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Kommentar Afghanistan-AbschiebungDas bisschen Krieg macht nichts

Tobias Schulze
Kommentar von Tobias Schulze

Der humane Kurs des Spätsommers 2015 ist nun wirklich am Ende. Zehn Argumente gegen die Sammelabschiebung nach Afghanistan.

Für viele Anschläge in afghanistan verantwortlich: Kämpfer der Taliban Foto: reuters

E s gibt Grenzen. Wenn Wähler abwandern, die Parteibasis murrt und Partnerländer umfallen, kann eine Regierung zwar mit einer gewissen Berechtigung einlenken. Wenn eine liberale Asylpolitik in der Bevölkerung nicht auf ausreichend Zustimmung stößt, kann die Regierung ihren Kurs natürlich ändern und Maßnahmen verschärfen. Es gibt aber Grenzen, und die sind spätestens dann überschritten, wenn die Bundesregierung beginnt, massenhaft Menschen nach Afghanistan abzuschieben. Für diese Haltung gibt es unzählige Argumente. Hier nur zehn aus dem vergangenen halben Jahr:

1. Anschlag in Dschalalabad, mindestens sechs Tote, 27 Verletzte.

2. Anschlag auf eine Moschee in Kabul, mindestens 27 Tote, 35 Verletzte.

3. Anschlag in der Nähe des afghanischen Verteidigungsministeriums, mindestens vier Tote, elf Verletzte.

4. Anschlag auf das deutsche Konsulat in Masar-i-Scharif, mindestens sechs Tote, 128 Verletzte.

5. Anschlag auf eine Hochzeit in der Provinz Farjab, mindestens zwölf Tote, 30 Verletzte.

6. Anschlag auf einen Markt in der Provinz Parwan, mindestens vier Tote.

7. Anschlag auf ein Krankenhaus in Kandahar, ein Toter, zwei Verletzte.

8. Anschlag per Autobombe in Kabul, mindestens 24 Tote, 90 Verletzte.

9. Anschlag auf US-Universität in Kabul, mindestens zehn Tote, 37 Verletzte.

10. Anschlag auf eine Demonstration gegen den Verlauf einer Stromleitung in Kabul, mindestens 80 Tote, 231 Verletzte.

Der Bundesregierung reichen all diese Argumente aber nicht aus. Was uns das sagt? Dass der humane Kurs des Spätsommers 2015 nun wirklich am Ende ist. Dass die Bundesregierung tatsächlich eine Grenze nach der anderen überschreitet. Und dass wir uns nicht wundern sollten, wenn sie demnächst auch einen Flieger für Abschiebungen nach Aleppo chartern. Schließlich soll es dort neuerdings auch sichere Ecken geben.

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Tobias Schulze
Parlamentskorrespondent
Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.
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5 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Selbst Uwe Junge, ein AfD-Landesvorsitzender, findet es unmöglich, daß Menschen nach Afghanistan abgeschoben werden sollen.

     

    Das sollte den Damen und Herren Bundesregierung so richtig peinlich sein.

  • 50 Günde, die für die Abschiebungen sprechen: 50 negative Asylverfahren. Alleine im Rahmen des für diese Woche geplanten Fluges.

  • Und außerdem berichten Afghanen von der Unsicherheit durch die Polizeibeamte, die in den nicht von den Taliban kontrollierten Gebieten Geld eintreiben und Familien für Nichtzahlungen bestrafen z.B. beim Aufmachen eines Ladens.

    Erhalten die Polizisten ihr Gehalt regelmäßig? Das spielt dann eine Rolle.

    Dann die Diskriminierung der schiitischen Hasara in westlichen Zentralafghanistan.

     

    Und die AfD-Wähler werden bei keiner Abschiebung ein Häkchen machen.

  • Zugegeben, in Deutschland war die Zahl der Anschläge und Opfer nicht so hoch.Das kann aber kein Argument gegen Abschiebung sein oder nehmen wir wg. Der Anschläge bei uns, weniger auf?

    • @Voilodion:

      In Deutschland hat es bisher durch islamistische Anschläge noch nicht einen einzigen Toten gegeben. Das ist ein Fakt, der der empfundenen Wirklichkeit mancher Leute zu widersprechen scheint, aber das macht ihn nicht unwahr.