Kolumne Pressschlag: Transparent bei Razzia gefunden
Der Polizeieinsatz gegen die Ultras bei Eintracht Frankfurt scheint nur auf den ersten Blick irrational. Pyrotechnik ist ein willkommener Anlass.
U ltras sind in ihrer Mehrheit eigentlich nicht schwer zu verstehen. Sie lieben die großen Auftritte und ihre Freiheiten. Sie haben einen Faible für Machtdemonstrationen und halten sich für die letzte Instanz. Sie mögen Masseninszenierungen ihrer Heldenverehrung. Und sie neigen zur Pyromanie, weil sie gern überwältigende Bilder ihrer Leidenschaft produzieren, die sich im Internet zu wahren Klickmonstern auswachsen. Wie die Ultras von Zenit St. Petersburg, welche die Fahrt des Mannschaftsbusses am Donnerstag zum Stadion begleiteten und dabei einen Straßenzug spektakulär in Flammen aufgehen ließen.
Und die Polizisten sind in ihrer Mehrheit eigentlich auch nicht schwer zu verstehen. Sie lieben große Auftritte und ihre Freiheiten. Sie hat einen Faible für große Machtdemonstrationen und halten sich für die letzte Instanz. Und sie zündeln gerne, indem sie etwa einfach so tun, als ob sie die Ultras nicht verstehen. Das erweitert die eigenen Einsatzmöglichkeiten ungemein.
So war es auch beim Europa-League-Heimspiel der Eintracht Frankfurt gegen Schachtjor Donezk am Donnerstag. Eine Videobotschaft des Eintracht-Präsidenten Peter Fischer wurde zum Anlass genommen für einen Großeinsatz. Das Stadion müsse brennen, hatte Fischer vor dem wichtigen Rückspiel gesagt.
Mit Pyrospürhunden nahm sich daraufhin die Polizei die Ultras vor. Erfolglos. Es wäre das erste Mal im deutschen Fußball gewesen, dass ein Klubchef zugleich auch als Ultrachef aufgetreten wäre, und den Einsatzbefehl für eine große Pyrotechnikshow gegeben hätte. Der erste flammende Appell eines Vereinspräsidenten in der Geschichte des deutschen Fußballs war es im Übrigen nicht. Die Stimmung war dann beim Spiel auch prächtig, und die Eintracht erreichte mit einem berauschenden 4:1-Erfolg gegen die Ukrainer das Achtelfinale.
Aufwendig geplante Choreo abgesagt
Die Sicherheitskräfte mussten ihren Einsatz aber nicht mit leeren Händen beenden. Im Stadion, erklärte die Polizei in Frankfurt, habe man am Donnerstagabend einen Fan-Banner beschlagnahmt, auf dem Hessens Innenminister Peter Beuth geschmäht worden sei. Es „hatte einen Wortlaut auf unterstem, beleidigendem Niveau, das wir hier nicht wiedergeben wollen“, twitterte die Polizei. Transparent machten dagegen die Ultras über die sozialen Netzwerke das Ausmaß ihres Verbalverbrechens. Auf dem Spruchband stand: „Beuth, der Ficker fickt zurück!“ Es sei spontan aus Verärgerung aufgrund der vorherigen Ereignisse entstanden. Wegen des Polizeieinsatzes wurde außerdem eine aufwendig geplante Choreo abgesagt.
Es ist ein klassisches Beispiel dafür, wie irrational im deutschen Fußball das Verhältnis zwischen Polizei und Ultras ist, und wie einfach Konflikte zu vermeiden wären. Dass dies nicht geschieht hat vermutlich mit anderen Interessen zu tun. Die Einsätze rund um die Bundesligastadien sind für die Polizei optimale Übungsgelegenheiten, um das ein oder andere einmal auszuprobieren.
Zur Wahrung eigener Rechtsansprüche hat Fußball-Bundesligist Eintracht Frankfurt eine anwaltliche Untersuchung des Polizeieinsatzes vor dem Europa-League-Spiel gegen Schachtjor Donezk veranlasst. Dies teilten die Hessen am Freitag mit. Zudem übte der Verein in einer Pressemitteilung heftige Kritik an den polizeilichen Maßnahmen, die „nicht der Gefahrenabwehr“ gedient hätten und „weder geeignet, noch erforderlich, noch verhältnismäßig“ gewesen seien. Dass der Verein als in jeglicher rechtlicher Hinsicht in der Haftung stehender Veranstalter nicht mit einbezogen wurde, komme einem Eklat gleich. (dpa)
Beim Spiel zwischen Schalke und Düsseldorf Anfang Februar kam etwa erstmals die neu geschaffene Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) zum Einsatz. Eine Spezialeinheit in Nordrhein-Westfalen, die auch bei gewalttätigen Demonstrationen künftig ihren Wert unter Beweis stellen soll. Die Lobby der so genannten „Fußballchaoten“ ist zu gering, als dass bei derlei Experimenten die Proteste zu groß werden würden.
Wichtig ist dabei, dass die Gefahr, die von den Ultras ausgeht, stets thematisiert wird. Hessens Innenminister Beuth hat vergangenen Herbst erst Gefängnisstrafen für den Einsatz von Pyrotechnik im Stadion gefordert. Nach der Logik hätte man eigentlich vor der Partie in Frankfurt Eintracht-Präsident Fischer als ideellen Brandstifter verhaften müssen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund