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Kommentar ÄgyptenVerliererin ist die Demokratie

Jannis Hagmann
Kommentar von Jannis Hagmann

Die Totalverweigerung der Muslimbruderschaft ändert nichts. Mohammed Mursi wird nicht zurückkehren. Ihre Kompromisslosigkeit führt direkt in den Untergrund.

Pro-Mursi-Proteste in Kairo. Bild: dpa

D ie Pattsituation ist perfekt. Zwei Wochen nach dem Sturz Mohammed Mursis durch das ägyptische Militär weicht die Muslimbruderschaft nicht von ihrer Forderung ab, den entmachteten Präsidenten zu rehabilitieren. Doch Mursis Rückkehr ist ausgeschlossen. Ihre Kompromisslosigkeit wird den Islamisten zumindest kurzfristig nichts nutzen.

In der Nacht zu Dienstag legten Unterstützer des ehemaligen Staatschefs die Kairoer Innenstadt lahm. Ihre Wut ist gewaltig, vor allem aber herrscht ein tiefgreifendes Gefühl der Ungerechtigkeit, eine schwere Enttäuschung über das, was sie in Ägypten als Demokratie kennengelernt haben.

Die Bereitschaft, mit den „Putschisten“, wie sie die neuen Machthaber nennen, zusammenzuarbeiten, ist gleich null. Einsicht, dass Präsident Mursi zumindest auf dem Weg war, ein autokratischer Herrscher zu werden? Fehlanzeige. Nichts weist darauf hin, dass die Muslimbruderschaft, die die Pro-Mursi-Proteste anführt, sich in eine politische Lösung einbinden lassen wird.

So verständlich diese Totalverweigerung auch sein mag: Sie führt ins Abseits. Das Militär braucht nun Erfolge. Es wird die Bildung der Übergangsregierung zügig abschließen, die Wirtschaft ankurbeln und für Ruhe sorgen müssen. Während es die Mursi-Anhänger im Kairoer Randbezirk Nasr City weiter demonstrieren lassen kann, wird es Aufmärsche in der Innenstadt auf Dauer nicht tolerieren.

Bild: taz
Jannis Hagmann

ist Autor der taz.

Je kategorischer die Ablehnung jeglicher Zusammenarbeit, je offensiver und aggressiver die Proteste der Mursi-Anhänger, desto eher wird sich das Militär gezwungen und legitimiert fühlen, hart durchzugreifen. Die Muslimbrüder sind erneut auf dem Weg in den Untergrund. Doch sie sind es gewohnt, von dort weiterzuarbeiten. Jahrzehntelang überlebte die Bewegung schwerste Repressionen. Und die Verliererin des Ganzen? Sie heißt Demokratie.

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Jannis Hagmann
Redakteur Nahost
ist Redakteur für Nahost & Nordafrika (MENA). Davor: Online-CVD bei taz.de, Volontariat bei der taz und an der Evangelischen Journalistenschule Berlin, Studium der Islam- und Politikwissenschaft in Berlin und Jidda (Saudi-Arabien), Arabisch in Kairo und Damaskus. Er twittert unter twitter.com/jannishagmann
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9 Kommentare

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  • Z
    zombie1969

    Wie viele solcher

  • T
    Tradintl

    Sie unterliegen dem Irrglauben, dass Mursi ein Demokrat sei.

    Fuer Sie als Frau vielleicht mal 3 Beispiele:

    12 jaehrige Maedchen werden als ehefaehig per Gesetz bezeichnet,

    Beschneidung ist wieder erlaubt

    und drittens die Vergewaltigungsrate auf oeffentlicher

    Strasse nahm dramatisch zu.

     

    Wenn es dem Militaer gelingt diese radikale Islamisierung zu ersetzen durch mehr Demokratie, warum wollen Sie das nicht? Dass Obama, Merkel und Westerwelle mit dem pro Mursi Kurs auf der AKP Linie

    des Herrn Erdogan agieren wundert niemanden.

  • J
    jorge

    demokratie ist es nur wenn wahlen so ausgehen wie gewünscht.

    wird jemand unerwünschtes gewählt hat man keinerlei problem wenn er einem militärputsch zum opfer fällt.

  • T
    tranquil

    Da bin ich aber froh dass die Wehrmacht damals den demokratisch gewählten Reichskanzler nicht weggeputscht hat :)

  • T
    terr

    Es wird niemals Frieden geben. Der Islam unterwirft sich niemals und hat immer den Machtanspruch... die einzige Möglichkeit ist eine Reform innerhalb des Islam..ansonsten kann es niemals einen Frieden geben.

     

    Es liegt nicht an den Menschen. Viele Moslems sind gute Menschen! Es liegt am Buch!

     

    Falls sie Zweifel an meinen Worten haben, lesen sie den Koran.

     

    P.s. ich schreibe ihnen als exmoslem!

  • T
    tom

    @Thea: Schon mal den Spruch gehört wenn Recht zu Unrecht wird, dann wird Widerstand zur Bürgerpflicht? Das Militär hat sich lange bitten lassen, wäre Mursi auf die Probleme der Bürger eingegangen, dann hätte die Krise vermieden werden können.

     

    Mursi hat sich als Erster an den demokratischen Rechten seiner Bürger-/ und besonders Innen vergriffen. Die Muslimbrüder haben bewusst die Rechte religiöser Minderheiten und der Frauen beschnitten. Dieser Entwicklung muste Einhalt geboten werden. Vergleiche doch mal die Entwicklung mit Algerien und Tunesien....

     

    Der Autor hätte klarer Position beziehen können, dass dieses Mal die Bürgerbewegung nicht einschlafen soll. Ausserdem muss endlich ein neues Parlament gewählt werden. Ohne Parlament keine Gesetze und damit keine Stabilität.

  • A
    Atheisten-Schwester

    @Thea: so ist es. Hätten sie länger gewartet, hätte das Volk irgendwann selber die Schnauze voll gehabt. Nicht nur die liberalen Eliten, sondern auch der fromme Bauer. Wenn der kein Essen mehr auf den Tisch bekommt, dann hätte er sich auch ganz schnell umorientiert, getreu der Devise, dass jede Gesellschaft nur drei warme Mahlzeiten von einer Revolution entfernt ist.

     

    Wenn das passiert wäre, hätte man die Mursis ganz demokratisch aus dem Amt jagen können und das wäre eine schwere, dauerhafte Niederlage gewesen. Man hätte jemand anders gewählt und gut wäre es gewesen. Aber: dann hätten die Leute ja vielleicht gemerkt, dass sie das Militär gar nicht brauchen. Eh interessant, wie schnell die Leute vergessen haben, was das Militär so alles verbrochen hat in der Zeit der Revolution...

  • MC
    Mete Can

    im Vergleich zu den Gezipark Einsätzen der türkischen Polizei, sind die Einsätze in Ägypten unvergleichbar hart und brutal. Es wurde sogar auf Betende Menschen scharf geschossen und es gab zahlreiche Tote.

     

    Der Autor zeigt hier Verständnis für das Militär, dass bald die Proteste nicht mehr dulden wird.

     

    Wo blieb das Verständnis für die türkischen Einsätze, dass die gewaltsame Horde aufgelöst hatte und für Ruhe und Ordnung gesorgt hat?

     

    Die Doppelmoral des Westens ist allgegenwärtig. Die Welt braucht ein neues ein gerechteres System, die nicht die Macht als Recht als Basis sieht.

  • T
    Thea

    Da wird der gewählte Präsident eines Landes vom Militär gekidnappt und an einem unbekannten Ort gefangengehalten. Da werden hunderte von Führungsmitgliedern der Muslimbrüder-Partei verhaftet und noch mehr per Haftbefehl gesucht. Da wird der Präsident Mursi von der Staatsanwaltschaft angeklagt, während der revolutionären Volkserhebung gegen Mubarak mit hunderten anderer Gefangener aus der Militärhaft ausgebrochen zu sein.....

    Und Jannis Hagmann mag sich nicht entscheiden, die gewaltsame Entfernung des gewählten Präsidenten aus dem Amt durch das Militär einen Militärputsch zu nennen. Was war es denn dann? Jedenfalls: wenn in der gegenwärtigen Situation die Muslimbrüder sich kategorisch weigern, an einer sogenannten "Übergangsregierung" mitzuwirken, ist das mehr als selbstverständlich. Hier hat die alte Mubarak-Militärkamarilla in einem günstigen Moment zurück- geschlagen.