Kolumne Lügenleser: Stellungskrieg im Kommentarfeld
Es gibt einen Zusammenhang zwischen Party-Patriotismus und einem Anstieg rassistischer Gewalt, liebe Deutschlandfahnenbegeisterte.
![Fußballsfans halten viele Deutschlandflaggen hoch, tragen Sonnenbrillen und gröhlen Fußballsfans halten viele Deutschlandflaggen hoch, tragen Sonnenbrillen und gröhlen](https://taz.de/picture/1245513/14/11762594.jpeg)
Die Empörung über das regelmäßig von der Antifa (not sure if Antifa e. V. or Antifa GmbH) ausgerufene „Capture the Flag“-Spiel, bei dem es vordergründig darum geht, die während der Turniere inflationär auftauchenden Deutschlandfahnen zu stehlen, war mal wieder riesig. Almost same procedure as every year.
Alle zwei Jahre bringen die Zeitungen des Landes die gleiche Geschichte. Und in den Kommentarspalten schäumt die entsprechende Klientel, ganz so wie es sich die Social-Media-Redakteure vorher ausmalen konnten. Zu Gunsten der Klicks werden selbst unwichtigste Meldungen, die das schreibfreudige AfD-Publikum anlocken könnten, groß aufgebauscht. Um dann auf die „Netiquette“ hinzuweisen, wenn der Mob über das Stöckchen springt, das ihm hingehalten wurde. Stellungskrieg im Kommentarfeld, ab 10 Likes wird zurückgeschossen.
Faktenresistent
Da der stetig ansteigende Nationalismus in Deutschland inzwischen zur Genüge bekannt und auch ein bisschen langweilig geworden ist, knöpfte man sich mal wieder die vor, die aktiv etwas dagegen tun. Weiterhin wird von einem Großteil der Menschen in diesem Land geleugnet, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Party-Patriotismus und einem Anstieg von Gewalt gegenüber ausländisch anmutenden Menschen gibt. Allein die von „Netz gegen Nazis“ gesammelten Vorfälle während des WM-Finalspiels 2014 lassen einen erschaudern, aber gegen Fakten ist „das Volk“ generell resistent.
Der ehemalige Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye sprach nach der WM 2006 davon, dass es „nur mit viel Glück keine Toten durch Rassismus bei der Weltmeisterschaft gegeben habe“. Auch das ist dem „Schland“-Gröler offenbar egal. Ob die WM im eigenen Land („Die Welt zu Gast bei Freunden“) und die damit einhergegangene Omnipräsenz der Deutschlandflaggen während der folgenden Weltmeisterschaften nicht vielleicht dazu geführt hat, dass Organisationen wie Pegida derart ungezwungen mit ihrem Nationalismus hausieren gehen konnten und können, diese Frage wird auch nicht erörtert.
Desintegriert
Ach ja, das sind schon ein paar lustige Burschen, diese „harmlos-besoffenen Public-Viewing-Eventies“ (Vice Sports). Das müssen diese Leute sein, über die der Leiter des Instituts für Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld, Wilhelm Heitmeyer, sagte: „Ein ethnisches Kollektiv soll künftig bieten, was die soziale Marktwirtschaft nicht mehr zu leisten vermag: Über die Betonung der ‚Schicksalsgemeinschaft‘ mit raunendem Tiefgang sollen jene Angehörige der Mehrheitsgesellschaft emotional wieder integriert werden, die andererseits sozial desintegriert worden sind.“
Für all die beklauten Fußballpatrioten etwas vereinfacht wiedergegeben: Weil ihr sonst nichts habt, ist euch dieses Fähnchen so heilig. „Es geht um die Mannschaft, nicht um Deutschland“, hört man dann immer wieder. Erstens: Es geht angeblich auch um „berechtigte Ängste“ und nicht um glasklaren Rassismus. Und zweitens: Dann kauft eine DFB-Fahne, die gibt’s für 9,95 € im Onlineshop.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Verlierer der Wahlrechtsreform
Siegerin muss draußen bleiben
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Nach der Sicherheitskonferenz
Expressverbindung von München nach Paris