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Kommentar AfD SachsenSelbstverschuldet in die Opferrolle

Michael Bartsch
Kommentar von Michael Bartsch

Die AfD Sachsen will ihren eigenen Fehler als gegen sie gerichtete Verschwörung verkaufen. Plötzlich erscheint sie bei der Wahl wieder schlagbar.

Oops! Nur nicht zugeben, dass man's selbst vergeigt hat: Sebastian Wippel, AfD-MdL Foto: dpa

D ie AfD Sachsen hätte mit ein wenig Grips die Nichtanerkennung ihrer zweiten Landesliste mit Platz 19 bis 61 durch den Landeswahlausschuss vermeiden können. Zum einen hätte sie ihr pseudodemokratisches Wahlverfahren, bei dem jeder gegen jeden um jeden Listenplatz kämpfen kann, straffen können. Dann hätte man nicht zwei Parteitage mit je zweieinhalb Sitzungstagen für die Aufstellung von 61 Listenplätzen gebraucht. Weil die zweite Liste unter anderen Wahlbedingungen und bei anderer Tagungsleitung zustande kam, wurde sie nicht zugelassen.

Einfach nur lernen aus einer vergleichbaren Situation vor der Landtagswahl 2014, als dieser Formfehler vermieden wurde! Die vor Arroganz strotzenden Retter Sachsens und der Nation hätten nur auf ein Mängelschreiben reagieren müssen, mit dem sie Landeswahlleiterin Carolin Schreck Mitte Juni auf das drohende Zulassungsproblem hingewiesen hatte.

Sollten sich aktuelle Umfragen zur Landtagswahl am 1. September bestätigen, könnte die AfD etwa mit einem Viertel der 120 Dresdner Landtagssitze rechnen. Um diese auch zu besetzen, müsste sie zusätzlich zur nunmehr auf 18 Plätze limitierten Landesliste mindestens 12 der 60 Direktmandate erringen. Diese Situation verschärft den Wahlkampf in Sachsen.

Die ersten Reaktionen der nicht gerade strahlenden AfD-Landesspitze zeigen, dass sie nun erst recht in die Rolle der Märtyrerin schlüpfen will. Sie setzt mit der angekündigten Erststimmenkampagne auf Mitleid mit den angeblich ausgegrenzten Opfern eines „Komplotts“. Von bestehenden Regeln und Gesetzen, die ihrer Machtergreifungsstrategie entgegenstehen, hält die so genannte Alternative ohnehin nichts. Also hofft man auf eine leichtere Mobilisierung der Motzki-Wähler im Mutterland der schlechten Laune gegen das verschworene „System“.

Andererseits aber verliert die drohende, alles überrennende AfD-Walze etwas von ihrer paralysierenden Wirkung auf die „Altparteien“. Die Nationalreaktionäre erscheinen plötzlich wieder schlagbar, zumindest mit Wahlkreisbündnissen gegen die AfD-Direktkandidaten. Das würde sowohl der CDU als auch ihren bisherigen Konkurrenten Verzichtsleistungen und die Unterstützung aussichtsreicher Kandidaten anderer Parteien abverlangen. Die Kehrseite: Eine „Alle gegen die AfD“-Strategie könnte dieser wiederum Stimmen bringen.

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Michael Bartsch
Inlandskorrespondent
Seit 2001 Korrespondent in Dresden für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Geboren 1953 in Meiningen, Schulzeit in Erfurt, Studium Informationstechnik in Dresden. 1990 über die DDR-Bürgerbewegung Wechsel in den Journalismus, ab 1993 Freiberufler. Tätig für zahlreiche Printmedien und den Hörfunk, Moderationen, Broschüren, Bücher (Belletristik, Lyrik, politisches Buch „System Biedenkopf“). Im Nebenberuf Musiker.
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29 Kommentare

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  • A) Der Parteitag wurde nach Aussage und Ansicht der AfD, ihrer Delegierten und der Parteimitglieder fortgesetzt und immer so - als Fortsetzung - kommuniziert. Die Vermutungen des Ausschusses sind demgegenüber eher irrelevant.

    B) Die Plätze 1-30 wurden in Einzelabstimmungen, der Block 31-61 "am Stück" beschlossen. Das ist erstens grds. zulässig, zweitens sind dann zumindest die ersten 30 Plätze gültig - die weiteren dürfte selbst die AfD nicht nutzen können.

    C) In Hamburg hat die CDU 1991 grobe Fehler in der Kandidatenaufstellung zur Bürgerschaftswahl gemacht, was nicht etwa zum Schaden für die CDU ausging, sondern zur Wahlwiederholung 1993 führte - ist aber ja auch eine "gute" Partei ...

    D) Wie werden sich die 26% (z.Zt.) sächsischen Wahlberechtigten fühlen, denen ihr Wahlrecht zu Gunsten der AfD genommen wurde?!

    • @MS77:

      Die AfD ist nicht das Opfer! Wenn sie sich an Recht und Gesetz gehalten hätte (was sie ja so gerne postuliert), hätte sie auch kein Problem.

      • @TheDigit:

        Wie oben ausgeführt ... die Probleme sind der zeitliche Unterbrechung oder eben der Neuanfang sowie die Änderung des Wahlverfahrens mitten in der Liste. Beides, Vertagung und Änderung, sind zunächst grds. zulässig, auch in Sachsen.

        Es geht um die Auslegung. Man wird ja sehen, was der VerfGerHof SN dazu sagt ... wenn auch erst nach der Wahl.

  • Opferrolle? Nö. Doofenrolle!

    Wer eine korrekte Aufstellung nicht hinbekommen will, obwohl man schon einmal genauso doof war, sollte mit den Folgen seiner Doofheit leben.

  • Kommentar entfernt wegen Unsachlichkeit. Die Moderation

    • @gonzo baba:

      Spätestens wenn Nazis wiederholen, was zwischen 33 und 45 stattgefunden hat, wirst auch du gemerkt haben, wie Scheiße Faschisten sind. Andererseits gibt es ja auch genügend Menschen, die dumm genug waren, um nichts gemerkt zu haben.

    • @gonzo baba:

      1. Was hat die Landtagswahl in Sachsen mit einem Berliner Stadtteil zu tun?

      2. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Gericht das wieder kassiert. Das hat ja nichts mit "Ausländerkriminalität" zu tun, sonder damit, dass die AfD nicht in der Lage war, sich an das Wahlgesetz zu halten. (Bonbon: Ausgerechnet die, die immer auf Recht und Gesetz pochen ;).

      3. Wie viele Ihrer Töchter wurden schon vergewaltigt, dass Sie hier so ekelhaften, vorurteilsbeladenen Unsinn schreiben?

  • Ein Gericht wird den Beschluss der Wahlleitung kassieren.

  • Es sollte alles vermieden werden, was hier nach Beeinflussung riecht. Die AfD soll ihre Fehler ausbaden, aber sie soll nicht deshalb ausgesperrt werden, weil sie die AfD ist - das wäre undemokratisch.



    Vermutlich landet das sowieso vor Gericht und wird dort unabhängig geklärt. Dann gibt es keinen Raum für Opfermythen.

    • @Velofisch:

      Ich glaube nicht, dass ein Gerichtsbeschluss, der den derzeitigen Status quo bestätigt, für Anhänger der sog. AfD den arum für Opfermythen nimmt. Dann ist es eben nicht nur der sächsische Landeswahlausschuss, der sich gegen die AfD verschworen hat, sondern auch noch die Justiz.

      • @TheDigit:

        "Raum für Opfermythen", sorry...

  • "Mit ein wenig Grips" hätte die Afd die Situation vermeiden können. Für mich ist durchaus vorstellbar, dass die Afd die Situation ganz bewusst herbeigeführt hat. Einerseits können sie sich so wieder als Opfer inszenieren, andererseits können sie so das regelbasierte demokratische Procedere insgesamt discreditieren. Schaut her Wahlen sind Betrug. Vielleicht haben sie nach der Europawahl die Hoffnung aufgegeben das System über Wahlen verändern zu können und beginnen jetzt Wahlen an sich zu diskreditieren

    • @Wiekum:

      In Sachsen unwahrscheinlich. Da haben sie leider eine Chance, über Wahlen an die Regierung zu kommen.

  • 9G
    90118 (Profil gelöscht)

    da war seinerzeit die nsdap cleverer in der ausnutzung der demokratie auf dem weg zur macht - um die demokratie dann sofort abzuschaffen.

  • "Plötzlich erscheint sie bei der Wahl wieder schlagbar."

    In düsteren Zeiten ist es zwar erheiternd, zu sehen, wie dumm sich die AfD anstellt. Allerdings lassen mich meine bisherigen Gespräche mit potentiellen AfD Wählern zweifeln, dass die AfD dadurch Stimmen verliert. Ich befürchte das Gegenteil, da Leute die zur AfD neigen, den Staat als finsteres Wesen wahrnehmen, das sich gegen sie verschworen hat.

    • 9G
      98589 (Profil gelöscht)
      @warum_denkt_keiner_nach?:

      Das befürchte ich auch, den Opferbonus.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Hauptsache: Opfer. Geht in Schland, ganz besonders im östlichen, immer.



    Dann drücke ich mal ganz feste die Daumen, dass dieser Status bis nach der Wahl erhalten bleibt.

    • 9G
      98589 (Profil gelöscht)
      @76530 (Profil gelöscht):

      Diese dümmliche Polemik gegenüber den Ostdeutschen ist völlig daneben. Sitzen im Westen keine AfDler in den Parlamenten?



      Diese überhebliche Arroganz ist widerlich!

      • 7G
        76530 (Profil gelöscht)
        @98589 (Profil gelöscht):

        Was lange gärt, wird endlich Wut?

        Ärgern Sie sich meinetwegen über Polemik gegenüber Ostdeutschen. Aber lassen Sie mich dabei bitte aus dem Spiel. Meine Kritik richtet sich gegen Personen, nicht gegen Gruppen.

        Das hiesige Thema ist "Kommentar AfD Sachsen" - und Sachsen liegt nun mal - erraten - in Ostdeutschland. Dies ist ein Sachverhalt - und keine Polemik. Auch die zwei Worte "ganz besonders" sagen dem geneigten Foristen etwas aus ...

        Gefühlsintensität ersetzt auch hier nicht rationale Defizite.

        Btw noch ein wohlwollender Tipp: wenn Sie sich über einen Post von mir ärgern, schreiben Sie doch dort Ihre Erwiderung, wo ich meinen Senf abgegeben habe. Damit es zuzuordnen ist.

        • @76530 (Profil gelöscht):

          Pure Vernunft darf niemals siegen.



          Sie kommentieren, also sind Sie im Spiel. Jetzt nur nicht auf Opfer machen...

          Und jovial wohlwollend nebenbei: Ostdeutschland liegt nicht in Sachsen ;)

          • 7G
            76530 (Profil gelöscht)
            @Vodka Satana:

            Ach.

    • @76530 (Profil gelöscht):

      Werter Herr Leiberg,



      ich will gar nicht abstreiten, dass diese Selbststilisierung zum Opfer hier im Osten kein übliches Mittel wäre. Dennoch bin ich überzeugt, dass solche Kommentare wie der Ihre leider nicht dafür sorgen, dass dieser Status bis nach der Wahl erhalten bleibt, eher im Gegenteil, denn:



      - Zum einen gibt es durchaus Gründe, weshalb sich die Ossis (vor allem die schon zur Wende erwachsenen) als Opfer fühlen könnten (Schlagworte: Treuhand, Ausverkauf, Identitätsverlust)



      - Zum Anderen bestätigen solche Kommentare die propagandistische Opferstilisierung, die sich die AfD zu Nutze macht (à la "Immer drauf auf uns kleine Leute").

      • @Müllersepp:

        Genau diese zur Wende Erwachsenen haben sich die Treuhand ganz demokratisch mit den ersten freien Wahlen in der DDR ins Land geholt. Die kritischen Stimmen, die jahrelang für eine ökologische und friedliche DDR teils ihr Leben riskierten und letztendlich auch die Wende 1989 durch die Beobachtung der Wahlen im Mai überhaupt ins Rollen brachten, wurden nicht gehört, vermutlich vor lauter D-Mark-Zeichen in den Augen und D-Fahnenschwenken ihrer Landsleute, auch belächelt und eben nicht gewählt - eine andere DDR stand zur Option. Die Enttäuschung derer war groß und sie mussten zugeben, die DDR-Bürger/innen wollten mit großer Mehrheit die Wiedervereinigung/CDU und zwar im rasanten Tempo. Die Treuhand war da bereits unterwegs... Dazu gibt es genug Material.

        Also: Damals erwachsene DDRler/innen sind diesbezüglich nicht Opfer, sondern haben bekommen, was sie gewählt haben.

        • @Hanne:

          Sachlich falsch. Die Treuhand wurde - deutlich vor der Wahl, in der DDR - von Hans Modrow, SED, gegründet ... nicht von Kohl, Rohwedder, Breuel oder sonst jemandem aus dem Westen.

      • 7G
        76530 (Profil gelöscht)
        @Müllersepp:

        Zur notwendigen Auflösung det Janzen: meine Polemik richtet sich nicht gegen ALLE Ostdeutsche ohne Ansehen der Person, sondern (siehe: Thema) exklusiv gegen die Mitglieder der sächsischen AfD.

        Dass sich Ossis als Opfer fühlen KÖNNEN, verstehe ich sehr gut. Dass sie sich mit dieser Rolle dauerhaft zufrieden geben, überhaupt nicht.

        Meine eigene Biografie hat mir einst eine Opferrolle beschieden. Es ist möglich, daran (z.T. mühsam) zu arbeiten ... und sie eines Tages hinter sich zu lassen. Dazu möchte ich auffordern - und ermuntern.

        Lernen ist möglich. Glückauf!

        • @76530 (Profil gelöscht):

          Na geht doch

          • 7G
            76530 (Profil gelöscht)
            @Vodka Satana:

            Oh, ja. Es geht. Bei mir auf alle Fälle.

            Den Post von 14:41 zuerst gelesen ... und der Ihre von 14:46 hätte sich erübrigt.

  • Ein kleinerer Landtag hat doch auch was.

    Sollte am Ende die AfD nicht alle errungenen Mandate besetzen können, werden sicher >70 jubeln. Aber ist es dann noch Wählerwille erfüllt?

    • @TazTiz:

      So oder so wird sich die AfD weiter als das Super-Opfer stilisieren, es sei denn - und das ist nicht unwahrscheinlich - sie bekommen diese Direktmandate.