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Kolumne PsychoBloß nicht jammern!

Am 10. Oktober ist Welttag der seelischen Gesundheit. Unsere Autorin fragt sich: Wann ist schlimm eigentlich schlimm?

Bild aus dem Hinterkopf der Autorin Foto: Taylor Rooney/unsplash.com

W elttag der seelischen Gesundheit, da muss doch irgendwas drin sein! Ein Listicle, ein Wie-sollen-Freunde-und-Familie-reagieren, ein feuriger Aufruf zu mehr Empathie und weniger Stigmatisierung. Einen Tag lang wäre alles möglich. Dinge schreiben, die noch nie geschrieben wurden. Die aufrütteln, geteilt werden, Menschen umdenken lassen. Die Autorin dieser Kolumne macht sich Druck. Erstmalig wählt sie gar die dritte Person, um über sich zu schreiben, weil sie sich selbst nicht richtig fühlen kann zur Zeit. Eigentlich schon seit Monaten. Aber so schlimm ist es auch wieder nicht, keine Panik.

Wann ist schlimm eigentlich schlimm?

Die Autorin schafft es schließlich, wenn auch nicht problemlos, alle wichtigen Dinge zu erledigen. Sie geht zur Arbeit, bezahlt ihre Rechnungen, duscht. Ruft ihre Eltern an und geht mit dem Hund raus. Nur für den Rest fehlt ihr die Energie. Gekocht hat sie seit Ewigkeiten nicht mehr. Sie hat immer Hunger, aber selten Appetit und erst recht keine Ideen, was sie essen könnte. Manchmal steht sie im Supermarkt vor einem Regal und denkt: Nudeln, stimmt, die gibt's. Fünf Minuten später steht sie immer noch da, weil sie sich nicht für eine Sorte entscheiden kann.

Ist das schon schlimm?

Die Autorin liest ihre Mails, ihre SMS, ihre Nachrichten. Oft sind sie von Freunden, die sie sehr mag, und trotzdem schafft sie es manchmal tagelang nicht, sie zu beantworten. Sie weiß gar nicht so genau, warum. Nur, dass allein das Formulieren von Sätzen eine bleierne Müdigkeit hervorruft. Sowieso ist die Autorin dauernd müde. Obwohl sie genug schläft, ausreichend Bewegung hat, pipapo. Die Müdigkeit sitzt unter den Augenlidern und im Hinterkopf, wo ihre Gedanken Kaugummi kauen. Sie mahlen mit knirschenden Kiefern, immer in Betrieb, aber wenn die Autorin versucht, sie auszuspucken, fällt nur der ausgelutschte Rest auf den Boden. Wenn die Autorin dann loswill, irgendwas erledigen, irgendwas machen, bleibt sie mit der Schuhsohle daran kleben.

Ist das schon schlimm?

Die Autorin will schließlich nicht jammern. Bloß nicht! Eigentlich ist ja auch alles gut. Das denkt sie immer dann, wenn sie gerade zugegeben hat, dass es ihr schlecht geht. Oft ist sie gar nicht sicher, ob sie überhaupt das Recht hat, sich schlecht zu fühlen. Und obwohl sie weiß, dass Ängste und Depressionen völlig unabhängig von äußeren Umständen auftreten können, zählt sie sich auf, was sie alles hat, als würde das die schlechten Gedanken vertreiben: Job, Wohnung, Beziehung, Freunde, Hund. Dann sagt sie sich selbst die Sätze, die sie anderen versucht, abzutrainieren. Denk positiv. Komm klar. Reiß dich zusammen und krieg deinen Arsch hoch.

Was vielleicht am Schlimmsten ist:

Die Autorin hat durchaus auch gute Momente in letzter Zeit. Manchmal sogar mehrere am Stück. Wenn sie gerade wirklich eine depressive Phase hätte, wäre das dann nicht anders? Wäre da nicht ein Dauergrauschleier, ein Nebel, der sich niemals lichtet? Vielleicht ist es doch nur Selbstmitleid, denkt sie, und am liebsten möchte sie diesen Text wieder löschen, weil sie sich schämt. Aber genau deshalb lässt sie ihn stehen.

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taz am wochenende
Jahrgang 1984, Redakteurin der taz am wochenende. Bücher: „Rattatatam, mein Herz – Vom Leben mit der Angst“ (2018, KiWi). „Theo weiß, was er will“ (2016, Carlsen). „Müslimädchen – Mein Trauma vom gesunden Leben“ (2013, Lübbe).
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