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Kolumne LiebeserklärungDie böse Gentrifizierung

Frauke Böger
Kommentar von Frauke Böger

Die Stadtaufwerter der ersten Stunde bejammern den urbanen Ausverkauf. Das ist ganz schön geschichtsvergessen.

Neukölln hat sich geändert. Nicht allen gefällt das. Bild: dpa

L iebe Gentrifizierung, du wirst mal wieder angeklagt – von denen, die dich geschaffen haben. Matthias Merkle etwa, Gründer der Berliner Gentrifizierungskneipe „Freies Neukölln“, jammert: „Das ist nicht mehr mein Berlin.“ Sein Mietvertrag wird nicht verlängert. Irgendwelche bösen Immobilienhaie in London (Ausland!) sind schuld.

Aber eigentlich sind alle die schuld, die das nachgemacht haben, was er, angeblich, begann: einem jungen Publikum in Neukölln Orte zum Hipsein schaffen. Jetzt wundert er sich, dass das funktionierte; und dass dies dann auch andere Investoren, mit mehr Geld, anlockte. Tja.

Du siehst, liebe Gentrifizierung, du sorgst für Realitätsverlust. Du bist so praktisch: Dir kann man das eigene Tun ankreiden, sobald einem die Konsequenzen dieses Tuns nicht mehr behagen. Dabei vergessen Leute wie Merkle und all die, die sich zwar Bioläden und Yogastudios, aber keine teureren Mieten wünschen, dass dies schlicht und ergreifend Stadtgeschichte ist.

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Union und SPD verhandeln über Mindestlohn und Rente. Aber wovon hängt es ab, ob sich jemand arm fühlt? Nur vom Geld? Vier Begegnungen an den Grenzen der Armut lesen Sie in der taz.am wochenende vom 16./17. November 2013 . Darin außerdem: Der deutsche Kunstmarkt muss jetzt endlich Verantwortung für die Raubzüge des „Dritten Reiches“ übernehmen, sagt der Historiker Hanns C. Löhr. Und der sonntaz-Streit: Der neue iranische Präsident Rohani gilt als verhandlungsbereit. Kann man dem Iran trauen? Nein, sagt Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Was wohl der ehemalige Besitzer der Fabriketage, in der Merkle während seiner ersten Jahre in Neukölln so billig leben konnte, sagt? Ob er wohl gejammert hat, dass da sein Leben ausverkauft wird? Dir, liebe Gentrifizierung, ist das völlig egal. Jammern ist nicht dein Ding.

Du willst mehr, willst größer sein und schneller. Du hältst es aus, dass man dich bespuckt, du forderst das sogar heraus – und treibst so manchen in die Verzweiflung. Und doch hast du vielleicht auch die Hoffnung, der eine oder die andere werde irgendwann merken, dass Veränderung immer eine Herausforderung ist: eine, der man sich nur stellen muss.

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Frauke Böger
Leiterin taz.de (ehem.)
Jahrgang 1982, seit 2009 bei der taz. 2011/2012 Redakteurin für die „berlinfolgen“, die mit dem Grimme Online Award 2012 ausgezeichnet wurden. Von Anfang 2013 bis Juli 2014 leitete sie zusammen mit Julia Niemann das Online-Ressort der taz. Anschließend wechselte sie zu Spiegel Online.
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21 Kommentare

 / 
  • G
    genova
  • ED
    erst denken ...

    Aus der Kolumnen-Rubrik gekippt, nur noch über Suchfeld zu finden - bissl feige, gell?

  • DW
    Das wars

    Frauke Böger - Leiterin taz.de???

  • MM
    me myself and i, ne?

    Naja, damit hat Frau Böger sich als Ängehörige der neoliberalen Spießerschicht geoutet, da hilft ja nun das schönste linksintellektuelle Performance-Gehabe nüscht mehr.

     

    Hier mal ein atueller TV-Beitrag von gestern aus NRW zum Thema, nach dem Anschauen müsste die Autorin gecheckt haben, dass die G. nicht nur "passiert", sondern sogar politisch gewollt ist:

     

    http://www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/koennes_kaempft/videokoenneskaempft108_size-L.html?autostart=true

  • IS
    Ironie statt Hartz IV

    "Du hältst es aus, dass man dich bespuckt, du forderst das sogar heraus – und treibst so manchen in die Verzweiflung. Und doch hast du vielleicht auch die Hoffnung, der eine oder die andere werde irgendwann merken, dass Veränderung immer eine Herausforderung ist: eine, der man sich nur stellen muss."

     

    ... hach, wie erfrischend dieser Taz-Beitrag!

     

    Und morgen meißeln wir dann diese Liebeserklärung noch über die Eingänge der Jobcenter und Arbeitsagenturen dieser Republik ...

     

    "War is peace;

    Freedom is slavery;

    Ignorance is strength"

  • MF
    Matthias F. Brasch

    Was sollen wir nun also tun, um uns der "Herausforderung zu stellen"?

     

    Mieten bremsen, indem wir

     

    - keine Kneipen zum "Hipsein" mehr eröffnen"?

    - uns keine Bioläden und Yogastudios mehr wünschen?

    - mit dem Jammern über Gentrifizierung und Immobilienhaie aufhören?

     

    ODER

     

    den steigenden Mieten begegnen, indem wir:

    - die Gentrifizierung duzen?

    - mehr Kneipen zum "Hipsein" mit doppelten Getränkepreisen eröffnen?

    - mit dem ganzen Extrageld dann die "Immobilienhaie aus London" überbieten?

    - viel mehr Bio kaufen, viel mehr Yoga machen

    - als Reiseführer für die taz Touristengruppen in die Berliner "Stadtgeschichte" einführen ("...meine Damen und Herren, HIER an diesem historischen Ort wurde einst der Grundstein für die erste Yogaschule in diesem Bezirk gelegt...")

     

    Liebe Fr. Böger,

    ich bin ratlos- bitte klären Sie mich doch auf, was in aller Welt Sie mir und allen anderen taz-Lesern mit Ihrem Text sagen wollen.

     

    Gruß aus Neukölln,

    Matthias F. Brasch

  • MF
    Matthias F. Brasch

    Sehr geehrte Fr. Böger,

    ich habe Ihren wunderlichen Kommentar mit Interesse gelesen und mir ist leider noch immer vieles darin unklar:

     

    Sie erklären:

     

    1. Die Wirte der sogenannten "Gentrifizierungskneipen" jammern zu Unrecht, dass sich die Mieten erhöhen, und sie sich ihre Läden nicht mehr leisten können, schließlich hätten sie mit dem Eröffnen von "Orten zum Hipsein" selbst dazu beigetragen und leiden deswegen unter "Realitätsverlust", wenn sie sich beklagen.

     

    2. dass "Leute wie Merkle", also damit meinen Sie wahrscheinlich alle "Gentrifizierungskneipen"-besitzer, sich Bioläden und Yogastudios wünschen, aber keine teureren Mieten

    (...was sie von allen anderen Leuten abgrenzt, die bekanntermaßen KEINE Bioläden und Yogastudios, dafür aber teurere Mieten wollen.)

     

    3. dass Bioläden, Yogastudios und teurere Mieten zur Berliner Stadtgeschichte gehören.

     

    4. dass "Veränderung immer eine Herausforderung ist, der man sich nur stellen muss".

     

    Leider behalten Sie für sich, was aus all Ihren Erkenntnissen zu folgern wäre.

     

    Was sollen wir nun also tun, um uns der "Herausforderung zu stellen"?

  • U
    uschi

    Angesichts der höchst spekulativen, nein: falschen und ehrabschneidenden Einschätzung der Haltung und Aussagen von Matthias Merkle in diesem Artikel hier der Link zur Bezugsquelle der Autorin: das Interview mit Merkle im Wortlaut.

    http://www.berliner-zeitung.de/ueber-berlin-reden/freies-neukoelln--das-ist-nicht-mehr-mein-berlin-,20812554,24989778.html

  • B
    BöserFalter

    "Veränderung ist eine Herausforderung" - ob das auch die von der Mietergemeinschaft geschätzten 2000 Leute so sehen, die in den letzten 4 Jahren aus meinem Schillerkiez verdrängt wurden? Hier schreibt jemand, der oder die im trocknen sitzt, sich mit der Thematik nicht beschäftigt hat, und wohl irgendwie meint, dass die irren Sonderrenditen und die Vertreibung durch die Gentrifizierung ok sind. Und das bei der Taz, traurig, traurig. Vielleicht das nächste mal für das SPD-Organ "Vorwärts" schreiben, da stehen auch solche Sachen drin.

  • P
    patience

    Die Kneipiers sind also daran Schuld, dass ind den Wohnungen in der Umgebung die Mieten steigen?

    Spannend. Wie machen die das denn, sind die Kneipiers die Vermieter aller Wohungen in einem Kiez? Oder hat da einfach jemand mal wieder den Prozess Gentrifizierung nicht begriffen?

  • Tja, die Revulution frisst ihre Kinder, so heisst es doch sprichwörtlich.

    Hier sieht man, wie war Sprichwörter sein können ...

    Oder noch eins; die Geister, die ich rief, jetzt werde ich die nicht mehr los ...

    Realitätsverlust ist so lange schön, so lange man die daraus realen Konsequenzen nicht zu fürchten braucht ... aber wehe, wenn die dann kommen ...

    Man hätte es auch anders machen können, z.B. Szenetreffs mit bewusst billigen Preisen fürs Publikum in bewusst preiswert gemietetn Räumen. Dazu in jeder PR die ganz bewusst platzierte Botschaft, dass Preiserhöhungen das Szenegefüge sofort zerstören.

    Man hätte dann auch Exempel statuieren können, dass die Szenecommunity solidarisch jeden Laden, jede Örtlichkeit, in den sich Immobilienspekulanten und Geschäftemacher eingekauft haben, sofort umfassend boykottiert. Und schon geht die Rechnung der Gentrifizierer nicht mehr auf.

    Aber soweit denkt das Szenevolk nicht; sobald die Partys auf Hochstimmung laufen, ist das Hirn ausgeschaltet und es wird bestenfalls noch unter der Gürtellinie "kreativ nachgedacht".

  • RR
    ruetli rising

    Ich finde Schadenfreude ist nicht der richtige Ansatz, um dieses Thema zu besprechen.

     

    Neuköllner Immobilien wären auch ohne Studenten und Hipster zu Investitions- und Spekulationsobjekten geworden. Die verzweifelte Mittel- und Oberschicht investiert ihr Geld auch in sog. "Problem-Viertel". (siehe auch: http://taz.de/Gentrifizierung-in-Rio-de-Janeiro/!127534/)

     

    Investoren und die gesetzlichen Möglichkeiten Mieten und Bodenpreise zu erhöhen, treiben Gentrifizierung voran, nicht Kneipenbesitzer.

  • 8H
    82564632376 huch is das viel

    liebe leser der anonyme immobilienhai in london,singapur,delaware, honkong oder sonstwo kann durchaus ihr nachbar sein,der sich sschlicht und ergreifend einen firmenmantel gegen die soziale kälte für spekulanten angeschafft hat,um unter anderem steuern zu sparen und um sich allen möglichen zirkus zu ersparen einschließlich image- und rufverlust.

     

    diese lösungen bieten auch deutsche banken zusammen mit den großen beratungsunternehmen fürn appel und n ei an,sonst machen schließlich die andern das geschäft,die ja auch ebenso bei steuerverkürzung geholfen haben und noch helfen.

     

    auch ein beliebtes spiel,das im ausland liegende kapital wieder hierzulande in umlauf zu bringen.unsre verantwortlichen politiker wissen dies und wollen auch deshalb nicht,daß die personen ,die sich hinter den diversen gesellschaften verstecken, bei immokauf outen müssen

     

    der größte teil des ausländischen kapitals ,das in den berliner markt fließt ,ist vorher aus deutschland abgefloßen

     

    hier versuchen sich unsre mitbürgernden immoblienfreunde und mietenbeglücker mit medialer unterstützung durch den hinweis auf anonyme böse als kleineres übel zu präsentieren

     

    die menschheit will vera....t werden

  • M
    Marlene

    Na, das freie Neukölln lief doch immer super. Da hat der Merkle doch selber Geld gescheffelt! Der soll mal nicht jammern!

  • N
    nbo

    och nö, das fällt jetzt aber echt hinter alle erkenntnisse zurück, die es gerade auch von stadtgeographen wie neil smith seit etlichen jahren gibt. hier werden symptome (hipster macht kneipe auf) mit ursachen (freier kapitalistischer immobilienmarkt) verwechselt. gentrifizierung ist die urbane ausprägung von kapitalismus. so einfach ist das. buchtipp: "gentrification" von lees, slater & wyly (routledge 2006).

  • S
    Susanna

    Mir geht das Gejammer auch auf den Keks, ich sehe aber schon ein Problem, wenn Menschen mit viel Geld Wohnraum billig kaufen, um damit Gewinnmaximierung zu betreiben, während Leute, die zur Steigerung der Wohnungspreise beitragen, weil sie das Viertel aufwerten, in Deutschland niemals Kredite bekommen, um selber zu kaufen und darin zu wohnen. Ich zum Beispiel. Verpartnert. Zwei Kinder. Künstlerin. Beide Selbstständig. Ich werde mein Leben lang Miete zahlen und dazu beitragen, dass die immer teurer wird, weil ich kein Eigenkapital habe, aber für gute Nachbarschaft sorge. Und wenn ich Pech habe, wird meine Wohnung irgendwann verkauft. Vielleicht an jemanden in London, der nie vorhat, nach Berlin zu ziehen. Mit Wohnraum ist das ein bisschen wie mit Nahrung und Wasser. Wer nur investiert, um maximalen Gewinn rauszuholen, ist ein Arschloch.

  • S
    seinerzeit

    ach so ein doofer text. es geht um die verteuerung des wohnraums. viele können sich den nämlich nicht mehr leisten. die zahl der obdachlosen steigt. unterkunft ist zum armutsfaktor geworden.

     

    dieser text ist nur ein weiterer der diese entwicklung befürwortet und durch die bekannte wiederholung der immer selben muster argumentationsmuster verschleiert: gentrifi blabla, studenten und künstler sind schuld, bla bla, veränderung ist völlig normal. nein, denn es geht nicht um veränderung sondern um politische entscheidungen und den ausverkauf unserer stadt zugunsten eines neoliberalen lebensstils. und die taz trommelt seit jahren heftig mit, zusammen mit dem rbb und der zitty.

  • K
    Kathi

    Ich wäre beim Thema Gentrifizierung mit Schuldzuweisungen sehr vorsichtig.

     

    Es handelt sich hier um einen Prozess, der durch viele Faktoren beeinflusst wird.

     

    Das Buch "Wir Bleiben Alle" von Andrej Holm fasst das Thema gut zusammen.

    Sehr empfehlenswert.

  • P
    Planlos

    "Liebe Gentrifizierung, du wirst mal wieder angeklagt – von denen, die dich geschaffen haben."

     

    Hmm. Der Kneipenwirt, der die geräumte Fabriketage billig mietete, aber den Fabrikbesitzer nicht rauswarf, ist schuld, dass er die Miete heute nicht mehr zahlen kann und selbst raus muss. Dieser "natürlichen" Veränderung soll man sich "stellen". Sagt nicht der Wohnungsmakler, sondern Taz.

  • M
    Marius

    Man muss doch Möglichkeiten und Wege finden, kulturelles Engagement zuzulassen und dennoch über Verordnungen (Milieuschutz etc.) die Bevölkerungsstruktur grundsätzlich zu erhalten. Engagierte, die ihren Stadtteil durch eine Kneipe oder durch einen Stadtgarten schöner machen, sind vielleicht der Anfang der Gentrifizierung, aber keine Gentrifizierer im eigentlichen Sinne. Die Stadtverwaltung trägt hier eine große Verantwortung einen Ausgleich zu schaffen.

  • R
    Rob

    WOW, mal keine Kritik an der Gentrifizierung der Innenstädte, sonder eine realistische Beschreibeung von Gesellschafts- und Stadtentwicklung in der taz.

    Danke!