Kommentar Alternativer Mietgipfel: Zartes Pflänzchen
Erstmals kommen die wichtigsten Akteure der Mieterbewegung zusammen. Eine Großdemonstration wird es aber auch 2018 nicht geben.
F ast 300 Teilnehmer haben sich zu dem Alternativen Wohngipfel angemeldet, der am Donnerstag in Berlin beginnt. Es ist ein zartes Pflänzchen, das da im Friedrichshainer Umweltforum erblüht: Zum ersten Mal treffen sich bundesweit die wichtigsten Akteure und Aktivisten einer anderen Mieten- und Stadtpolitik: Mieterinitiativen, Politiker, Verbände, Wissenschaftler.
Dennoch: Auch in diesem Herbst findet keine bundesweite Demonstration gegen die immer weiter steigenden Mieten statt. Obwohl die Wohnungsfrage „die soziale Frage unserer Zeit“ ist, wie es Mieterbund-Direktor Lukas Siebenkotten formuliert, ist die Mieterbewegung schlechter aufgestellt als die Flüchtlingsbewegung, Anti-Rechts-Initiativen oder auch die Bewegung für eine alternative Landwirtschaft, die jedes Jahr selbst im kalten Januar Zehntausende zu einer Großdemonstrationen nach Berlin mobilisiert.
Dafür spielt es sicher eine Rolle, dass soziale Themen auf der Agenda vieler Aktivisten weit unten stehen. Aber als alleinige Erklärung taugt dies zu wenig. Ergiebiger ist die Theorie der Pfadabhängigkeit, die in der Wirtschaft oft als Erklärungsmuster verwandt wird.
Bezogen auf die Mieterbewegung heißt das: Auf der einen Seite stehen die dezentral organisierten Mietergruppen. Und auf der anderen Seite die großen Tanker – Organisationen wie der Deutsche Mieterbund oder der DGB. Beide sind die Organisation von bundesweiten Großdemonstrationen zur Mietenfrage nicht gewohnt. Beide müssten sich verändern: Die Mieterinitiativen etwas zentralistischer werden, die Verbände aktionsorientierter. Und weil das schwer fällt, machen sie weiter das, was sie bisher am besten konnten: Proteste vor Ort organisieren oder Stellungnahmen verfassen.
Solange sich beide Seiten nicht ändern, fehlt eine relevante Gegenmacht zur Mietenpolitik der großen Koalition auf Bundesebene. Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband äußerte am Mittwoch die Hoffnung, dass in einem Jahr die Vernetzung so weit fortgeschritten sein könnte, dass am Ende eine bundesweite Mieten-Demonstration steht. Das wäre in normalen Zeiten auf dem Wohnungsmarkt ein gutes Zeichen. Aber in Zeiten explodierender Mieten ist das: zu langsam.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen