann, auch der Journalist Jakob Augstein, die Europäische Union oder die UNO.
Im Grunde läuft jeder, der die israelische Politik zu scharf kritisiert, Gefahr, auf dieser Liste zu landen. Der Antisemitismus-Vorwurf verkommt damit zur billigen Münze im Meinungsstreit. Selbst wohlmeinende Kritiker wie Michael Wolffsohn halten die Aktionen des SWC für geschmacklos und sprechen von „Klamauk“.
Mit dem Namensgeber hat das Wiesenthal Center nicht viel zu tun. Es hat ihm das Recht, seinen großen Namen zu tragen, vor vielen Jahren einmal abgekauft. Seitdem zieht es sein Erbe in den Schmutz. Der 2005 in Wien verstorbene Simon Wiesenthal würde sich im Grabe umdrehen, wenn er wüsste, welcher Unsinn heute in seinem Namen getrieben wird. Er hat noch echte Judenfeinde gejagt: überzeugte Nazis, gesuchte Kriegsverbrecher und Massenmörder. Und nicht irgendwelche Oberbürgermeister deutscher Großstädte, deren einziges Vergehen es ist, dass sie sich nicht zu allem äußern. Was man ja auch als eine Tugend betrachten kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“