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Kolumne WirtschaftsweisenVon Äpfeln und Birnen, dialektisch gesehen

Herbstzeit ist Erntezeit

Herbstzeit ist Erntezeit, auch im Wald. Foto: dpa

Ähnlich wie für Vögel und Igel ist der Herbst auch für Menschen eine Zeit, in der es Nahrung im Überfluss gibt. „Oktobersonne – Winzers Wonne“, sagt der schwäbische Weinbauer. Und auch der märkische Landwirt freut sich, wenn der Kartoffelacker noch nicht im Matsch versackt ist.

Der Kreuzberger Prinzessinnengarten annonciert gerade: „Unsere Sackkartoffeln sind erntereif: Am liebsten ernten wir sie mit euch! Kommt vorbei zum gemeinsamen Ernten, Verkosten und die Herbstsonne genießen.“ Die Moritzplatzgärtner haben außerdem an den brandenburgischen Obstbaum­alleen jede Menge Äpfel gesammelt, die in ihrem Garten von einem mobilen Apfelmoster zu „leckerem Apfelsaft“ verarbeitet werden.

In Süddeutschland wird der Saft zu Most – Apfelwein mit einem Alkoholgehalt von etwa 5,8 Prozent – vergoren. Ein von dort rübergemachter taz-Redakteur sieht in dieser Weiterverarbeitung die Dialektik begründet, wie sie dann vom Schwaben Hegel in die philosophische Welt hinausposaunt wurde: Ungefähr so: These „Apfel“, Antithese „Saft“, Synthese „Most“. Von Hegel ausgehend haben dann Engels und Stalin die Dialektik wieder in die Natur zurück projiziert. Engels mit seiner „Dia­lek­tik der Natur“ und Stalin mit seinem Dialektik-Beispiel Weizenkorn.

Ganz sicher ist es antithetisch, wenn im Zuge der Kapitalisierung und Industrialisierung der Landwirtschaft immer mehr Leute scharf auf selbst angebautes, geklautes oder geschenktes Gemüse und Obst sind. In den Schrebergärten wird man damit jetzt geradezu überschüttet, denn die meisten haben zu viel geerntet – und drängen den Überschuss nun den Nachbarn und Freunden auf: Rote Beten, Möhren, Zwiebeln und Herbstsalate zum Beispiel. Bei mir werden die Kiepen mit Birnen und Weintrauben bereits von Fruchtfliegen umschwirrt. Ein sicheres Zeichen, dass ich sie nicht so schnell wegessen kann, wie sie faulen.

Anders ist es mit den Kiwis, die zwar keinen Frost vertragen, andererseits jedoch nach der Ernte noch zu hart zum Essen sind und deswegen erst einmal nachreifen müssen. Ähnliches gilt für einige späte Kürbissorten. Auch Walnüsse müssen erst einmal getrocknet werden, um sie später essen zu können. In Weißensee sahen wir einige Krähen, die es nicht abwarten konnten und sie wieder und wieder im Flug auf die Straße fallen ließen, damit sie aufplatzen.

In einigen Bezirken hat man türkische Haselnussbäume gepflanzt, in braunen Büscheln fallen nun die Nüsse ab. Sie sind klein und schwer zu knacken, aber in Pankow sahen wir, wie die Rentner sie in Plastiktüten aufsammelten. In Kreuzberg werden dagegen derzeit die grünen Blütenstände von Hanfpflanzen auf ähnliche Weise eingesackt.

In Reinickendorf werden seit Ende September die blau­schwar­zen Holunderbeeren geerntet – um daraus Saft oder Gelee zu machen. Beides soll gut gegen Erkältung sein. Hinter Marzahn pflücken die Leute sich heimlich Sonnenblumen, die dort auf einigen Feldern wachsen. Sie sollen der Herbstdepression vorbeugen, wenn man sie in einer Vase vor sich sieht.

Nicht wenige Obst- und Gemüsesorten verderben bei Frost, andere – wie die Schlehe – brauchen ihn, damit die Bitterstoffe aus den Früchten entweichen, erst dann kann man Marmelade oder Likör daraus machen. Auch der Grünkohl sollte Frost abbekommen, im Gegensatz zu den Pilzen, deren Saison jetzt begonnen hat. Während die Erwachsenen mit ihren nahezu kostenlosen Schätzen Erntedankfest feiern, freuen sich die Kinder auf Halloween – und brauchen dazu teure Gruselkostüme.

Das Portal oekolandbau.de behauptet ja: „Erntezeit ist Planungszeit.“ Aber wer will das schon, planen?

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