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Kolumne Konversation"Du, ich muss!"

Kolumne
von Natalie Tenberg

Wir Menschen vom Niederrhein haben eine große Gabe: Mühelos finden wir in ein Gespräch rein – und auch wieder raus.

U nser Freund Hanno stammt aus Norddeutschland. Für ihn ist das nicht weiter tragisch, er schwärmt von seiner am Meer verbrachten Jugend. Den lauen Abenden am Strand von Timmendorf, Winterspaziergängen am schneeverwehten Steilufer und Schiffsbeobachtungen in Travemünde. Ich hingegen hing im Sommer meistens am Überlaufrand eines 25-mal-50-Meter-Beckens, im Winter war ich so gut wie gar nicht draußen, und lange Stunden meiner kostbaren Jugend habe ich in einer schummerigen Kneipe namens Dr. Flotte verbracht.

Mit der Natur halten wir Menschen vom Niederrhein es nämlich wie mit dem Raum, der hinter dem Ende des Universums beginnt: Wir wissen, dass sie irgendwo da draußen existiert, bringen sie aber mit unserem Leben so gut wie gar nicht in Verbindung. Traurig? Mitnichten! Schließlich stattet uns der eher personen- als naturbezogene Lebenswandel mit einer Eigenschaft aus, die Menschen aus so manch anderer Regionen zu fehlen scheint: Wir sind nie um ein Gespräch verlegen. Denn wir finden geschmeidig hinein, aber auch ohne Probleme, und darin liegt ja die große Kunst, wieder heraus.

Mit dieser, ja nennen wir es mal Gabe, verhält es sich wie mit allem anderen, man weiß um sie ja erst, wenn man schon alt, also mindestens 34 ist. Bis vor kurzem setzte ich, naiv wie ich war, voraus, wenn jemand ohne lokale Einfärbung spricht, dann treffen auch die üblichen Regionalklischees nicht auf ihn zu. Schwaben ohne Singsang legten keinen Wert aufs Eigenheim und Brandenburger, die ohne "icke" von sich selbst erzählen könnten, müssten nicht unbedingt total verschroben, sondern könnten vielleicht gar liebenswürdig sein. Doch ich lag falsch.

Bild: taz

Natalie Tenberg ist Redakteurin im Ressort tazzwei.

Wie falsch, bemerkte ich erst, als ich mit großer Freude feststellte, dass unser neuer Zeitungs- und Süßigkeitenhändler, Michael, genau wie ich vom Niederrhein stammt. Seitdem ist die Freude groß, wenn wir einander sehen. "Wie isset?", fragt er mich. "Gut," sage ich. "Wenn nur das Wetter nicht so üsselig wäre." Michael versteht dann, was ich meine. Wir reden drei, höchstens vier Minuten lang miteinander, dann trennen sich unsere Wege. "Du, ich muss", sage ich dann.

Michael weiß natürlich genau, dass mein Tag nicht minutengenau geplant ist, doch er akzeptiert diese Floskel, lässt mich fröhlich ziehen. Das Ziel für uns ist ja, am Tag mit so vielen Menschen wie möglich zu reden. Denn der gemeine Niederrheiner redet zwar gerne, nie aber zu viel mit der gleichen Person. Ja, jemanden über die Gebühr im Gespräch zu beanspruchen könnte ja vom nächsten Plausch abhalten. Da könnte der andere zum Beispiel wieder etwas erfahren, was er einem am nächsten Tag fast brühwarm weitertratschen könnte.

Der Niederrheiner erfährt durch diese Gesprächstaktik innerhalb kürzester Zeit alles, was er wissen muss. Der tiptop hochdeutschsprechende Hanno hingegen wird ungeduldig, wenn er auf Michael trifft. Die beiden nämlich reden endlos miteinander. Stoße ich in Minute 10 dazu, empfinde ich Mitleid. Für Michael, weil er hinter der Ladentheke sitzt und keine Ausrede parat hat, und für Hanno, weil er denkt, ein Gespräch abrupt abzubrechen sei unhöflich, und sich quält.

"Und was gibt es Neues?", frage ich ihn, wenn ich ihn zum x-ten Mal aus dem Kiosk rette. "Nichts," antwortet er und schaut in die Ferne. Eine Welt, in der es nichts Neues gibt, kann es die überhaupt geben? Irgendwas passiert doch immer, zumindest in der Nachbarschaft. Doch vielleicht verhält es sich mit dem Tratsch genau wie mit der Natur. Schon möglich, dass er existiert, interessiert nur nicht jeden.

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