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Kommentar Algerien und MarokkoSicher ist es dort sicher

Reiner Wandler
Kommentar von Reiner Wandler

Marokko und Algerien sollen nach dem Willen der Union zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden. Das ist keine gute Idee.

Merkel und Seehofer bei der CSU-Klausur in Wildbad Kreuth. Foto: dpa

D a ist sie uns doch noch ans Herz gewachsen, und jetzt das: Unsere so lieb gewonnene Flüchtlingskanzlerin wird zur Abschiebekanzlerin. Freilich muss nur gehen, wer aus einem sicheren Herkunftsland kam, versteht sich von selbst. Merkel hat doch Herz.

Nur wer definiert was sicher ist und was nicht? Und mit welchen Kriterien geschieht dies?

Mit denen, die allgemein anerkannt sind – sprich den Berichten der Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch oder Amnesty International – ganz sicher nicht. Denn wie sonst kommt die Bundesregierung auf die Idee, Ländern wie Marokko oder Algerien, einfach mal so einen Persilschein in Sachen Sicherheit und Menschenrechten auszustellen?

Natürlich herrscht in der Region weitgehend Frieden, das ist richtig. Der Bürgerkrieg in Algerien, der in den 1990er Jahren rund 200.000 Menschenleben gefordert hat, ist vorbei. Der religiös motivierte Terrorismus und die Aktionen von Polizei und Armee fordern jährlich nur noch mehrere Hundert statt wie einst Tausende oder Zehntausende Opfer. Und in Marokko schweigen die Waffen ebenfalls. Die Westsahara ist besetzt, geschossen wird dabei tatsächlich nur noch selten. Aber macht dies aus beiden Ländern sichere Länder?

Regelmäßige Folter

Die großen Menschenrechtsorganisationen berichten von willkürlichen Verhaftungen und regelmäßiger Folter sowohl in Marokko als auch in Algerien. Bei ethnisch motivierten Unruhen in der algerischen Wüste, die oft Pogromen gleichen, sind Polizei und Gendarmerie alles andere als neutral.

Und in der von Marokko besetzten Westsahara werden diejenigen, die – wohl gemerkt gewaltfrei – für die Unabhängigkeit eintreten, verfolgt, gefoltert und oft mit völlig unhaltbaren Anklagen von Militärgerichten hinter Gitter gebracht. In Spanien läuft derzeit das Asylverfahren des jungen Aktivisten Hassanna Aalia, dem dies so erging. Ein Protestcamp 2010 wurde gar mit Militärgewalt geräumt. Bis heute ist die genaue Zahl der Todesopfer unklar.

Natürlich haben beide Länder internationale Konventionen zum Schutz der Menschenrechte unterzeichnet. Aber leider bestätigen ihnen die Menschenrechtsorganisationen auch, dass versprochene Reformen im Sicherheitsapparat, Justizsystem und Haftanstalten ausbleiben.

Verständlich. Es schaut ja keiner so genau hin. Kanzlerin Merkel ist dabei kein Einzelfall. Sie verkauft all dies – zusammen mit ihren europäischen Kollegen – weiterhin als Sicherheit und Respekt vor Menschenrechten und reist, wenn es denn der Industrie gut tut, auch gerne mal in die sicheren Länder China und Saudi-Arabien.

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Reiner Wandler
Auslandskorrespondent Spanien
Reiner Wandler wurde 1963 in Haueneberstein, einem Dorf, das heute zum heilen Weltstädtchen Baden-Baden gehört, geboren. Dort machte er während der Gymnasialzeit seine ersten Gehversuche im Journalismus als Redakteur einer alternativen Stadtzeitung, sowie als freier Autor verschiedener alternativen Publikationen. Nach dem Abitur zog es ihn in eine rauere aber auch ehrlichere Stadt, nach Mannheim. Hier machte er eine Lehre als Maschinenschlosser, bevor er ein Studium in Spanisch und Politikwissenschaften aufnahm. 1992 kam er mit einem Stipendium nach Madrid. Ein halbes Jahr später schickte er seinen ersten Korrespondentenbericht nach Berlin. 1996 weitete sich das Berichtsgebiet auf die Länder Nordafrikas sowie Richtung Portugal aus.
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8 Kommentare

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  • Wer Asyl beantragt, sollte beweisen können, warum er Asyl beantragt, sonst unterscheidet er sich nicht von Wirtschaftsflüchtlingen. Asyl wird nur bei politischer Verfolgung gewährt, Aufenthalt bei Naturkatastrophen und wirtschaftlicher Emigration. Ich sehe bei Tunesien, Algerien und Marokko keinen Grund für einen Asylantrag.

  • Korrektur des Artikels. (2)

    Was die Sicherheit in beiden Ländern anbelangt, kann ich folgendes sagen. Erstmal müssen wir das Wort Sicherheit definieren. Handellt es um die Sicherheit des Touristen kann ich sagen, dass Marokko sicher ist und Algerien nicht. Wenn es um die Sicherheit der Einheimischen geht kann ich sagen, dass Marokko viel besser ist als Algerien. Es gibt Schwulenorganisationen was in Algerien keinesfalls geben darf. Gendarmen, Polizeibeamten wurden in Marokko in sehr vielen Fällen hinter Gittern gebracht was in Algerien nie passiert ist...

  • Das Grundrecht auf Asyl wird also per Herkunftsstaatengesetze abgeschafft.

    Pervers.

  • Was will uns der Autor sagen?

  • Ich finde, auch für den Fall, daß man diese Staaten zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt, muß es in begründeten Ausnahmefällen für die wirklich individuell politisch Verfolgten einen Zugang zum Asylverfahren geben.

    Was spricht gegen ein Botschaftsverfahren?

    Andererseits halte ich den Schritt, die Maghrebstaaten als sichere Herkunftsländer zu definieren, für unumgänglich. Hier trefefn sich sicherheitspolitische Erwägungen mit dem Verlangen, sich auf wirklich Schutzbedürftige konzentrieren. Familien, Frauen und Kinder in erster Linie. Die bleiben aber derzeit völlig außen vor, da die derzeitige Politik einfach das Recht des Stärkeren bei der Immigration nach Deutschland fördert.

  • Sicher sind diese Länder nicht, andererseits sind es auch nicht die armen oder politisch aktiven Menschen die nach Deutschland kommen, meist per Flugzeug nach Istanbul, dann weiter über Griechenland. Das ist schwierig, aber Deutschland kann nicht die vielen sozialen Probleme dieser Ländern lösen. Abschiebungen per se sind aber auch falsch, weil beide Staaten durchaus repressiv sind und es dort Menschen gibt, die für ihre Religion, Politik, Meinung verfolgt werden und die zu Recht in Deutschland Asyl beantragen können. Ihc finde es schwierig, das zu entscheiden, aber man kann auch nicht per se eine Art Willkommen für Menschen aus diesen beiden Staate formulieren.

  • Klar nach China darf man nicht reisen, weil das ist ein Unrechtsregime, aber auf einem Computer aus China Artikel schreiben, das ist freilich in Ordnung. Auch saudisches Benzin in den VW füllen um in die Redaktion zu fahren ist kein Problem. Das ist Bigotterie par excellence. Jemand wie Hassanna Aalia sollte ein Recht auf Asyl haben, deshalb wäre es vernünftiger zu fordern, dass Asyl gewährt wird egal als wie sicher oder unsicher ein Herkunftsland klassifiziert wird. In diesem Sinne: Asyl für Snowden.

  • Das ist auch wieder so ein Schnellschuß, der keine Lösung bringt. Da sich diese Länder bei der Ausstellung von Ersatzpapieren für Abschüblinge ziemlich zurückhalten, bringt alle Gesetzesänderung nicht.

    Besser wären Verhandlungen über die Ausstellung solcher Papiere, damit wenigstens die schon entschiedenen Fälle tatsächlich auch abgeschoben/ausreisen können.

    So wird aber nur eine große Anzahl ausreisepflichter Menschen produziert, die aus tatsächlichen Gründen eben nicht zurück geschoben werden können.