Kolumne Über Ball und die Welt: Wer sich dumm stellt, spielt gut

Der Fußballbetrieb übersieht Diskriminierungen immer wieder großzügig. Er verleugnet seinen politischen Gehalt und läuft so bestens.

Franz Beckenbauer bläst in eine rote Vuvuzela. Zwei Männer beobachten ihn dabei

Der weiße Kaiser spricht: „Ich habe noch nicht einen einzigen Sklaven in Katar gesehen – weder in Ketten, gefesselt noch mit Büßerkappe auf dem Kopf.“ Foto: reuters

Nein, dumm sind Fußballer nicht, auch Sinisa Mihajlovic nicht, der serbische Trainer des FC Turin. Als Mihajlovic auf die Aufkleber mit antisemitischen Sprüchen und dem Motiv Anne Franks angesprochen wurde, die jüngst von Fans von Lazio Rom massenhaft im Stadion verbreitet wurden, beteuerte er, nicht zu wissen, wer das abgebildete jüdische Mädchen war.

Wenn Mihajlovic klug ist, wird er seine Behauptung, noch nie von Anne Frank, ihren Tagebüchern und ihrem Schicksal gehört zu haben, noch eine ziemliche Weile durchziehen. Und der Fußball, so ist zu befürchten, wird ihm seine Schaustellung von Ignoranz danken. Denn dieser Sport lebt ja von der Behauptung, er sei „nur ein Spiel“, das „mit Politik nichts zu tun“ habe. Gerade diese Lüge ist es ja, die den Fußball so groß gemacht hat.

Das war schon immer so. Als 1994 im Berliner Olympiastadion ein Länderspiel zwischen Deutschland und England ausgetragen werden sollte, sagte der damalige Bundestrainer Berti Vogts gefühlte drei Wochen lang in jedem Interview zum avisierten Termin, dem 20. April: „Ich weiß nicht, wer an diesem Tag Geburtstag hat.“

Fußball und Folter

1978 fand die Fußball-Weltmeisterschaft in der Militärdiktatur Argentinien statt, Amnesty International hatte prominente ­Fußballer für seine Kampagne „Fußball ja, Folter nein“ gewinnen ­wollen. Doch die Menschenrechtsorganisation musste die eiserne ­Klugheit erleben, mit der Fußballprofis sich lieber dumm ­stellen, als etwas Fußballfremdes zu sagen. „Ich habe keine Angst, dahin zu fahren. Das ist sicher gut abgesichert“, wusste Dieter Müller vom 1. FC Köln, dass eine Diktatur ja nicht nur Nachteile haben muss. „Nein, belasten tut mich das nicht, dass dort gefoltert wird“, ergänzte Manfred Kaltz vom Hamburger Sport-Verein. Am deutlichsten qualifizierte sich Berti Vogts für höhere Aufgaben: „Ich habe keinen einzigen politischen Gefangenen gesehen.“ Und er fügte hinzu, ob die Frage auch gestellt würde, wenn die Weltmeisterschaft in der Sowjetunion stattfände. Dafür attestierte ihm die Welt aus dem Hause Springer „unvergleichlich viel Mut“.

Vogts’ Vorlage nahm später sogar der Kaiser auf. „Ich habe noch nicht einen einzigen Sklaven in Katar gesehen“, berichtete er 2013 vom WM-Ausrichter 2022 Katar, „weder in Ketten, gefesselt noch mit Büßerkappe auf dem Kopf.“ Mag sein, dass Beckenbauer kurzfristig Häme erntete. Aber letztlich gelang ihm nicht weniger als die Rettung des Fußballs, wie wir ihn kennen. So gesehen war auch Beckenbauers Interview klug und mutig.

Feige ist auch Sinisa Mihajlovic nicht. Er teilte denen, die ihn mit Häme überzogen, mit, warum er Anne Frank nicht kennt. „Wie denn auch, ich werde ja selbst dauernd beleidigt.“ Mihaj­lovic spielte im Jahr 2000 mit Lazio Rom beim FC Arsenal in der Champions League und war mit dem französischen Nationalspieler Patrick Vieira aneinandergeraten. Der warf ihm vor, ihn einen „schwarzen Bastard“ genannt zu haben. Mihajlovic sagte dazu: „Er hat mich ‚Zigeunerscheiße‘ genannt, also gab ich ihm ‚schwarze Scheiße‘ zurück. Weil ich stolz darauf bin, ein Gypsy zu sein, war ich nicht beleidigt. Ich glaube auch nicht, dass er beleidigt sein kann, wenn ich sage, dass er schwarz ist.“

Sinisa Mihajlovic

„Er hat mich ‚Zigeunerscheiße‘ genannt, also gab ich ihm ‚schwarze Scheiße‘ zurück.“

Nun also hat Mihajlovic mit Hinweis darauf, dass er selbst zu einer Minderheit gehört, erklärt, warum er Anne Frank nicht kenne. Dass ihm ihr Name sehr wohl etwas sagt, ist zwar in der Logik seiner Antwort begründet, aber im ­Fußballgeschäft stört das niemanden. Dass Berti Vogts 1978 die Gegenfrage zur Sow­jetunion stellte, war ja auch der Beweis, dass er wusste, welches Regime damals in Argentinien herrschte. Das funktioniert immer noch. Der Betrieb ist weiter fest entschlossen, alles abzuwimmeln, was man an Tagen wie dem 9. November als Lehre aus der Geschichte bezeichnen könnte.

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Jahrgang 1964, Mitarbeiter des taz-Sports schon seit 1989, beschäftigt sich vor allem mit Fußball, Boxen, Sportpolitik, -soziologie und -geschichte

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