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Kolumne LügenleserStellungskrieg im Kommentarfeld

Es gibt einen Zusammenhang zwischen Party-Patriotismus und einem Anstieg rassistischer Gewalt, liebe Deutschlandfahnenbegeisterte.

Bald ist es wieder soweit: Fußball, Fahnen und „harmlos-besoffene Public-Viewing-Eventies“ Foto: reuters

Die Empörung über das regelmäßig von der Antifa (not sure if Antifa e. V. or Antifa GmbH) ausgerufene „Capture the Flag“-Spiel, bei dem es vordergründig darum geht, die während der Turniere inflationär auftauchenden Deutschlandfahnen zu stehlen, war mal wieder riesig. Almost same procedure as every year.

Alle zwei Jahre bringen die Zeitungen des Landes die gleiche Geschichte. Und in den Kommentarspalten schäumt die entsprechende Klientel, ganz so wie es sich die Social-Media-Redakteure vorher ausmalen konnten. Zu Gunsten der Klicks werden selbst unwichtigste Meldungen, die das schreibfreudige AfD-Publikum anlocken könnten, groß aufgebauscht. Um dann auf die „Netiquette“ hinzuweisen, wenn der Mob über das Stöckchen springt, das ihm hingehalten wurde. Stellungskrieg im Kommentarfeld, ab 10 Likes wird zurückgeschossen.

Faktenresistent

Da der stetig ansteigende Nationalismus in Deutschland inzwischen zur Genüge bekannt und auch ein bisschen langweilig geworden ist, knöpfte man sich mal wieder die vor, die aktiv etwas dagegen tun. Weiterhin wird von einem Großteil der Menschen in diesem Land geleugnet, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Party-Patriotismus und einem Anstieg von Gewalt gegenüber ausländisch anmutenden Menschen gibt. Allein die von „Netz gegen Nazis“ gesammelten Vorfälle während des WM-Finalspiels 2014 lassen einen erschaudern, aber gegen Fakten ist „das Volk“ generell resistent.

Der ehemalige Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye sprach nach der WM 2006 davon, dass es „nur mit viel Glück keine Toten durch Rassismus bei der Weltmeisterschaft gegeben habe“. Auch das ist dem „Schland“-Gröler offenbar egal. Ob die WM im eigenen Land („Die Welt zu Gast bei Freunden“) und die damit einhergegangene Omnipräsenz der Deutschlandflaggen während der folgenden Weltmeisterschaften nicht vielleicht dazu geführt hat, dass Organisationen wie Pegida derart ungezwungen mit ihrem Nationalismus hausieren gehen konnten und können, diese Frage wird auch nicht erörtert.

Desintegriert

Ach ja, das sind schon ein paar lustige Burschen, diese „harmlos-besoffenen Public-Viewing-Eventies“ (Vice Sports). Das müssen diese Leute sein, über die der Leiter des Instituts für Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld, Wilhelm Heitmeyer, sagte: „Ein ethnisches Kollektiv soll künftig bieten, was die soziale Marktwirtschaft nicht mehr zu leisten vermag: Über die Betonung der ‚Schicksalsgemeinschaft‘ mit raunendem Tiefgang sollen jene Angehörige der Mehrheitsgesellschaft emotional wieder integriert werden, die andererseits sozial desintegriert worden sind.“

Für all die beklauten Fußballpatrioten etwas vereinfacht wiedergegeben: Weil ihr sonst nichts habt, ist euch dieses Fähnchen so heilig. „Es geht um die Mannschaft, nicht um Deutschland“, hört man dann immer wieder. Erstens: Es geht angeblich auch um „berechtigte Ängste“ und nicht um glasklaren Rassismus. Und zweitens: Dann kauft eine DFB-Fahne, die gibt’s für 9,95 € im Onlineshop.

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17 Kommentare

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  • Die deutsche Fahne ist das Kopftuch der Grünen.

    In beiden Fällen geht es um einen sinnlosen Diskurs um ein Stück Stoff, dessen Trägern bzw. Trägerinnen irgendwelche Haltungen unterstellt werden, die sich gegen die offene Gesellschaft richten.

  • Fussbal ist eben der größte gemeinsame Nenner und das will gebührend zelebriert werden.

    Besonders bei den Autokorso wird bestimmt wieder ordentlich gehupt und mit Fahnen geschwungen.

    Türken, Russen, Spanier etc. und eben auch Deutsche - wo ist das Problem?

  • Man kann es auch alles überziehen. Diese Diskussion ist so über... Die Nationalmannschaft vertritt die Nation. Diese Nation hat eine Flagge. Ergo Nationalmannschaft-> Nationalflagge. Die Mannschaft vertritt doch nicht den DFB. Und wann wird dann beim Eurovision-Song-Contest endlich die Deutschlandfahne ersetzt durch die des deutschen Dachverbandes für Musik....ups ach ne....*kopfschüttel*

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    Ich liebe nicht mein Land, sondern bin immer wieder froh, hier und nicht irgendwo in Krieg und Krise leben / sterben zu müssen.

    Dass es mir gut geht, verdanke ich keinem "Patrioten", sondern einer funktionierenden Gesellschaft einschl. Wirtschaft, die in der Lage wären, die problematischen Zustände mithilfe ihrer Kraft auch außerhalb unserer Grenzen zum Guten zu wenden.

    Mit der Eurozone, dann der EU sollten sie anfangen

  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    Ich frage mich, was es heißen soll, sein Land zu lieben. Ich kann mir darauf nur eine Antwort vorstellen: ich liebe die Leute und die Gegenden, in welchen sie wohnen und ich liebe die Kultur (Literatur, Musik, Essen) dieser Gegenden.

     

    Jene, die vorgeben, stolz auf ihr Land oder gar ihre Nation zu sein, kennen indes in aller durch wenige Ausnahmen bestätigte Regel weder die Gegenden ihres Landes noch deren Kultur: je größer der Stolz, desto geringer die Teilhabe an der Kultur des Landes, auf das man stolz zu sein vorgibt.

     

    Bliebe also noch die Vorstellung von Heimat, also die Kenntnis des und Zuneigung zu dem "Ort(s)", in dem man aufgewachsen ist und/oder sich wohlfühlt. Heimat hat aber mit einem erst vor relativ kurzer Zeit aus Kleinstaaten entstandenen Land wie Deutschland wenig und mit Vaterland, Nation gar nichts zu tun. Und der sogenannte Verfassungspatriotismus lässt intensive Gefühle gar nicht erst entstehen.

     

    Mein Fazit: Vaterlandsliebe oder Nationalstolz sind Krücken für ein sich gedisst fühlendes jämmerliches Ego, ein Vereinigungsdach aller Gedissten, die das Gedisstsein in vermeintlicher Gemeinschaft leichter erträglich macht. Psychisch gesunde (ICH-starke) Menschen haben derlei nicht nötig, auch nicht anlässlich des Aufmarsches der sogenannten Nationalmannschaft.

    • @849 (Profil gelöscht):

      Mh natürlich ist es soweit nachvollziehbar das eine krampfhafte Versteifung von Herkunft und Vaterland gewöhnlich nicht dafür spricht, dass man selbstsicher ist und selber viel vorzuweisen hat, aber hier wird ja direkt der große Bogen aufgemacht von Fahnenschwenken aus, also mal ein paar Fragen zum nachdenken für einen ich-starken Menschen ;-)

       

      Sagen wir ich finde nicht die deutsche Mannschaft gut, sondern die spanische (wegen dem Spielstil, dem Wetter oder einfach weil Fernando Torres damals so herrlich aussah), wie darf ich das artikulieren? über welche Möglichkeiten votiert man für eine Nationalmannschaft? Oder muss ich nun alle Mannschaften gleichgut finden? Oder ist das Privatsache wie das Minarett bei der AFD? Wäre bei einer Europamannschaft die EU-Flagge dann wieder okay? Dürfte ich für eine Mannschaft rein blonder Menschen votieren?

      • 8G
        849 (Profil gelöscht)
        @Krähenauge:

        Ich saß im Dezember 92 im Centenario beim Spiel Uruguay gegen Deutschland. Als die "Urus" merkten, dass ihre Mannschaft dieses Mal keine Chance haben würde, begannen sie, den gelungenen Spielzügen der deutschen Mannschaft zu applaudieren. Diese Einstellung finde ich angemessen und auch natüriich.

         

        Selbstverständlich kann man eine Mannschaft besser finden als eine andere, aber nicht nur, weil sie z.B. die deutsche Mannschaft ist. Zum Stolz gehört nämlich erbrachte Leistung, in diesem Fall eine fremde.

         

        Ich denke, man kann sich an den guten Leistungen einer Mannschaft freuen und besonders, wenn sie die Mannschaft eines Staats repräsentiert, dessen Bürger man ist. Aber sich nur deshalb mit ihr zu identifizieren, weil sie die deutsche Mannschaft ist, halte ich für reichlich dämlich, zumal diese Kicker ja kaum etwas gemein haben (vor allem nicht pekuniär) mit jenen, die sie bejubeln und mit welchen sie fiebern.

  • Hey, die gibt es ja wirklich im DFB-Shop. Danke für den Tipp! Ich bin mir aber nicht sicher, ob sich Herr Sternburg die vorher mal angesehen hat.

    Ich dachte erst der Autor meint den Text ernst. Dabei handelt es sich um eine lustige, überzogene und versteckte Werbebotschaft vom DFB. Respekt, Sie Schlingel!

  • 2G
    27741 (Profil gelöscht)

    Den fußballspielenden Millionärsjüngelchen wird grundsätzlich zu viel Platz in den Medien eingeräumt. Das liegt aber vor allem daran, dass man hier jede Menge Geld abschöpfen kann. Das unter dem aufgepfropften Patriotismus auch viele rechte Nationalisten ihr Fähnlein schwingen werden war vorauszusehen, geht denen aber völlig am Arsch vorbei. Wir sollten die Fußballer auf den Boden der Tatsachen zurück holen und ihnen klar machen, dass sie Akteure unter dem Dachverband der mafiösen FIFA sind und auch nur ihre Taschen voll machen wollen. Da bleibt dann vom Patriotismus nichts mehr übrig.

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @27741 (Profil gelöscht):

      "Den fußballspielenden Millionärsjüngelchen wird grundsätzlich zu viel Platz in den Medien eingeräumt."

       

      Geht es wirklich darum?

      Oder hängt Ihre Doof-TV-Platte immer noch?

  • Für den Autor ist jeder Patriot, wenn nicht selbst schon ein Nazi, so doch der Vor- und Wegbereiter von Nazismus und Gewalt.

     

    Die ganz dämlichen Akteure von PEGIDA und Co. werfen pauschal allen Moslems vor Islamisten und Gewalttäter zu sein.

     

    Der Autor begeht denselben Denkfehler und stellt sich mit Ihnen auf eine Stufe - Wahnsinn...

    • @Christoph Clauß:

      Ähm, nein. Da gibt es einen Unterschied.

      Es gibt keinen guten Patriotismus, denn dieser ist immer Ausgrenzend. Insofern steht der Patriotismus schon auf einer Stufe mit dem Islamismus.

  • " Weiterhin wird von einem Großteil der Menschen in diesem Land geleugnet, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Party-Patriotismus und einem Anstieg von Gewalt gegenüber ausländisch anmutenden Menschen gibt."

     

    Nazi sein ist nichts anderes als konsequent angewendeter Patriotismus. Ist doch absolut logisch, dass ein Zusammenhang besteht.

    • @HerrvonSinope:

      Bullshit.

      Wer sein Land mag muss noch lange ein anderes Land nicht hassen.

       

      Gefährlich wird's wenn man sich überlegen fühlt - z.B. wenn man anderen erklärt wie sie ihre Wirtschaft, Rentensysteme, Energieversorgung, Frauenrechte und Schwulenrechte oder Mischung der Gesellschaft auszusehen hat.

      • @Thomas_Ba_Wü:

        Patriotismus bedeutet sein Land besser zu finden als andere und nicht es zu mögen.

        Der Patriot freut sich über den Sieg der Nationalmannschaft, weil er Deutschland besser findet als die anderen.

        In deinen Augen ist es sicher auch reiner Zufall, dass Länder mit patriotischer Mentalität wie den USA ständig irgendwo Kriege führen.

         

        "Gefährlich wird's wenn man sich überlegen fühlt - z.B. wenn man anderen erklärt wie sie ihre Wirtschaft, Rentensysteme, Energieversorgung, Frauenrechte und Schwulenrechte oder Mischung der Gesellschaft auszusehen hat."

        Folgt man dieser Argumentation wären Troika und EU-Komission defintiv Nazis.

      • 8G
        889 (Profil gelöscht)
        @Thomas_Ba_Wü:

        Verstehe. Der Patriot "mag sein Land," ist aber nicht verpflichtet, ein anderes Land zu hassen.

         

        Der Nazi hingegen erklärt anderen, wie "Wirtschaft, Rentensysteme, Energieversorgung, Frauenrechte und Schwulenrechte oder Mischung der Gesellschaft" auszusehen haben.

        • @889 (Profil gelöscht):

          Patriotismus beschreibt in erster Linie eine emotionale Verbundenheit zu der Gegend in der man lebt. Auch wenn viele Menschen das als Liebe bezeichnen, heißt es noch lange nicht, dass man dafür andere Länder schlecht finden oder gar hassen muss. Ich habe beispielsweise eine emotionale Verbindung zu meinem Wohnort. Sehr stark zu meiner Straße, etwas abgeschwächt zu meiner Stadt, weiterhin abgeschwächt in dem Großraum und sehr schwach, aber immernoch vorhanden zu dem Land. Es liegt nicht daran, dass ich irgendeine Art von Stolz dafür empfinde, dass ich aus Deutschland komme, das war für mich noch nie nachvollziehbar. Trotzdem habe ich viele positive Erfahrungen hier gemacht und nebenbei gehts mir auch wirklich gut hier. Eine emotionale Bindung halte ich deswegen für absolut natürlich. Interessant wird es, was man daraus macht. Versuchen die Antifa-Verbände nicht auch, das Leben dort besser zu gestalten wo sie wohnen? Sie setzen sich also auch für Deutschland ein, weil sie nicht akzeptieren können, wie gewisse Dinge hier laufen. Für mich ebenso ein patriotischer Akt. Bei einem Handeln aus reiner Menschenliebe würden sie ja dort helfen, wo die Leute wirklich leiden. Orte gibts ja genug auf der Welt.

           

          Ich stehe auch nicht auf stumpfes Fahnenschwenken, aber eine Verbundenheit zu dem Wohnort sollte man niemandem absprechen dürfen. Den Menschen sollte nur nahegelegt werden, damit anständig umzugehen.