piwik no script img

Kolumne Russia TodayVon Isländern kämpfen lernen

Kolumne
von Johannes Kopp

Wer dieser Tage in Russland einen isländischen Fan trifft, muss sich auf hartes Tackling einstellen. Und die Menschen von der Insel sind alle gleich!

Familienbande statt Nationalismus: In der isländischen Fankurve sind alle irgendwie verwandt Foto: dpa

I sland will man wirklich nicht zum Gegner haben. Am selben Tag, an dem sie die Argentinier zum Verzweifeln gebracht haben, hat mich einer dieser unzähligen isländischen Fans schonungslos in die Mangel genommen – er trug natürlich dieses blaue Nationaltrikot. Als er erfuhr, dass ich für eine Tageszeitung arbeite und den Journalisten auch in Deutschland die schwindende Leserschaft der papiernen Ausgabe großes Kopfzerbrechen bereitet, herrschte er mich geradezu an: „Ihr müsst kämpfen!“

Meinen ersten zaghaften Versuchen, etwas zu entgegnen, begegnete er jedes Mal aufs Neue mit dem Appell: „Ihr müsst kämpfen!“ Es war einfach kein Vorbeikommen.

Er dagegen attackierte unermüdlich weiter. „Ihr seid schuld an Donald Trump und den anderen Verbrechern in den Regierungen. Ihr seid schuld, dass die Leute glauben, ihr würdet Fake News verbreiten. Ihr seid schuld, dass die Leute keine Zeitungen mehr kaufen. Ihr müsst kämpfen!“

All meine Versuche, das Spiel breiter zu gestalten, vergeblich. Er ließ mir einfach keinen Platz. Auf einmal schlug er mir dann aber doch ganz plötzlich versöhnlich auf die Schulter und entschuldigte sich. Isländer, so erklärte er mir, seien eben immer direkt und sie seien Kämpfer.

„Entschuldigung, wir können nicht anders“

Denn um auf ihrer kargen Insel zu überleben, bleibe ihnen gar nichts anderes übrig. Man schrecke vor keiner Herausforderung zurück und mache aus bescheidenen Mitteln immer das Beste. Ungefragt zeigte mir dieser isländische Fan so den gesamten kulturhistorischen Hintergrund dieses Unentschiedens seines Teams gegen Argentinien auf.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

In unserer Gesellschaft befand sich auch noch der russische Geschäftsmann Sergej, der wiederum darum bemüht war, die Unterschiedlichkeit der Russen aufzuzeigen. Ihm sei es ein Anliegen, erklärte er mir, allen WM-Touristen zu zeigen, dass es eben auch viele in seinem Land gebe, die nicht der Staatspropaganda glaubten und sich anders als Putin für ein offenes, europäisch orientiertes Russland einsetzten. Es gebe viele, die wüssten, dass Russland der Aggressor im Ukraine-Konflikt sei. Und all diese Menschen würden sich nicht wohl fühlen in ihrem eigenen Land.

Eine Frage drängte sich mir auf: Könnte es denn nicht auch unterschiedliche Isländer geben? Ich wurde von meinem Fachmann beruhigt. Seine Landsleute, erklärte er, würden alle gleich ticken. Wenn sich zwei träfen, müssten sie sich nur lange genug unterhalten, um verwandtschaftliche Bande zu finden. Keiner wolle anders sein. Alle wüssten, dass sie zu einer Familie gehören.

Und um ganz sicher zu gehen, erinnerte er noch einmal daran: „Alle wissen, dass sie kämpfen müssen.“ Ich kann danach ein wenig mitfühlen. Die kommenden Gegner von Island tun mir jetzt schon leid. Es wird für sie in jedem Fall sehr eng werden.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

taz-Sportredakteur
Jahrgang 1971, bis Ende März 2014 frei journalistisch tätig. Seither fest mit dem Leibesübungen-Ressort verbunden.
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!