Kolumne Psycho: Weihnachten? Bloß keinen Stress
Jedes Jahr der gleiche Vorsatz: Dieses Mal lassen wir uns nicht von Weihnachten stressen. Hauptsache, es wird gemütlich! Protokoll eines Scheiterns.
. November, 18.36 Uhr, Mailbox
„Huhu, hier ist die Mama. Nur eine kurze Frage: Was möchtest du an Weihnachten lieber essen, Huhn oder Reh? Ich weiß, es ist noch früh, ich will auch gar keinen Stress machen, aber das fiel mir grade ein. Ruf doch mal zurück.“
3. November, 14.02 Uhr
„Hallo, ich bin’s! Also, ich hätte gerne Huhn.“
„Huhn? Aber wir könnten von Hans ein Reh bekommen, wie im letzten Jahr.“
„Du hast mich doch vor die Wahl gestellt, und ich hätte lieber Huhn, so wie sonst auch.“
„…“
„…“
„Dann machen wir Reh, ja?“
„Okay, Reh. Was gibt’s denn dazu? Nudeln? Kartoffeln? Oh, oder Bratkartoffeln?“
„Reis.“
„…“
„Und Mischgemüse.“
„Also wie immer.“
„Nein, es gibt ja Reh!“
„Stimmt. Aber wir machen uns keinen Stress dieses Jahr wegen Weihnachten, ja?“
„Nein, bloß nicht! Alles ganz entspannt!“
„Fein. Bis bald.“
24. November, 21.47 Uhr
„Hallo, hier ist die Mama. Nur ganz kurz…“
„Ja?“
„Weißt du schon, wann du dieses Jahr kommst?“
„Nein. Kann sein, dass ich an Weihnachten arbeiten muss.“
„WAS? AN WEIHNACHTEN?“
„Mama, wir müssen auch an Feiertagen arbeiten. Das weißt du doch mittlerweile.“
„Also kommst du gar nicht?“
„Doch, ich weiß nur noch nicht, wann.“
„Okay. Sag mir dann einfach Bescheid, ja? Bloß kein Stress. Es soll ja gemütlich werden.“
„Genau.“
3. Dezember, 16.45 Uhr
„Mama hier! Sag mal, wie wichtig ist dir ein Weihnachtsbaum?“
„Überhaupt nicht.“
„Echt? Dann verzichten wir dieses Jahr vielleicht mal drauf. Das ist immer so teuer. Ein paar Zweige reichen vielleicht auch. Oder der Adventskranz.“
„Klar. Kein Stress!“
„Gut, tschüss!“
24. Dezember, 10.30 Uhr
„Papa fährt schnell noch einen Baum holen. Hilfst du ihm?“
„Ich dachte, es gibt dieses Jahr keinen?“
„Ach, es war so kahl ohne. Ein bisschen weihnachtliches Ambiente wäre schon schön. Und du schmückst den Baum doch immer so gern.“
„Genauso gern wie ich Huhn esse. Du, Mama? Wo sind denn eigentlich die Plätzchen?“
„Es gibt keine.“
„!!!“
„Haben wir doch gesagt: Kein Stress.“
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!