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Kommentar Anschläge in BrüsselFragwürdiges Bashing

Eric Bonse
Kommentar von Eric Bonse

Halb Deutschland macht sich über die belgischen Terrorfahnder lustig. Dabei fällt auch hierzulande die Bilanz der Ermittler mager aus.

Noch immer wird der Flughafen in Brüssel stark bewacht Foto: dpa

I rgendwie war schon immer klar: Außer Schokolade, Pommes und Bier kriegen die Belgier nichts auf die Reihe. Dies ist – kaum überspitzt – die deutsche Reaktion auf die Pannenserie, die die Suche nach den Terroristen von Brüssel überschattet. „Polizei kommunizierte per WhatsApp, Abdeslam war zu müde für Verhör“, machte sich Spiegel Online lustig.

Wer in Brüssel lebt und den Terror miterlebt hat, kann über derlei Schlagzeilen allerdings nicht lachen. Denn zum einen waren die vermeintlichen SPON-Exklusivmeldungen ziemlich alt; zum anderen fragt man sich, was denn eigentlich Deutschland tut, um Belgien aus der Patsche zu helfen.

Und da fällt die Bilanz ziemlich mager aus. Außer ein paar netten Worten und der Mahnung, Informationen endlich besser auszutauschen, fiel Bundesinnenminister Thomas de Maizière nicht viel ein. Deutschland selbst gibt keine Informationen an die Polizeibehörde Europol weiter.

Auslieferung von Abdeslam

Die belgische Justiz hat der Auslieferung des in Belgien festgenommenen mutmaßlichen Paris-Attentäters Salah Abdeslam an Frankreich zugestimmt. "Der Transfer ist genehmigt", teilte die Generalstaatsanwaltschaft am Donnerstag nach zwei Gerichtssitzungen mit. Über die weiteren Schritte würden nun die französischen und belgischen Behörden gemeinsam beraten. Auch Abdeslam selbst habe seiner Überstellung nach Frankreich seine "klare Zustimmung" gegeben.

Abdeslam war am 18. März nach mehr als vier Monaten auf der Flucht bei einer Großfahndung in Brüssel verhaftet worden. Bei den Anschlägen in Paris am 13. November wurden 130 Menschen getötet. (ap)

So wissen wir bis heute nicht, was einer der Brüsseler Hauptverdächtigen, Salah Abdeslam, in Ulm getrieben hat, wo er im Herbst gesichtet wurde. Wir wissen auch nicht, warum der deutsche Salafist Samir E., der in Düsseldorf festgenommen wurde, gemeinsam mit dem Brüssel-Bomber Ibrahim El Bakraoui aus der Türkei ausgewiesen wurde.

Das ist merkwürdig. Denn gleichzeitig macht sich halb Deutschland darüber lustig, dass die Belgier nicht sofort reagiert haben, als die Türkei El Bakraouis Abschiebung in die Niederlande bekannt gegeben hat. Das war tatsächlich eine ernste Panne – hätten die belgischen Behörden geschaltet, hätten sich die Attentate in Brüssel womöglich verhindern lassen.

Doch auch die deutschen Behörden wirken alles andere als schlagkräftig – und das erst nicht seit gestern. Schließlich hatten sie schon die Hamburger Terrorzelle bei den Attentate vom 11. September übersehen. Auch beim NSU-Terror haben sie lange nichts gerafft. Deshalb wirkt der Spott gegen Belgien so deplatziert.

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Eric Bonse
EU-Korrespondent
Europäer aus dem Rheinland, EU-Experte wider Willen (es ist kompliziert...). Hat in Hamburg Politikwissenschaft studiert, ging danach als freier Journalist nach Paris und Brüssel. Eric Bonse betreibt den Blog „Lost in EUrope“ (lostineu.eu). Die besten Beiträge erscheinen auch auf seinem taz-Blog
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8 Kommentare

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  • Wie heißt es so schön:" Wer mit dem Finger auf andere zeigt, zeigen vier auf einem zurück"

     

    Aber sind wir mal ehrlich war das nicht schon immer so in Deutschland? Hunderttausende NS Täter hat man erst gar nicht den Prozess gemacht.

     

    Das Münchner Attentat war wie man heute weiß, kein Einzeltäter. Alleine seit dem Mauerfall wurden wieder mehr als 160 Menschen Opfer rechter Gewalt. Wie viele wurden ermittelt und verurteilt?

     

    Alleine im Jahr 2015 gab es über 1000 Angriffe auf Flüchtlingsheime und Flüchtlinge, wie viele Sondersendungen gab es dazu, wie viele Täter wurden bisher ermittelt und verurteilt?

     

    Dagegen gab es über ein Dutzend Sondersendungen bezüglich der Übergriffe in der Sylvester Nacht in Köln, alleine im Deutschen Fernsehen?

     

    Aber so wie viele Deutsche den Juden Holocaust nicht verzeihen, so wenig verzeihen viele Deutsche den Flüchtlingen die Fluchtursachen nicht, dessen Bekämpfung bis heute nicht erfolgt. Man verzeiht den Flüchtlingen den Wirtschaftsterror des Westens nicht, nicht den Bomben und Drohnen Terror, ebenso wenig die Völkerrechtswidrigen Kriege auf Grund von Lügen, die vielen Destabilisierungen von Ländern usw.? All das verzeiht man den Flüchtlingen nicht?

  • "[...] die Hamburger Terrorzelle bei den Attentaten vom 11. September übersehen [...] beim NSU-Terror lange nichts gerafft." Also auch in der BRD - wie im Königreich Belgien - nur "Pannenserien"? - Mit Verlaub, ich halte solcherart Berichterstattung eines gestandenen Journalisten für naiv. Bestenfalls.

  • "Doch auch die deutschen Behörden wirken alles andere als schlagkräftig – und das erst nicht seit gestern. "

     

    Und das ist noch sehr freundlich formuliert , wenn man sich z.B. diese Fakten ansieht :

    "...Landesweit befinden sich mehr als 450 verurteilte Rechtsextreme noch immer auf freiem Fuß, obwohl sie im Gefängnis sein müssten, wie die Bundesregierung im Herbst 2015 auf eine parlamentarische Anfrage hin mitteilte. Noch katastrophaler ist die Bilanz bei Verbrechen insgesamt - das ist relevant, weil fast alle islamistischen Täter eine umfangreiche Verbrechenshistorie hatten. In Berlin, gab die Staatsanwaltschaft im Sommer 2014 zu, wurden zu diesem Zeitpunkt 6500 Haftbefehle nicht vollstreckt, darunter 1500 Personen, die zu Gefängnisstrafen verurteilt worden waren. Eine Liste der Polizei kommt sogar auf 9000 offene Haftbefehle, weil sie Untersuchungshaftbefehle mit einbezieht. Und das allein in Berlin. Ein derart zahnloses Justizsystem ist der völlig unterskandalisierte Nährboden für jede Form von gewalttätigem Extremismus."

    -Auszug aus Sascha Lobos Kolumne vom 30.03.2016 , http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/sascha-lobo-ueber-is-terror-ueberwachung-ist-die-falsche-antwort-a-1084629.html

    • @APOKALYPTIKER:

      Richtig, aber da wird sich nichts dran ändern, solange wir nicht bereit sind für Polizeiarbeit mehr Geld zur Verfügung zu stellen.

       

      Die 6500 Haftbefehle vollstrecken sich ja nicht von alleine. Dazu braucht es mind. 2 Polizisten, gut ausgebildet und mit kompletter Ausrüstung, 1 Streifenwagen mit kompletter Ausrüstung sowie die freie Zellen.

  • Ein Kommentar so überflüssig und nebensächlich wie er nur sein kann. Zum einen ist das Ermittlungsversagen beim NSU vollkommen anders zu bewerten, denn es geht beim NSU um ein aktives Mittun von Behörden beim Aufbau und der Finanzierung rechter Terrorzellen, welche vor der Fahndung von staatlichen Stellen geschützt wurden. Es geht also beim NSU um ein Staatsverbrechen. Zum anderen das mit der Hamburger Terrorzelle kann man glauben, wenn man es tatsächlich für möglich hält, dass 19 Terroristen von denen 5 oder so zum Tatzeitpunkt garnicht in den USA waren in der Lage sind trotz mangelhafter Flugkenntnisse 4 Passagierjets mit Buxcuttern zu entführen und koordiniert in zentrale Ziele zu steuern, ohne dass die Flugüberwachung eingreift. Da glaubt man dann auch, dass Kennedy von einem Mann aus drei Richtungen mit Schüssen im Abstand von 6 Sekunden erschossen wurde. Was bitte sollen solche Kommentare? Fehlt nur noch die Sauerlandgruppe in der Aufzählung.

  • Noch dazu wenn man sich anschaut, wie es um die Infrastruktur der deutschen Polizei bestellt ist, und den Auswirkungen, die das im Ernstfall haben wird.

     

    Etwa aus dem heise-Bericht über den Berliner Digital-Polizeifunk von vorgestern:

     

    * hätte zur WM 2006 fertig sein sollen

    * "weniger als 50" Sendeanlagen, damit fast ⅓ der Anzahl des halb so großen Wien

    * Sendeanlagen oft ohne Rücksicht auf lokale Gegebenheiten aufgestellt

    * Beamte so oft ohne Funkabdeckung, auf eigene Handys oder den Umweg ins Netz der ÖPNV angewiesen

  • Bin ebenfalls erschrocken, dass die Sicherheitskräfte Belgiens in den Medien so negativ beschrieben werden. Viel anders sieht es bei uns doch auch nicht aus. Ein Staat wie der unserige, dessen Behörden noch nicht einmal wissen, wer und wieviel im letzten Jahr hineingekommen sind, in dem es möglich ist, verschiedene Identitäten anzunehmen und der zumindest in der Außenwirkung bei der Bewältigung der Immigration überfordert scheint, der steht zumindest auf einer Stufe mit Belgien. Und Moolenbeeks gibt es auch hier zuhauf, z. B. Bonn-Tannenbusch oder Teile Bad Godesbergs(wegen dieser Nähe zu Köln ist eine Anschlagsplanung auf den Köln-Bonner Flughafen durchaus im Bereich des Möglichen).

    Aus den Fehlern der belgischen Sicherheitsbehörden sollte man lernen und nicht darüber spotten.

    • @Hans-Georg Breuer:

      @Hans-Georg Breuer

      Wäre es nicht besser, viele Deutsche würden lieber sich über die Fluchtursachen beschweren, als über Flüchtlinge, welche aus Notwehr handeln? Aber offensichtlich verzeihen viele Deutsche den Flüchtlingen nicht, den Wirtschaftsterror, Bomben und Drohnen des Westens, die Völkerrechtswidrigen Kriege auf Grund von Lügen, die Destabilisierung von Ländern usw. Solange der Westen mit seinen gerade einmal 10% der Weltbevölkerung den Rest der Welt als seine Kolonien betrachtet und auch so behandelt, braucht sich niemand über die Flüchtlinge und Terroristen beschweren, sondern sollten sich über die Fluchtursachen beschweren, dessen Bekämpfung wird im Westen von wem konsequent gefordert und umbesetzt. Solange man sich eher über Flüchtlinge beschwert, welche in erster Linie Opfer einer westlichen, imperialen, kolonialen Politik des Westens sind, solange war und ist der Westen selber verantwortlich für die Folgen. Ursachen und Wirkung werden offensichtlich gerne verwechselt.