Kolumne Liebeserklärung: Ich denke, aber wer bin ich?
Facebook will Gehirnaktivität in Text umwandeln. Was für eine schöne neue Welt, in der wir genau wissen, was wir voneinander halten können!
G erade hatten wir gelernt zu schreiben. Nicht einfach gedankenlos irgendetwas hinzustammeln, wie am Telefon oder von Angesicht zu Angesicht – wo die Worte einfach so aus dem Mund purzeln und dann oft falsch und krumm im Raum herumstehen. Beim Reden ist man ja so schnell abgelenkt: Wie der andere guckt, wie viel Haut da aus seinem Shirt hervorguckt und – oh, guck mal, da hinten hüpft ein Eichhörnchen vorbei!
Neue mobile Kommunikationsformen wie SMS und Messenger zwangen uns dazu, uns zu konzentrieren und abzuwägen, was wir eigentlich ausdrücken wollen. Aus der Dunkelheit des eigenen Hirns wuchteten wir mit bloßen Händen die Worte in die Welt, Buchstabe für Buchstabe.
Jetzt will ausgerechnet Facebook diesen Filter wieder entfernen. Die Entwicklungsabteilung des Internetkonzerns hat bekannt gegeben, dass sie an einer Technologie arbeitet, die Gedanken direkt in Text umsetzen soll. Mittels Sensoren, die an der Kopfhaut angebracht werden. So sollen wir irgendwann bis zu 100 Wörter pro Minute direkt in den Äther hineindenken können.
Gruselig? Keineswegs. Denn es bedeutet: Schluss mit den Ausreden. Wer in der Wortwahl danebengreift, zum Beispiel anregt, an Grenzen auf Kinder zu schießen, kann hinterher nicht mehr sagen: „Halt, das hab ich nicht gemeint, da war die Maus dran schuld. Zu schnell geklickt.“ Gedacht ist gedacht.
Mit dem schlampigen Tippen, hingerotzt im Gehen, verwackelt von der anfahrenden Bahn oder der glitschigen Maus wird nun also Schluss sein. Finger werden in der schönen neuen Social-Media-Welt genauso überflüssig werden wie Münder. Das ist großartig. Denn jeder Schritt zwischen Sender und Empfänger erzeugt Reibungsverluste – die dann im Havariefall als Entschuldigung herhalten müssen.
Wer ist nicht nur versehentlich ein Arschloch?
Wenn wir aber unser Gehirn direkt an Facebook anschließen, wie es der Konzern plant, dann stehen wir uns endlich alle nackt und ungefiltert gegenüber. Es gilt das gedachte Wort.
Wenn Facebook unsere Gedanken aus der Enge unseres Gehirns herauszieht – und wir sie dann genau wie die aller anderen schwarz auf weiß in unserer Timeline lesen können, wird uns hoffentlich endlich klar, wer wir wirklich sind. Und wer nicht aus Versehen, sondern tatsächlich ein Arschloch ist. Das gilt jedenfalls so lange, wie wir nicht schneller denken, als wir denken können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher