Kolumne Über Ball und die Welt: Vorschnelles Lob
Fußball gilt als vorbildliches Integrationsfeld für Geflüchtete. Doch die Konkurrenz ist groß und nur die wenigsten haben Glück.
A ufmerksame Leser der Sportseiten in Tageszeitungen kennen die Erfolgsstorys von Flüchtlingen, die es zu Profiverträgen gebracht haben, ja, die vielleicht in einer der besseren europäischen Ligen spielen. Diese Geschichten sind schön und zeigen doch einmal mehr, welche unglaubliche Integrationskraft der Fußball hat. Hat er? Tatsächlich gehört zur Perspektive vieler männlicher Jugendlicher und junger Männer, wenn sie über das Mittelmeer oder die sogenannte Balkanroute die EU erreichen wollen, der Traum vom Fußballprofi. Neben vielem anderen, wozu die EU da ist, steckt sie schließlich auch den politökonomischen Rahmen ab, in dem die besten Fußballklubs der Welt spielen.
In den meisten afrikanischen Staaten gibt es keine Profiligen, die den Kickern ein Auskommen sichern. Zwar gehe es Erstligaspielern dort oft besser als Arbeitern in Industrie oder Landwirtschaft, schreibt der Soziologe Daniel Künzler in einer Studie zum afrikanischen Fußball, aber man verdiene immer noch nicht genügend, „um eine größere Familie sorglos zu unterhalten“. Und für jugendliche Kicker kommt hinzu, dass es meist keine Nachwuchsarbeit gibt, in der doch die so wichtige fußballerische Ausbildung erfolgt.
Starke Gründe zur Migration also, die, woran die „Festung EU“ nicht schuldlos ist, nicht selten eine illegale ist. „Aktive Fußballer sind mobil und haben deshalb zusätzliche Fluchtwege“, schreibt Künzler. Spieler setzen sich etwa von ihren Mannschaften ab, wenn sie in Europa spielen. Auch nicht wenige reisen mit Touristenvisa in EU-Staaten ein und versuchen dann ihr Glück. „Migration mit dem Ball“ lautet ein Fachausdruck, er fasst legale wie illegale Wege nach Europa ebenso zusammen wie die Versuche von etablierten und ausgebildeten Kickern und die von Jugendlichen, teils sogar Kindern.
Es ist ja nicht so, dass in der EU keiner Interesse an diesen Leuten hätte: Spielervermittler (besonders gern ihre Mehrheit: die unseriösen) und Profiklubs wählen gerne aus einem größeren Talentepool, und wegen der enormen preisdrückenden Konkurrenz wird es noch billiger für sie. Das Gros der Fußballer, die aus Afrika in die EU kommen, scheitert hier (und es sind keineswegs nur schlechte Kicker, denn fußballerisches Talent ist ja nicht die einzige Komponente, die zu einer erfolgreichen Profikarriere führt). Wie jemand scheitern kann, können wir gerade bei Bakery Jatta aus Gambia sehen: Der Hamburger SV will das Talent, aber es gibt Diskussionen über sein Alter: Ist er 17 oder 20? Nun prüfen Juristen, ob Jatta eine Chance in der Bundesliga bekommt.
Mehrere Tausend afrikanische Spieler werden vom Fußballmarkt wieder aussortiert oder konnten nie Fuß fassen. Es gibt zwar NGOs wie die L’Association Foot Solidaire, gegründet vom früheren kamerunischen Nationalspieler Jean-Claude Mbvoumin, die sich um solche Spieler kümmern. Und es gibt Teams wie Footballeurs sans Frontières des Belgiers Francis Macors, die afrikanische Spieler ohne Vertrag einsetzen. Aber so wichtig sie sind, sie können nur einem Bruchteil der jungen Männer helfen, die diese Hilfe benötigen.
Gegen ihre wichtige Arbeit steht leider auch die verbreitete und ziemlich ideologische Vorstellung, der Fußball sei für die glücklichen Geschichten zuständig, während alles Leid nur außerhalb der schönen Sportwelt produziert werde. Nein, der Fußball ist, erstens, ein ganz wichtiger Antrieb zur Migration; er präsentiert sich, zweitens, kein bisschen humaner als der Rest der EU-Institutionen und Nationalstaaten; aber er könnte, drittens, tatsächlich mehr leisten – wie jedes Land und jeder Teil der Gesellschaft mehr leisten könnte. Wir sollten also den Fußball nicht vorschnell für die ihn so billig kommende Integration weniger Talente loben. Dazu ist der Fußball zu wichtig.
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