Kommentar Abriss von Nachkriegsbauten: Branche im Betongoldrausch
Die Immobilienbranche will Millionen Wohnungen der Nachkriegsjahre abreißen statt sanieren. Mit im Boot: die Gewerkschaft IG BAU.
Die IG BAU ist eine kleine Gewerkschaft mit großem Mitgliederverlust. 2015 hatte sie noch 273.000 Beitragszahler, rund 450.000 weniger als bei ihrer Gründung 1996. In solchen Situationen kann man schon einmal zu verzweifelten Maßnahmen greifen. Aber zu solchen?
Gestern hat die IG BAU zusammen mit den Lobbyverbänden der Bau- und Immobilienbranche mittels einer Studie für den Abriss von bis zu 1,8 Millionen Gebäuden plädiert, um sie anschließend neu zu errichten. So seien altersgerechte und energetisch sanierte Wohnungen besser und wirtschaftlicher zu bekommen als mit einer Sanierung. Das Baurecht soll dafür ebenso geändert werden wie die Förderrichtlinien.
Offiziell jammert die Immobilienbranche. Die neue Mietpreisbremse behindere ebenso Investitionen wie städtische Milieuschutzsatzungen. Aber die Wahrheit ist: Die Mietpreisbremse wirkt kaum, und die Situation auf den internationalen Kapitalmärkten fördert die Flucht in Betongold. Überall in den Städten entstehen hochpreisige Eigentumsapartments, während bezahlbare Wohnungen fehlen.
Die aktuelle Studie zeigt: Die Immobilienbranche ist in Goldrauschstimmung. Nur dann kann man auf die Idee kommen, von der Politik den großzügigen Abriss von Wohnungen zu fordern, um neue zu errichten. Das wirkliche Motiv findet sich verklausuliert in einem Nebensatz der Studie: Durch eine „Intensivierung des Bestandsersatzes“ könnten „eine Vielzahl von Stadtquartieren unter städtebaulichen und sozialen Aspekten aufgewertet“ werden, heißt es dort.
Übersetzt aus dem Städteplanerdeutsch: Ein Großteil der Nachkriegsbauten ist für die Mittel- und Oberschicht selbst nach einer Sanierung nicht attraktiv genug. Wer sie abreißt und neu baut, kann teurer vermieten. Dass Immobilienlobbyisten so denken, ist nachvollziehbar. Die IG BAU aber sollte sich schämen, dabei mitzumachen.
Leser*innenkommentare
Velofisch
Dort wo Wohnungsnot herrscht, könnte man doch neu bauen und den Bestand erhalten. Der Bestand würde dann nicht luxussaniert und bliebe für Leute mit weniger Geld erschwinglich. Die teuren Neubauten nebenan würden dann sowohl wohlhabendere Bewohner als auch Spekulanten befriedigen. Gleichzeitig würde der Wohnungsbestand erweitert, so dass das Angebot an Mietwohnungen wächst und dem Mietanstieg stärker entgegenwirkt als dies eine Mietpreisbremse kann. Sollte irgendwann die Nachfrage wieder deutlich zurückgehen, könnten die alten Wohnungen immer noch abgerissen werden.
Aktuell günstige Wohnungen abzureissen ist genauso Irrsinn wie den Neubau von hochwertigen Wohnungen zu verhindern.