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Kolumne Wir retten die WeltOhne ist das neue Mit

Kolumne
von Svenja Bergt

Auch jenseits der Grünen Woche zeigen sich Lebensmitteltrends. Zum Beispiel auf der Messe „The Allergy & Free From Show“.

Gummibären. Mit Zucker. Ohne Gummi. Und ohne Bären. Bild: ap

D ie Packung sieht aus, als hätte man gleich einen Beipackzettel dazureichen können. „Ohne Zuckerzusatz“ steht drauf und dann: „Frei von Aromen, ohne Nüsse, Saaten und Kerne, ohne Speisesalz.“ Herzlich willkommen vor dem Müsliregal im Supermarkt.

Produkte definieren sich heute ja weniger über das, was drin ist, als über das, was nicht drin ist. Shampoo ohne Silikone, Sonnenmilch ohne Parabene, Kinderspielzeug ohne Weichmacher und Müsli, bei dem man sich fragt, was ohne Nüsse, Saaten und Kerne eigentlich noch übrig bleibt. So ist ohne das neue Mit. Steht heutzutage ein Mit auf der Verpackung, vermittelt es im Subtext gleich das Ohne: „Mit Agave gesüßt“ – aha, kein Zucker drin.

Kein Wunder, dass es längst die Messe zum Ohne-Trend gibt, parallel zur Grünen Woche, die immer noch auf das alte Mit setzt (Ausstellung mit Tanzeinlagen, Wurst mit Meerrettich, Landwirtschaft mit Massentierhaltung): „The Allergy & Free From Show“ heißt das neue Gegenstück und die Ausstellerliste liest sich wie eine Mischung aus Apotheke und veganem Biosupermarkt.

Dabei sind die Ohne-Käufer nur die logische Folge des alten Mit: der immer stärkeren Verarbeitung der Lebensmittel, der kompletten Verunsicherung, was sich in einem Produkt befindet. Wer im Supermarkt beliebige Zutatenlisten studiert, wünscht sich häufig eine Tabelle mit E-Nummern zur Hand. Und einen Abschluss in Lebensmittelchemie.

Wo große rote Erdbeeren von der Packung leuchten, ist schon lange kein Verlass mehr darauf, dass tatsächlich Erdbeere drin ist. Und wer kann auf Anhieb sagen, was genau Dimethylpolysiloxan ist und ob man auf Lebensmittel mit dieser Zutat besser verzichten sollte?

Produkte für ein besseres Leben

Das zu viel Mit in der Vergangenheit hat abgestumpft, immun gemacht. Wer greift denn heute noch zu einem Fruchtgummi, weil „mit Vitamin C“ draufsteht? Da müssen schon zusätzlich noch Kalzium, Vitamin A, B und D und die Schluckimpfung gegen Rotaviren drin sein. Oder zumindest das Versprechen, dass das Leben besser wird und die Kinder aufhören zu schreien.

Damit unterscheiden sich die Ohne-Käufer gar nicht so von den Mit-Käufern: Beide erhoffen sich mit den Produkten ein besseres Leben. Die einen mit mehr Vitaminen, die anderen ohne Allergene. Und beide befreien sich von der Last, lange Zutatenlisten zu studieren. „Ohne Palmöl“ – super, schon mal eine Sache weniger, über deren Herkunft, Verarbeitung und Auswirkungen man sich Gedanken machen muss. Gehörte das Mit zur Überflussgesellschaft, ist das Ohne der verzweifelte Versuch, sich in deren Dickicht zurechtzufinden. Wer Mit kauft, will viel, noch mehr, die doppelte Portion. Ohne ist Reduktion. Der Fokus aufs Wesentliche. Einfachheit. So jedenfalls das Versprechen.

Was wir brauchen, ist also nicht ein Weniger an Ohne, sondern ein Mehr. Ein auf den ersten Blick sichtbares Bekenntnis dazu, was eigentlich so an Überflüssigem in Umlauf ist. Die neue Fitness-App? Ohne Privatsphäre. Die Bahn? Ohne Pünktlichkeit. Die Bundesregierung? Ohne Konzept.

Noch einen Schritt weiter geht Theramed, ein Hersteller von Produkten zur Mundygiene aus dem Hause Henkel. Der hat eine Zahnpasta im Angebot, für Kinder ab sechs Jahren. Die Tube in knalligem Magenta, auf dem Etikett beworben mit einer Art Krokodil mit Turnschuhen. Überraschung eins: Krokodil ist nicht drin, auch nicht in Spuren. Überraschung zwei: Noch etwas anderes fehlt, etwas, sonst eigentlich die Standardzutat von Zahnpasta. Deshalb weist der Hersteller auf der Packung extra darauf hin, deutlich, in Gelb auf Blau: „Ohne Zucker“.

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Redakteurin für Wirtschaft und Umwelt
schreibt über vernetzte Welten, digitale Wirtschaft und lange Wörter (Datenschutz-Grundverordnung, Plattformökonomie, Nutzungsbedingungen). Manchmal und wenn es die Saison zulässt, auch über alte Apfelsorten. Bevor sie zur taz kam, hat sie unter anderem für den MDR als Multimedia-Redakteurin gearbeitet. Autorin der Kolumne Digitalozän.
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