Kolumne Leuchten der Menschheit: Die Paradoxa der Mode
Mode und Irrtum gehören zusammen. Aber hat das was mit Schönheit zu tun? Und kann ein Buch eine Antwort geben?
Hässlich sei ihre bunte Hose, sagte der kleine Junge zu der Frau. Nein, die sei modisch, protestierte die Frau. Der Junge wollte das nicht gelten lassen. Sie solle doch einmal in einem Modebuch nachschauen, dann würde sie schon erkennen, dass er recht habe und die Hose gar nicht schön sei, erwiderte er. Dann schwiegen beide.
Sie hatten aneinander vorbeigeredet, ohne es zu bemerken, denn so wenig wie eine Hose schön ist, bloß weil sie modisch ist, so wenig kann man in einem Buch einfach nachschlagen, was schön ist.
Und dennoch hatten beide ganz unfreiwillig ein grundlegendes Paradoxon der Mode berührt. Wir folgen der Mode, weil wir wissen, dass sie vorübergeht, behauptet die italienische Soziologin Elena Esposito – was an Mode überzeugt, ist gerade das Vorübergehende: „Die moderne Gesellschaft entwickelte innerhalb nur weniger Jahrzehnte eine Obsession für alles Neue, das zur notwendigen Voraussetzung wurde, um etwas wertzuschätzen.“
Esposito bezeichnet dieses Paradox als „Stabilität des Vorübergehenden“. Und war es nicht genau der Wert des Neuen, das unserer Frau als Argument genügte?
Doch welche Idee von Schönheit mag der Junge haben? Warum glaubt er, Schönheit könnte in einem Buch definiert werden? 4,5 Kilogramm Papier sind nötig, um ein repräsentatives Kompendium der Gegenwartsmode wie das des New Yorker Fashion Institute of Technology herauszubringen („Fashion Designers A–Z“, Taschen Verlag, 2016).
Aber gibt es überhaupt eine konstitutive Verbindung zwischen Schönheit und Mode? Esposito zufolge zielt die Mode längst nicht mehr darauf ab, schön zu sein, sondern darauf, aufzufallen, was zu einem zweiten Paradox führt, nämlich der „Konformität der Abweichung“: „Wir imitieren die Weigerung zu imitieren, und damit sind wir gleichzeitig konformistisch und abweichend.“ Auch darüber haben der Junge und die Frau implizit gesprochen.