Kolumne Wir retten die Welt: Hurrikan Harvey trifft die Falschen

Der Ölstaat Texas, der Klimaschutz blockiert, säuft ab. Klammheimliche Freude? Desaster schaden vor allem den Armen. Bei uns und weltweit.

Menschen waten durchs Wasser, schieben drei Luftmatratzen mit Sachen

Flucht mit Sack und Pack vor den Fluten in Houston Foto: Reuters

Was genau ist eigentlich Ironie?“, fragte meine Tochter letztens, als sie über ihren Deutsch-Hausarbeiten saß. „Und was ist Zynismus?“ Ich kam ins Schwitzen. Heute würde ich sagen: Ironie ist, wenn ein Sturm durch den Klimawandel so heftig wird, dass er die Welthauptstadt der Ölbarone und Gasgangster lahm legt. Wenn der US-Staat absäuft, der seit Jahrzehnten den Klimaschutz verhindert.

Und Zynismus ist es, wenn man sich darüber freut.

Ich gebe es zu: Ein kleiner Teufel im schwärzesten Bereich meiner Seele flüstert: „Endlich trifft es mal die Richtigen!“ Ich erinnere mich an meine letzte Recherche in Texas, an hilflose Klimawissenschaftler, verzweifelte Umweltschützer und vor allem an arrogante, stinkreiche und ignorante Ölgötzen in Washington und Houston. Klimawandel? Gibt's nicht, ist schlecht fürs Geschäft. Wer danach fragt, hat sie nicht mehr alle.

Der linke US-Ökonom Jeffrey Sachs fordert, der Gouverneur von Texas solle zurücktreten, die texanischen Politiker in Washington müssten sich bei den Amerikanern und der Welt entschuldigen. Erst bekämpften sie die Wissenschaft, „und dann kommen sie und betteln um Hilfe“.

Wenn stinkreiche Ölgötzen Umweltschutz verhindern

Allerdings: Wenn man die Bilder aus Houston sieht, dann betteln andere Menschen um Hilfe. Es sind zum größten Teil die Armen, die unter dem Sturm „Harvey“ am meisten leiden. Bibbernde schwarze Kinder in Schlauchbooten, Familien ohne Versicherung für ihre zerstörten Häuser. Es ist das Fußvolk der Ölbohrer, denen das Wasser bis zum Hals steht. Es sind nicht die Bosse, Manager, Banker, Experten und Lobbyisten, denen alles davonschwimmt. Die haben Rücklagen, Versicherungen, die werden sich an der Hilfe aus Washington gesundstoßen, wie es immer bei Katastrophen passiert. Und die werden über ihre Investments noch davon profitieren, dass der Benzinpreis steigt, weil die Raffinerien dicht sind.

Die Bilder erinnern uns daran, dass der Klimawandel eine Macht- und Klassenfrage ist. Um es mal ganz grob zu vereinfachen: Wer national und global betrachtet reich ist, der verursacht das Problem und schützt sich auch noch gegen die Konsequenzen. Wer arm und ohnmächtig ist, verliert sein Eigentum, seinen Job (als Farmer oder Ölarbeiter) und manchmal sein Leben.

Wer Gerechtigkeit will oder auch nur effizienten Klimaschutz, der muss dafür sorgen, dass die Täter nicht weiter geschützt werden und die Opfer nicht immer wieder draufzahlen. Also, nein: Harvey trifft nicht die Richtigen, sondern liefert höchstens den Opfern einen Anlass, sich zu wehren. Wenn sie denn mal wieder an etwas anderes denken können als eine sichere Unterkunft und eine warme Mahlzeit.

„Ironie heißt, etwas zu sagen und das Gegenteil zu meinen“, habe ich versucht, meiner Tochter zu erklären. Aber die Lügen der Öllobby und ihrer Politiker sind nicht ironisch, sondern zynisch, weil sie Aufklärung und eine Änderung der Zustände verhindern. Genauso zynisch wie unsere Öffentlichkeit, die die Toten und die Schäden von Houston auf die Titelseiten hebt – und als Kurzmeldung abhandelt, wenn bei ebensolchen Regenstürmen in Indien, Pakistan, Bangladesch, Sierra Leone, Nigeria, Niger, Kamerun und Sudan ganze Landstriche untergehen und tausende Menschen sterben. Der Sturm beutelt die Falschen. Aber auch unser Blick auf das Problem ist ein Problem.

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Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).

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