Kolumne Macht: Glaubwürdig bleiben
Freuen wir uns erstmal über den Ausgang der Wahl in den Niederlanden. Und schauen dann nochmal wegen Geert Wilders genauer hin.

D er Wahlsieg als Wille und Vorstellung. Oder, weniger hochtrabend: „Ich mach mir die Welt – widdewidde wie sie mir gefällt.“ Ja, auch ich freue mich über das Ergebnis der Parlamentswahlen in den Niederlanden. Es ist eine große Erleichterung, dass der Rechtspopulist Geert Wilders es nicht geschafft hat, seine Partei zur stärksten politischen Kraft zu machen. Aber ihm eine Niederlage, eine „krachende“ gar, zu bescheinigen, zeugt von einer erstaunlichen Bereitschaft, „alternative Fakten“ für die Realität halten zu wollen.
In der Realität hat die PVV von Geert Wilders zwar geringere Zuwächse erzielt als kurz zuvor vorhergesagt worden war – aber doch fünf Sitze im Parlament hinzugewonnen. Die Partei von Ministerpräsident Mark Rutte, dem „strahlenden Sieger“ (Frankfurter Neue Presse), hat hingegen acht Sitze verloren. Die Sozialdemokraten sind in der Bedeutungslosigkeit versunken. „Von den Niederländern lernen, heißt Freude lernen“, meint ein Kollege bissig. Recht hat er. Ich will da noch üben.
Denn es hat sich ja als sinnvoll erwiesen, Wahlergebnisse oder Umfragen so zu interpretieren, dass das jeweils eigene Lager sich gestärkt fühlen kann. Das hat übrigens mit „Fake News“ oder „Lügenpresse“ nichts zu tun, solange alle Beteiligten ihre Sicht der Dinge darstellen können. Und solange die nüchternen Zahlen stimmen.
Sehr viele Leute wollen gern zu den Gewinnern zählen, egal, worum es geht. Deshalb gebiert Erfolg weiteren Erfolg, und deshalb sind sogar kleine Niederlagen oder Missgeschicke nicht gut fürs Image. Das gilt nicht nur für die Politik.
Selbstbetrug nicht übertreiben
Die Stimmung ist gut, weil die Stimmung gut ist: Es gibt wohl niemanden, der oder die diesen Mechanismus nicht kennt. Wenn alle wild entschlossen sind, einen schönen Abend zu verbringen, dann ist schwarzes Grillfleisch nicht verbrannt, sondern eine neue, interessante Delikatesse. Ein Spielverderber, wer da nicht zustimmt.
Einen oder zwei Tage nachdem Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten der SPD gekürt worden war, wurde ich von einem ausländischen Sender angerufen, der die Stimmung unter Journalistinnen und Journalisten in Berlin erkunden wollte. „Was muss geschehen, damit Schulz Kanzler wird?“ Die Frage machte mich – im wörtlichen Sinne – sprachlos. Nach langem Schweigen gab ich zu: „Tut mir leid, das überfordert meine Fantasie.“ Und heute, nicht einmal zwei Monate später? Finde ich es gar nicht überraschend, sondern eine geradezu zwangsläufige Entwicklung, dass die SPD in Umfragen durch die Decke geht, und halte für möglich, vielleicht sogar für wahrscheinlich, dass Martin Schulz der nächste Bundeskanzler wird.

Es ist das Wochenende des Martin Schulz: Am Sonntag wird er zum Kanzlerkandidaten und Vorsitzenden der Partei gekürt, die so gut dasteht wie lange nicht mehr. Welche Substanz dieser Höhenrausch hat, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 18./19. März. Außerdem: Im sächsischen Freital wird der rechten Terrorgruppe der Prozess gemacht. Eine Gerichtsreportage. Und: Warum fängt Gleichberechtigung in der Hose an? Das alles – am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.
Es ist klug, angesichts übermächtig erscheinender Gegner nicht sofort zu verzagen. Noch klüger ist es, sich nicht von Rechtspopulisten erschrecken zu lassen. 85 Prozent der Bevölkerung, die mit denen nichts am Hut haben, dürfen nicht wie eine Schar von Kaninchen vor einer einzigen Schlange hocken und Demutsgesten machen. Sich aufzublähen, sich auf die Brust zu trommeln, den Eindruck zu erwecken, vor Kraft nicht laufen zu können: Das ist eine sinnvolle Strategie im Umgang mit politischen Wettbewerbern. Demokratischen und undemokratischen.
Aber es gibt eine Grenze, jenseits derer die Selbstachtung leidet, will man noch ernst genommen werden. Und deswegen muss ich sagen: Nein, Geert Wilders hat die Wahl nicht verloren, sondern gewonnen. So schön es ist, dass er sein Ziel verfehlt hat und seine Partei nicht stärkste Kraft geworden ist. Man sollte den Selbstbetrug auch nicht übertreiben. Ich bin überzeugt: Man kann die AfD auch kleinhalten, wenn man glaubwürdig bleibt. Gerade dann.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links