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Kolumne MachtMeinungsfreiheit für alle

Bettina Gaus
Kolumne
von Bettina Gaus

Mitglieder der Bundesregierung fordern Facebook auf, Postings auf Verfassungsmäßigkeit zu prüfen – und Linksliberale applaudieren. Wie bitte?

Facebook soll hoheitliche Aufgaben übernehmen. Foto: dpa

D as Bundeskriminalamt warnt vor steigender rechtsextremer Gewalt. Das ist eine gute Nachricht. In den letzten Monaten konnte man ja den Eindruck gewinnen, viele Ermittler betrachteten Brandanschläge auf Asylbewerberheime als natürlichen Reflex tief verängstigter Bürger. Die allesamt völlig isoliert sind vom Rest der Welt und deshalb Einzeltäter sein müssen.

Diese Einschätzung hat sich also geändert. Das ist schön. Erfreulich ist auch, dass es in Regierung und Parlament einige Blitzmerker gibt. Kaum ist ein Jahr ins Land gegangen, schon stellen sie fest, dass die Organisatoren von „Pegida“ rechtsextrem und möglicherweise verfassungsfeindlich sind.

Das hätte man ihnen allerdings schon früher sagen können, und man hat es ihnen auch gesagt. Aber sie wollten es lange nicht hören.

Stattdessen greifen sie jetzt in die uralte Trickkiste und behaupten, die Bewegung habe sich „radikalisiert“. Was schlicht unwahr ist. „Pegida“ hat vor einem Jahr ziemlich genau denselben menschenverachtenden Unfug verbreitet wie heute. Nur dass es noch vor einigen Monaten cleveren Parteistrategen nützlicher zu sein schien, von „besorgten Bürgern“ zu reden statt von „Pack“.

taz.am wochenende

Richard Berk ist Soziologe und Statistiker. Er sagt, seine Algorithmen könnten bei der Geburt herausfinden, ob ein Kind einmal ein Verbrecher werde. Wie berechenbar sind Menschen? Die Titelgeschichte „Wird dieses Kind ein Mörder?“ lesen Sie in der taz. am wochenende vom 24./25. Oktober. Außerdem: Heini Rudeck fällt das Gehen schwer. Trotzdem besucht er das Grab seiner Freundin täglich. Er setzt sich einfach an den Computer. Und: Klaus von Dohnanyi veröffentlicht die Briefe seines Vaters aus der Gestapo-Haft. Ein Gespräch. Das alles gibt es am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.

Dazu lernen ist nicht verboten

Nun ist es ja niemandem verboten dazu zu lernen, und wenn sich jetzt alle Demokraten wieder auf gemeinsame Werte besinnen, dann will man nicht nachtragend sein. Aber davon kann leider keine Rede sein. Im neu erwachten Furor schiessen die Bekehrten - wie Konvertiten das häufig tun - nun weit übers Ziel hinaus. Und verhalten sich selbst undemokratisch.

Mitglieder der Bundesregierung fordern seit Wochen die Betreiber des sozialen Netzwerks Facebook auf, Inhalte, die seine Nutzer dort posten, auf ihre Verfassungsmässigkeit hin zu überprüfen. Und was tut das linksliberale Milieu? Es applaudiert. Als ob gegen eine Beschränkung der Meinungsfreiheit gar nichts einzuwenden sei, wenn sie sich nur gegen die richtigen Leute wendet. Das zeugt von einem seltsamen Verständnis dieses Grundrechts.

Aufrufe zu Gewalttaten und Volksverhetzung sind zu Recht strafbar, und sie sollen es auch bleiben. Dazu muss aber nicht der Betreiber eines Netzwerks tätig werden: Alle, die so etwas lesen, können Anzeige erstatten.

Aber es gibt viele ekelhafte Meinungsäußerungen, die eben nicht strafbar sind. Selbst die Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen ist nicht verboten. Ja, auch das gibt die Meinungsfreiheit her. Und deshalb machen Gerichte es sich nicht leicht mit der Aufgabe, die Grenze zu definieren zwischen dem, was noch und dem, was nicht mehr erlaubt ist. Das ist ja auch nicht einfach. Dachte ich bisher.

Der Justizminister sieht das offenbar anders. Er möchte den Facebook-Betreibern die hoheitliche Aufgabe der Zensur übertragen – ohne klare Richtlinien und Definitionen, ohne Amt, ohne Mandat. Nur so nach Gefühl. Wissen doch eh alle, was und wer gemeint ist, oder? Es trifft ja die Richtigen.

Es ist mir egal, ob es die Richtigen oder die Falschen trifft. Das Recht auf Meinungsfreiheit gilt für alle, auch für Rechtsradikale. Habe ich keine Angst vor Beifall von der falschen Seite? Doch, habe ich. Aber nicht soviel Angst wie vor einer Entwicklung, in der Demokraten die Staatsanwaltschaft für den geeigneten Ort halten, den Streit der Meinungen auszutragen.

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Bettina Gaus
Politische Korrespondentin
Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).
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8 Kommentare

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  • Wie bei dem Beitrag von Rudolf Walther zeigt sich geradezu atemberaubend - wie unverhohlen nicht gewußt sein will - in einem verfassten Rechtsstaat zu leben - das aber für sich selbst unbedingt zu wollen/zu behaupten.

    Krass - aber auch nicht verwunderlich, daß auch SPezialDemokrat Maas in diese Kategorie - nicht nur via fakebook - als JuMi gehört;

    Obwohl er neben dem unsäglichen

    IM FrozenThomas bemüht ist, den Scheinsachlichen zu geben.

     

    In diesen beiden Gestalten der rechtlichen wie menschlichen Dunkelheit bewahrheitet sich einmal mehr* wie in einem Brennglas:

    "Politiker sind keine Juristen - auch wenn sie zwei Staatsexamen haben!"

    (Bernhard Schlink).

     

    (*daran besteht kein Mangel -

    siehe u.a. das Affären-Tandem

    Steinmeier/Maaßen -> Murat Kurnaz/

    Blindfisch exIM littleFriedrichs)

  • "Frau Gaus vertritt leider auch nur eine Facette von Linksliberallalla."

    Im Gegenteil, sie sagt, Volksverhetzung ist strafbar, und jeder (!) kann Anzeige erstatten. Das angeführte Bsp. "Kanaken vergasen" ist glasklar, aber man sollte Nazis nicht unterschätzen, dh. wo fängt es an und wo hört es auf. Gemeint ist "Hetze" in sozialen Netzen (und FB ist nur eines davon), und das beginnt viel subtiler. Aussagen wie "Asylflut stoppen", "Deutschland den Deutschen", "Brennen hier Heime, sind die Politiker, vor allem Merkel mit Schuld, macht endlich die Grenzen dicht !!!" usw. usf. Wie gesagt: wo fängt es an, wo hört es auf, was ist Meinungsfreiheit. Und wer entscheidet, was von Meinungsfreiheit gedeckt ist? Facebook? Wenn ja, auf Grundlage welcher Richtlinien und Definitionen?

    Oder man folgt dem Bsp. Türkei... und schaltet FB & Co. einfach ab, dann ist Schluß mit "Plattform für Nazis"...

  • 7G
    7648 (Profil gelöscht)

    Hoppla!

    Durch Sarrazin wissen wir noch, wussten wir mal, dass es ein ECRI gibt, also eine europäische UN-Instanz, die es etwas schärfer sieht als das deutsche Strafrecht. Stichwort "Hate Speech" und so weiter, Stürzenberger verurteilt und so und damals.

    So weit ich weiß, müsste Facebook diese Grenzen einziehen, Deutschland hat sich ja diesbezüglich verpflichtet.

     

    mfg.

    (auf die Schnelle!)

  • Ich habe ein größeres Problem mit falschen Tatsachenbehauptungen als mit Hetze. Wenn ich lese "Wir schicken euch alle ins Gas", dann weiß ich, was ich davon zu halten habe. Wenn aber etwa ein Rainer Wendt von der Doitschen Polizeigewerkschaft ventiliert, sexuelle Gewalt, Kindesmißbrauch, Zwangsprostitution seien in Flüchtlingsheimen an der Tagesordnung, und überhaupt sei da zum Teil der Teufel los ( https://www.youtube.com/watch?v=9yN_hn933B0 ), dann ist dieser Mann eine massive Gefahr für unsere Rechtsordnung und gehört strafrechtlich aus dem Verkehr gezogen (sprich dermaßen verknackt, daß er in dem Amt nicht mehr tragbar ist).

     

    Ich bin mir nicht sicher, daß falsche Tatsachenbehauptungen nicht justiziabel sind. Das ist m.E. Verleumdung. Hetze kann ich als Meinung durchgehen lassen. Wenn Dumpfbacken meinen, die Leute gehörten zurückgeschickt, dann meinen die das. Wenn Wendt aber der Meinung ist, in Heimen würden Frauen gezwungen, Schleier zu tragen; Männer seien angehalten, zu beten ( http://web.de/magazine/politik/fluechtlingskrise-in-europa/gewalt-fluechtlingen-leidvoller-alltag-30967470 ), dann ist das keine Meinung, vielmehr überhaupt erst die Munition für den Haß.

  • "Aufrufe zu Gewalttaten und Volksverhetzung sind zu Recht strafbar" schreibt die Autorin und weist darauf hin, dass jeder Mensch solche Aufrufe anzeigen könne. Zum Ende des Artikels schreibt sie, dass sie Angst vor einer Entwicklung habe, "in der Demokraten die Staatsanwaltschaft für den geeigneten Ort halten, den Streit der Meinungen auszutragen". Wie ist das jetzt zu verstehen: Straftaten doch nicht anzeigen? Der Satz macht also nur Sinn, wenn sie dazu übergeht, Straftaten zu einem Meinungsstreit umzuinterpretieren bzw. zu verharmlosen. Was ist z.B. an "euch Kanacken werden wir bald vergasen" Meinungsstreit? Das ist eine strafbare Volksverhetzung und Morddrohung. Auf den Punkt gebracht lautet die Logik der Autorin: Lasst erst mal Straftaten geschehen, dann kann man ja vielleicht die Staatsanwaltschaft bemühen, aber lieber doch nicht, wegen zuviel Justitz?

    In der modernen Demokratie wird vernüftigerweise Prävention von Straftaten angestrebt. Beleidigungen, Morddrohungen oder Morde sollen erst garnicht geschehen. Unter anderem deshalb dürfen Nazis keine Plattformen bekommen. Und vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus ist erstrecht angesagt, dem braunen Sumpf das Hetzen zu verbieten. Nazis wollen nicht diskutieren, sie wollen erniedrigen, verletzen, töten. Das haben sie doch ausgiebig gezeigt und zeigen es immer wieder.

    Frau Gaus vertritt leider auch nur eine Facette von Linksliberallalla.

  • Politiker schieben gerne Verantwortung ab.

    niedriger Hartz IV Satz? -> Tafeln anstatt da eine vernünftige Regelung zu finden.

    Lehrernotstand -> Studies und Pensionäre wozu braucht man auch Lehrer? Bevor alle in Pension gegangen sind waren ja genug da.

    Drogenkriminalotät -> Drogenprobleme, das sind einfach Kriminelle, das sie andere Probleme haben könnten die man anpacken könnte. Nee Kriminelle.

    Deutschland brennt -> Facebook. Wir sind uns keiner Schuld bewusst die waren es.

    So sichert man sich aller höchstens einen Posten aber regiert doch nicht.

  • 9G
    970 (Profil gelöscht)

    Genau so sehe ich das auch. Wenn Facebook etwas tun kann, dann wäre das Folgendes: Beiträge mit strafrechtlich relevantem Inhalt zur Anzeige bringen und die Profile derer, die solche Inhalte verfassen, unmittelbar sperren / löschen.

     

    Aber leider macht der Konzern ja nichtmal das - und da ist das Problem.

    • @970 (Profil gelöscht):

      ...wie Bettina Gaus richtig sagte (schrieb), es ist UNSERE Aufgabe, solche Dinge zur Anzeige zu bringen.