Kolumne Wir retten die Welt: Das süße Gift der Korruption

Was tut man mit Bestechungsgeschenken zum Jahreswechsel, mit Keks- und Kalenderkorruption zum Christfest? Kreativ entsorgen!

„Und den da, den schicken wir der taz...“: Bitte nicht! Obwohl, vielleicht doch? Foto: reuters

Ich rühre das nicht an!“, sagte Kollege K. Vor ihm auf dem Schreibtisch in der Redaktion lag ein dickes Päckchen. „Ich will damit nichts zu tun haben!“ Das Paket war kurz vor Weihnachten eingetroffen, an ihn adressiert, völlig harmlos und doch explosiv, wie er fand. Der Inhalt: eine Flasche Sekt, eine Tafel Schokolade, Kekse und ein Döschen Pastete. Absender: die Unternehmensberatung Roland Berger. Mit freundlichen Weihnachtsgrüßen.

Zur Jahreswende lauern die Gefahren überall: rutschige Straßen und ethisches Glatteis auf dem Berliner Parkett. Neben unverdächtigen Grußkarten trudeln auch bei den aufrechten KämpferInnen für die Rettung der Welt Säckchen und Päckchen zweifelhafter Herkunft ein: ein Päckchen Kaffee von Eduscho (oder war es Tchibo?) hier, ein paar Pralinen dort, ein Gutschein über drei kleine Bier und ein Käsebrötchen vom Institut der Deutschen Wirtschaft, eine Box für Stifte vom Müllentsorger Alba, Fotokalender 2016 in Landkartengröße vom Umweltministerium und den Tierschützern vom WWF. Früher kam zum Advent regelmäßig ein Kasten Schultheißbier mit Nikolausmützen.

Das süße Gift der Korruption wirkt sofort: Wenn wir auf der Konferenz Marzipankugeln der Deutschen Bank knabbern dürften, würden wir natürlich den nächsten Skandal aus Frankfurt einfach totschweigen. Wenn mir der Sprecher von Eon einen Tee bezahlt, finde ich die Energiewende plötzlich widersinnig. Und wenn ich ihn auf einen Kaffee einlade, ist er wiederum sofort vom Atomausstieg überzeugt.

Im Ernst: Die Verrenkungen zwischen persönlicher Nähe und professioneller Distanz bei JournalistInnen, Politikern, Unternehmen und LobbyistInnen sind gerade zum Jahreswechsel die hohe Kunst der Akrobatik. Es ist noch nicht lange her, da waren wir Pressefritzen völlig schmerzfreie Raffkes. In der Affäre um den damaligen Bundespräsidenten Wulff ereiferten sich Journalisten über ein geschenktes Bobbycar. Gleichzeitig fanden viele Verteidiger der vierten Gewalt nichts dabei, sich auf Presseausweis billige Flüge, rabattierte Autos und den halben Hausstand zum Schnäppchenpreis zu bestellen.

Heute geht es längst nicht mehr so dreist zu. Mit den Kugelschreibern, die schwarzrotgold fürs „Bundeswirtschaftsministerium“ werben, kann man sogar schreiben „Gabriel ist doof“, ohne dass sie den Dienst quittieren. Und eine Beamtin, die ich zum Mittagessen für zehn Euro beim Asiaten einlade, sorgt sich, ob sie damit gegen die Anti-Korruptionsrichtlinien verstößt.

Offensive Kumpelhaftigkeit

Dabei sind die Geschenke rund um den Jahreswechsel sehr hilfreich. Sie erinnern uns daran, wie beeinflussbar wir sind: Wenn auch weniger durch ein Netz voller Orangen als durch ein Netzwerk von Vitamin B. Denn die wirkliche Korruption von Kritikern oder Medien wirkt durch Zugang, Nähe, Lob und exklusive Informationen. Wer die private Handynummer der Ministerin hat oder dem Vorstandschef bei einem guten Rotwein tief in die Augen blicken darf, dem fällt es schwer, an deren dunkle Machenschaften zu glauben. Offensive Kumpelhaftigkeit von Unternehmen und Behörden trifft auf immer weniger Journalisten unter immer mehr Zeitdruck: eine gefährliche Mischung, die kritische Berichterstattung besser verhindert als jede Keks- und Kalenderkorruption zum Christfest.

Gegen die materielle Bestechung dagegen, die zum Jahreswechsel den Umsatz der Paketdienste aufbläht, kann man sich kreativ wehren: Manche Kollegen putzen bei Presseterminen mit so viel Eifer die belegten Brötchen weg, als wollten sie den Gastgeber in den Ruin treiben. Genau das war meine Überlegung, als ich mir beim Pariser Klimagipfel im Pavillon von Saudi-Arabien eine Dose Cola einsteckte: Je mehr schwarzes Gold vom Markt verschwindet, desto besser! Ein Kollege erzählt, er lasse bei unangenehmen Terminen auf dem Klo extra lange das Wasser laufen, um die Rechnung hochzutreiben.

Den besten Vorschlag macht allerdings Kollegin H., erfahren im korruptionsanfälligen Terrain der Abfallwirtschaft: Edle Geschenke wie guten Wein auf dem Tisch in der Redaktion stehen lassen. Die verschwinden schnell. Das erspart den Kater und sonstiges ethisches Kopfzerbrechen: Wer die Flasche mitnimmt, ohne den Absender zu kennen, kann sich von ihm auch nicht korrumpieren lassen.

Comments

[mowgli]

Eine sehr gute Idee, diese Anonymisierung von Waren, die als Bestechungsversuch gedacht gewesen sind!

 

Die Entkoppelung des Geschenks vom Schenkenden wirkt erstens klimaverbessernd (wer nicht weiß, dass sein Geschenk verschenkt wurde, kann gut an dessen positive Wirkung glauben) und zweitens nicht wirtschaftsschädigend (wer weiter an die positive Wirkung glaubt, kauft und verschenkt auch im nächsten Jahr wieder etwas). Eigentlich dürften mit dem Konzept nur solche Leute Probleme haben, die wissen, dass sie sich etwas wünschen, was sie sich eigentlich nicht wünschen sollten, weil es gewissen wichtigen Grundsätzen widerspricht.

 

Im Grunde, fällt mir grade auf, funktioniert so der Gedanke der Steuer – sofern er denn überhaupt funktioniert: Sie wird am Jahresende fällig, der Steuerzahler bleibt anonym und er tut Gutes. Zumindest, wenn mit seinem Geld nicht einzelne Personen, die Waffenindustrie oder ausschließlich „die Wirtschaft“ gefördert werden.

 

Eigentlich könnte man als Steuerzahler also gleich mehrfach stolz sein auf sich. Man tut gutes ohne damit anzugeben, verbessert so das allgemeine Klima und übt sich zugleich in der Kunst des Unbestechlichseins, was einen moralisch haushoch z.B. über Uli Hoeneß erhebt. Ich verstehe gar nicht, wieso die Leute derart ungern Steuern zahlen...!

[veilchenblu]

Alternativ könnt ihr die Korruptionsgeschenke auch bei der Tafel abgeben.

[mowgli]

@veilchenblu:

Falsch. Das Abgeben von Weihnachtsgeschenken bei der Tafel ist keine "Alternativ[e]" im engeren Sinn. Spenden an die Tafel (den Kirchenchor, Greenpeace, ein Frauenhaus der eigenen Wahl oder das nächstgelegene Tierheim) fallen schließlich für die meisten Leute in die Rubrik "gute Taten". Man kann sich damit also ein gutes Gefühl bzw. ein ruhiges Gewissen erkaufen. Auch das korrumpiert. Vielleicht sogar noch mehr, als Geld oder Waren. Der mehr oder weniger edle Spender kann also selbst dann auf gewisse Mitnahme-Effekte rechnen, wenn der Spenden-Empfänger das Geschenk nicht selber verkonsumiert. Er hat ja schließlich gleich zweimal Positives ermöglicht.

 

Wer sein Geschenk hingegen unerkannt in die Gemeinschaftsküche stellt, der weiß nicht, wer sich daran bedient. Vielleicht ist es der Lieblingskollege, vielleicht aber auch der Chef und vielleicht sogar der bestgehasste Mann im ganzen Büro. Sicher ist bloß, dass dieser Mensch sich selber für bedürftig hält, sonst würde er nicht zugreifen, sondern anderen den Vortritt lassen. Und noch eins ist sicher: Bedürftige dieser Kategorie lernen nur dann, all ihren Mitmenschen gleichermaßen positives zu unterstellen, wenn sie nicht wissen, wer ihnen da grade etwas Gutes tut. Dann nämlich können sie Freundlichkeit und Großzügigkeit nicht als (konkrete) Ausnahme ansehen, sondern müssen beides als Regelfall betrachten. Kann ja schließlich jeder "der Gute" gewesen sein.

[Georg Schmidt]

tja, das waren noch Zeiten als man einen Kugekschreiber bekam, heute reicht es gerade zu einm Kslender für 20cent die grossen Geschenke gibts das Jahr über Arbeits esse b zum Beispiel ab Direktor!

[mowgli]

@Georg Schmidt:

Falsch. Die richtig "großen Geschenke" gibts in Gestalt von Macht und Einfluss, nicht in Gestalt von "Arbeitsessen". Sie haben zum Beispiel die Form von Gesetzen, die nur einigen Wenigen nutzen, den meisten Leuten hingegen schaden. Oder sie verändern das gesellschaftliche Klima - natürlich wieder nur zum Vorteil Einzelner.

[fly]

Echt? Ich will auch Journalist werden. Bei uns kamen die ganzen letzten Jahre schon keine Präsente mehr an.

[mowgli]

@fly:

Sind Sie denn angewiesen auf "Präsente"? Ich meine: Ich dachte immer, nur dumme kleine Kinder hassen Weihnachten (bzw. ihre Eltern), weil das "Christkind" ihnen nicht das ersehnte Geschenk unter den Baum gelegt hat. Erwachsenen können sich doch ihre Geschenke notfalls selber kaufen, oder?