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Kolumne PsychoDie Angst vor der eigenen Zivilcourage

Es darf nicht selbstverständlich sein, ohne Gegenwind Rassismus in der Öffentlichkeit zu verbreiten. Doch oft kommt die Schlagfertigkeit zu spät.

Nicht wegzuschauen ist oft gar nicht so einfach Foto: dpa

B erlin-Tegel, Freitagmorgen. Ich warte auf den Flieger nach Zürich, als ich neben mir eine Männerstimme höre: „Ich wollte nur mal guten Tag sagen. Toi, toi, toi, machen Sie weiter so!“ Und eine Frau: „Ach, das ist aber nett von Ihnen!“ Weil ich wissen will, wer hier öffentlich für seine Arbeit gelobt wird, gucke ich hoch und sehe: Alice Weidel.

„Entschuldigung, nur für die Statistik: Ich finde, Sie sollten auf gar keinen Fall so weitermachen!“, sage ich, jedenfalls in einem anderen, besseren Leben. In dem echten Leben sitze ich da und schweige. Wie das so ist mit der Schlagfertigkeit, sie kommt immer zu spät. Kurz wünsche ich mir, im Flugzeug neben der AfD-Chefin zu sitzen und ihr die Meinung zu sagen. Dann wünsche ich mir, dass genau das nicht der Fall ist – was ist, wenn ich wieder kein Wort rausbekomme?

Am Ende fliegt Frau Weidel Business Class, wir landen in Zürich und ich habe nichts gesagt. Habe es zugelassen, dass die AfD gelobt wird, ohne irgendetwas entgegenzusetzen. What the fuck.

#WhattheFAQ ist auch das Motto des Festivals im Bregenzerwald, zu dem ich eingeladen bin. Am Samstag sitze ich auf der Bühne, Thema: Wovor fürchtest du dich? Es geht um Chemnitz, die AfD und wie man es schafft, mit Rechten zu reden. Eine Zuhörerin erzählt von einer Frau, die auf einer Rolltreppe eine rassistische Bemerkung über einen Mitfahrer gemacht hat. Nachts träume ich von Alice Weidel.

Ohne Gegenwind

Am Sonntagmittag fliege ich zurück nach Berlin. In der gut besuchten Ringbahn stehe ich an der Tür, auf den Plätzen neben mir sitzen drei Männer, einer hält ein Bier in der Hand und schwingt große Reden. Es fallen die Stichworte Merkel, Deutschland, Flüchtlinge. „Die nehmen uns die Jobs weg!“, ruft er, ich bekomme Herzklopfen vor Wut. „Und dann bekommen die noch ein Smartphone geschenkt, so wie du! Oder? Oder?“

Er zeigt mit der Bierflasche auf einen jungen, dunkelhäutigen Mann. „Klar, ich hab mir das direkt bei der Bundesregierung abgeholt“, sagt der in perfektem Deutsch und grinst. „Ey“, pöbelt der Rechte und steht auf, „willst du mich provozieren?“ Sein Kumpel versucht, ihn zurückzuhalten, er setzt sich wieder, steht erneut auf.

Ich muss daran denken, wie die Zuhörerin beim Festival ihr Einmischen auf der Rolltreppe erklärt hat. Sie habe das Selbstverständnis nicht ertragen, mit dem diese Frau dachte, sie könnte in der Öffentlichkeit rassistische Bemerkungen machen, ohne Gegenwind zu bekommen. Ich gehe einen Schritt auf den Pöbelnden zu und sage: „Ganz ehrlich, niemand hier teilt deine Meinung, also sei jetzt bitte einfach ruhig und lass den Mann hier in Ruhe.“

Er starrt mich fassungslos an, dann blitzt Wut aus seinen Augen, er steht auf, sein Kumpel auch, sie drohen mir. Ich bekomme Herzklopfen vor Angst, schaue in die Runde. Warum sagt hier keiner was? Schließlich winkt mich ein Pärchen zu sich, „komm mal hier rüber“. Die anderen Fahrgäste schweigen. What the fuck.

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taz am wochenende
Jahrgang 1984, Redakteurin der taz am wochenende. Bücher: „Rattatatam, mein Herz – Vom Leben mit der Angst“ (2018, KiWi). „Theo weiß, was er will“ (2016, Carlsen). „Müslimädchen – Mein Trauma vom gesunden Leben“ (2013, Lübbe).
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5 Kommentare

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  • Wer hat gesagt, dass Zivilcourage nichts kostet? Für Mut ist es wohl nie „zu spät“.

  • Jawoll, mehr Zivilcourage brauchts! Einfach mal den Mund aufmachen! Dann hauen einem die rechten zwei Zähne raus und man ist nachher selber Schuld, "weil man sie ja provoziert hat." So sieht es aus - selbst schon erlebt. Ne Bekannte arbeitet in einer Rehaeinrichtung für Hochgelähmte... da gibt es derzeit auch einen Fall von Zivilcourage unter den Klienten. Und dann erzählt uns die AfD etwas von rechtsfreien Räumen in migrantisch geprägten Wohnvierteln. Dabei haben sich die "wahren Deutschen" rechtsfreie Räume schon längst in Zügen, Bussen, Bahnhöfen und Ostdeutschland geschaffen. Fürs (Gegen-)Reden ist es doch schon längst zu spät.

    • @Ein Schelm:

      Trotzdem hast du richtig gehandelt und jene, die dir nicht dabei geholfen haben falsch. Allerdings gebe ich dir recht, dass dies eine Entscheidung mit Konsequenzen ist, die man auch überdenken sollte. Den Kamikazelauf von anderen fordern ist immer leicht. Es tut aber Not, dass man seinen Mund aufmacht. Vor allem im beruflichen, privaten und freizeitlichen Bereich überlässt man das Feld viel zu häufig rechten Theoretikern, die ja "nur mal eine Frage stellen wollten".



      Btw.: Was ist denn eine Hochlähmung, kenne den Begriff nicht.

    • @Ein Schelm:

      Ja es ist schon ein Ringen mit sich selbst. Fällt einem eine gute Antwort ein und fühlt man sich in dem Moment stark genug um etwas zu sagen. Mal ist es so, mal anders.



      Diejenigen Politker aber, die ständig mit Personenschützern zur kleinsten Parteisitzung fahren, die sollten zu dem Thema die Klappe halten. Durch ihre Appelle fühle ich mich verarscht.

      PS: Wer nicht reden will, kann kleben. Aufkleber nämlich.

    • @Ein Schelm:

      Mag sein, dass es in (zu) vielen Fällen "fürs (Gegen-)Reden [...] schon längst zu spät" ist. Aber wenigstens sollte man mit solchen Leuten, die gut genug erzogen sind, um solchen wie mir (noch) nicht gleich die Schneidezähne ausschlagen oder das Rückgrad brechen zu wollen, bei Gelegenheit darüber reden, wie es überhaupt so weit hat kommen können.

      Was ich nicht ertragen kann, sind jedenfalls die arrogante Selbstgefälligkeit und die penetrante Ignoranz, mit der auch die angeblich besseren Menschen die Schuld für alles, was nicht gut läuft hier und heute, bei den geistig und sozial Zurückgebliebenen abladen. Bei denen also, die sie bereits vor Jahren überrundet zu haben glauben.

      Ganz ohne "Gegenwind" sollen mir die, die zwar gekonnt und auch gesollt hätten, aber nicht gewollt haben, weil niemand sie gezwungen hat, dann doch nicht davon kommen.