Kolumne Luft und Liebe: Alle nackt, aber wirklich alle
Kein „Page Three Girl“ mehr? Die Brüste der britischen „Sun“ ziehen ins Internet. Das ist asozial und unlogisch.
D as klang fast zu schön, um wahr zu sein: Die englische Boulevardzeitung The Sun schafft das nackte „Page Three Girl“ ab. Nach 45 Jahren. Kritik an den Fotos hatte es immer schon gegeben, in den letzten Jahren war sie aber stärker geworden. Die Kampagne „No more Page Three“ forderte die Sun seit 2012 auf, die Brüstebilder nicht mehr zu drucken: Sie seien sexistisch, zu sehr last century und irgendwie auch nicht kindertauglich.
„Because boobs aren’t news“ ist einer der Sprüche von „No more Page Three“: „Weil Brüste keine Nachrichten sind“. Die entsprechende Petition erhielt viel Unterstützung, 217.000 Menschen unterschrieben sie. Und irgendwann erklärte dann kürzlich Sun-Eigentümer Rupert Murdoch, die Kritik könnte schon irgendwie berechtigt sein, er werde darüber nachdenken.
Nun hat Murdoch offenbar nachgedacht. Am Montag trug das „Girl“ schwarze Unterwäsche, und die Frauen am Dienstag hatten Bikinis an. Große Freude bei den „No more Page Three“-Aktivistinnen, und Bestürzung in den deutschen Medien: „Das ist, als würde die Süddeutsche ihr Streiflicht oder die FAZ ihren Leitartikel abschaffen“, wimmerte Spiegel Online, und das Handelsblatt wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel, schrieb „Bye, bye Sonnenschein“, und ganz ehrfürchtig: „Auf der Insel sind die ’Page 3‘-Mädchen in den täglich 2,9 Millionen Ausgaben des Boulevardblattes und ihre meist stattlichen Oberweiten nationale Institutionen.“ Buhuhu! Staatstragende Wichsvorlagen, Wahnsinn.
In Deutschland gibt es eine ähnliche Kampagne gegen die Bild-Zeitung und ihr „Bild-Girl“. Die Petition wurde initiiert von Kristina Lunz, einer Studentin, und hat bisher 32.600 Unterschriften.
Fast geklappt
Erst vor ein paar Wochen hatte Kristina mir geschrieben und gefragt, was ich von ihrer Petition halte, und meine Antwort war so ungefähr „Jo, find ich gut, aber bisschen naiv auch, ich glaub, die ändern das eh nicht, guck mal Focus und Spiegel und so, auch alle mit nackten Frauen, aber trotzdem gut, hab unterschrieben, viele Grüße, hau rein.“ Tja, selber naiv, Frau Stokowski, in England hat das jetzt geklappt.
Also fast. Denn die kleine, feine Fußnote zu der Änderung bei der Sun ist: Es gibt die nackten Frauen immer noch – die Brüste sind einfach ins Netz gewandert. Die Titten des Tages (von „Lucy aus London“ oder „Lissy aus Manchester“) kann man sich bei der Sun online kostenlos angucken, für die anderen braucht man einen bezahlten Account.
Wie ungerecht! Brüste nur für Leute mit Geld – das ist richtig asozial. Brüste gehören zu den schönsten Körperteilen, die es gibt. Lasst die Leute sich doch alle ausziehen! Aber mit Betonung auf „alle“: Für jede nackte Frau einen nackten Mann. In unseren kaputten Hirnen haben Frauen automatisch weniger an als Männer, obwohl sie oft schneller frieren. Unlogisch.
Von mir aus kann man die ganze Sun mit nackten Leuten vollmachen. Weniger Platz für dumme Artikel. Damit es spannend bleibt, kann man in den Texten daneben die Männer nach ihren besten Tortenrezepten fragen und die Frauen nach ihren Lieblingsraketen. Wär doch wunderschön.
Nachtrag: Offenbar gibt es heute doch wieder Brüste in der gedruckten Sun. Ohne Männer, ohne Torte, ohne Raketen. Aus uninformierten Kreisen wird berichtet, das Risiko, Großbritannien würde ohne die Page Three Girls in einem gigantischen Rumms in sich zusammenkrachen, wolle man nicht eingehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül