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Kolumne Wir retten die WeltWas die Grenzen wert sind

Bernhard Pötter
Kolumne
von Bernhard Pötter

Die Autobranche weist den Weg: Limits für Schadstoffe sind was Schönes, weil sich keiner dran hält. Das erspart uns eine Menge Ärger.

Das ist sie, die Vergangenheit Foto: dpa

D er Rat des Experten war klar: „Kauf dir einen Diesel!“, sagte mir vor elf Jahren der Mann, der heute auf allen Kanälen gegen die Dieselmotoren wettert. Wir werden eben alle immer klüger. Damals waren die Kinder jung, wir gingen für ein paar Jahre ins Ausland und brauchten etwas Fahrbares. Es wurde also ein Opel Zafira, auch wenn mir heute bei dieser Beichte die Hand zittert.

Der Wagen ist zum Familienmitglied geworden, obwohl ich nicht dazu neige, einen verbeulten Haufen aus Blech, Gummi und klebrigen Sitzen mit großem emotionalem Mehrwert schönzureden. Gern erinnern wir uns an die Sternstunden im Opelblitz: Wie unser ältester Sohn auf der Autobahnraststätte den Zündschlüssel im Wagen einschloss; wie unsere Tochter die Karre bei der illegalen Fahrschule im Wendland in den Graben setzte; wie unser Jüngster das Auto schon vor dem Besuch im Haribo-Museum vollkotzte.

Doch damit ist es nun natürlich vorbei. Wenn wir unseren Zafira zufällig auf der Straße sehen, tun wir so, als ob wir ihn nicht kennen. Meine Frau schleicht nur noch geduckt im Schutze der Dunkelheit zum Fahrzeug, wenn sie zum Frühdienst fährt.

Dabei, ganz ehrlich: Was ist passiert? Opel hat offenbar ähnlich geschummelt wie VW. Der Zafira pulverisiert alle Grenzwerte für Stickoxid. Aber daran haben wir uns doch in den Zeiten von „Dieselgate“ gewöhnt, und die zuständigen Behörden wissen es noch viel länger. Ein Skandal, klar. Aber das eigentliche Problem sind doch nicht die Grenzüberschreitungen der Autokonzerne. Es sind die Grenzwerte.

Grenzen sind doch nichts mehr wert, das hat meine Generation seit 1989 zum Dogma erhoben. Wer konnte denn ahnen, dass 2015 ganz Deutschland – mit Ausnahme von Angela Merkel und der taz – plötzlich wieder großen Wert auf seine Grenzen legt! Die Autoindustrie jedenfalls nicht. Und deshalb gelten diese „Werte“ für sie ja auch nicht so richtig. Die nämlich werden völlig an den Bedürfnissen der Industrie vorbei festgelegt. Das muss man sich mal vorstellen: Grenzwerte werden bestimmt, weil sie unsere Gesundheit und Umwelt schützen sollen. Total irre!

Die unsichtbare Hand der Marktwirtschaft

Aber zum Glück greift die unsichtbare Hand der Marktwirtschaft ein: Die Motoren dürfen deshalb ganz legal die Grenzwerte für Stickoxide um das Doppelte überschreiten, hat die EU-Kommission auf sanften Druck der Autobauer eingeräumt. Und weil das eben nicht konform ist mit dem sonst so hochgelobten Vorsorgeprinzip, heißt die Berechnung mit EU-eigener Ironie „Konformitätsfaktor“. Auch beim CO2 wird nichts so heiß gegessen, wie es aus dem Turbolader kommt. Gesundheitsgefahren? Ja ist denn das Leben nicht lebensgefährlich?

Dieser Wirbel um Höchstdosen, die aus wissenschaftlicher Sicht für Mensch, Tier und Umwelt gerade noch vertretbar sind, ist doch eh von gestern. Macht euch mal locker! Die schöne neue Konformitätswelt könnte auch anderswo zum Vorbild werden: Wir können doch auch an der Obergrenze für Glyphosat so lange von Experten herumrechnen lassen, bis der Stoff ungiftig wird. Unser Grenzwert für radioaktive Strahlung? Ah, das ist so neunziger Style, heute macht uns ein bisschen Radon doch aktiv! Emissionslimits für Quecksilber und Dioxin aus Kraftwerken? Könnten wir doch auch in der Pfeife rauchen. Beim Tempolimit machen wir es schon seit Jahren vor: Erst ein Tempo-30-Schild aufstellen, dann die Radarfallen abbauen.

Hier ist mein grenzwertiger Vorschlag: Wir kehren all die Obergrenzen auf einen Haufen. Sie werden umbenannt in „unverbindliche Schadstoffhöchstmengenempfehlungen, präsentiert von führenden Bundesministerien“. Das erspart uns eine Menge Ärger, Aufregung und Bürokratie. Und sichert uns jede Menge Grenzerfahrungen.

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Bernhard Pötter
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).
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6 Kommentare

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  • Vielleicht sind auch die Grenzwerte einfach so unrealistisch, dass sie sich technisch und physikalisch gar nicht mehr realisieren lassen. In diesem Fall stünde eine Richtungsentscheidung an: Grenzwerte realisierbar halten - oder aber auf die Technologie Auto ganz verzichten.

     

    Beispiel Kleinwagen (Renoe Zoe): physikalischer Minimalverbrauch (gemäss Luftwiderstand, Rollwiderstand) 9 kWh/100 km bei konstant 50 km/h. Ohne Beschleunigung/Abbremsen, ohne Radio, Klimanlage, Heizung, ... Und ohne Berücksichtigung der Verluste beim Aufladen des Elektrofahrzeugs (bis zu 30%).

     

    Entspricht etwa 4 Liter Benzin/100 km bzw. der EU-Norm von 95 g CO2 pro Kilometer.

     

    Und da "ohne Klimaanlage", "ohne Beschleunigung" und "konstant 50 km/h" ganz und gar unrealistisch sind, ist auch die EU-Norm nicht einzuhalten. Und jetzt?

  • Zum Glück werden in den USA die Standards überprüft. In der EU scheint da eine lasche Haltung üblich zu sein.

  • Der Skandal sind sind nicht die Autokonzerne, der Skandal sind die Politiker und die Wähler. Konzernvertreter können gut verhandeln, dafür werden sie gut bezahlt. Volksvertreter können auch gut verhandeln, aber sie lassen sich zu oft von zwei Seiten gut bezahlen. Passiert halt mal, gut, aber dass diese dann immer wieder gewählt werden dass ist der größte Skandal. Sollen wir jetzt zynisch werden, sollen wir drauf kotzen oder sollen wir uns zum Besorgtbürger mausern der sich eine möglichst schwache Zielgruppe aussucht und dort seine Wut abläßt?

    • @joha:

      Oha - Jo Jo Ha! -

      Is das sone Art Freibrieferklärung -

      Im Vorgriff auf CETA TTIP et al.¿;()

      kurz - zwei links zwei rechts -

      Einfältich - gleich runter!

  • "Was die Grenzen wert sind

    Die Autobranche weist den Weg: Limits für Schadstoffe sind was Schönes, weil sich keiner dran hält. Das erspart uns eine Menge Ärger."

    "…Und sichert uns jede Menge Grenzerfahrungen."

    Total legal! SUVen et al. - Ohne Ende!!

     

    Jau - & deswegen - ist der Wirtschaftlich-Industrielle Komplex du Banque

    Arm in Arm mit CDUCSUSPDFDPSCHWARZGRÜN

    So vehement für TISACETATTIP

    "Ihr seht - Ami-Land hat recht -

    HAU WECH DENN SCHEISS!

     

    ("Grenzerfahrungsfolgen ¿¿!!-

    KLAGT DOCH IHR WEICHEIER!!)

    Lest mal das Kleingedruckte &

    WIR - haben die besseren Anwälte!

    Freie Fahrt für freie Unternehmer!

    Weg mit den Alpen!

    Freier Blick zum Mittelmeer!

    Die volle Dröhnung!

    • @Lowandorder:

      & schönen Gruß von Steini I.

      Letzter Kanzlerkandidat SPD -

      Wahlkreis Mettmann - mit

      Lieblingsaufkleber -DaiPoBMWs et al.

      EURE ARMUT KOTZT MICH AN