Kolumne Knapp überm Boulevard: Gefangen im Hier und Jetzt
Geben linke Erzählungen die falschen Zukunftsversprechen? Oder fehlt ihnen eher die Zukunftsperspektive?
A lle rufen heute nach einer neuen „großen Erzählung“ – eine, die wieder fasziniert, mitreißt, packt. Eine solche Erzählung soll die Lösung der Probleme sein. Sie soll der Linken wieder Aufschwung verschaffen. Aber merkwürdigerweise verhallt dieser Ruf immer unbeantwortet. Wo bleibt sie, diese große Erzählung? Es will sich keine einstellen.
Vielleicht liegt das Problem ja in der Fragestellung. Der Ruf nach einem neuen Narrativ versteht sich als Ruf nach neuen Inhalten. Liegt das Problem aber nicht viel eher im Funktionieren? Die linken Inhalte sind ja da. Gerechtigkeit. Gleichheit. Auflehnung. Gegen Unterdrückung. Gegen Ungerechtigkeit. Emanzipation. Die großen Erzählungen sind ja da. Aber sie funktionieren nicht mehr. Die Inhalte packen die Leute nicht mehr. Sie glauben nicht mehr daran. Das aber ist ein anderes Problem als das Fehlen einer Erzählung. Und es ist ein Problem, das nicht einfach durch andere Inhalte gelöst werden kann.
Die mangelnde Überzeugungskraft wirft eher ein Licht auf die Gesellschaft als auf die Erzählung. Diese Gesellschaft lebt im Zustand einer völligen Immanentisierung: Sie lebt umfassend, unüberschreitbar im Hier und Jetzt. Ohne Vorstellung eines anderen Zustands. Nicht weil es keine politische Fantasie mehr gäbe. Nicht weil keine Utopien mehr vorhanden wären.
In einer profanen Gegenwart leben
Aber politische Utopien sind getragen von einem säkularen Glaubensmoment. Etwa dem Glauben an ein Ziel der Geschichte oder dem heroischen Glauben an die eigene Handlungsmacht. Die Politik hat sich dieser säkular-religiösen Aufladung entledigt. Politik ist tatsächlich säkular geworden. So wie auch unsere Gesellschaften zutiefst säkular sind. Also in einer profanen Gegenwart leben. (Der religiöse Fundamentalismus ist nur die Abwehr eben dieser Säkularisierung.)
Damit aber fehlt allem politischen Handeln, allen politischen Konzepten die Dimension der Transzendenz – im Sinne eines Überschreitens der Gegenwart, im Sinne einer Zukunftsperspektive, die doch die genuin linke Perspektive gewesen ist.
Und da kommt jetzt der rechte Populismus rein. Das ist ja jene Erzählung, die derzeit zu greifen scheint. Warum funktioniert die populistische Erzählung?
Keine säkulare Religion
Das Interessante am Phänomen des Populismus ist, dass dieser eben keine säkulare Religion ist, wie es etwa der Faschismus gewesen ist. Der Faschismus funktionierte ja über eine Sakralisierung der Politik: mit seinen Kulten, seinen sakralen Aufladungen. Warum aber ist der Populismus keine säkulare Religion? Der rechte Populismus mag viele Anleihen beim Faschismus nehmen – nicht aber bei dessen säkularer Religiosität.
Der Populismus agiert punktgenau in einer Gesellschaft, die eben nicht mehr religiös gestimmt ist. Er agiert in einer gänzlich säkularen, in einer rein profanen Gesellschaft. Und er hat das gefunden, was in dieser Innerweltlichkeit noch wie ein Transzendenzersatz funktioniert: die Ausgrenzung der „Anderen“. Dies ist nichts, was uns tatsächlich aus der gegebenen Welt hinausführen würde. Aber die Ausgrenzung gibt vor, das abzuwehren, was unsere Immanenz zu bedrohen scheint. Was der Populismus nun gegen diese vermeintliche Bedrohung in Stellung bringt, ist eben nichts, was ein transzendentes Moment hätte. Kein glorreiches Zukunftsversprechen.
Es spielt sich alles im Hier und Jetzt ab. Auch Trumps Slogan „Make America great again“. Das ist kein Versprechen für die Zukunft. Es ist vielmehr die unmittelbare Bekräftigung der eigenen Stärke. Gefühlt war America schon in Trumps Veranstaltungen great again. Das hat mehr etwas von einer Selbsterfahrungsgruppe, denn von einer säkularen Religion.
Reine Innerweltlichkeit
Die Frage nach der großen Erzählung ist also nicht die Frage nach den fehlenden Inhalten, die packen. Es ist die Frage nach dem Namen, unter dem man sich vereinen, der ein kollektives Handeln herstellen könnte. Ein Name, der eben nicht jener der Nation ist. Ein Name, der Identität verleiht. Und Würde. Ein Name, der also jene Ermächtigung bereitstellt, an der es mangelt – und der dabei die Gegebenheit der reinen Innerweltlichkeit berücksichtigt.
Würde, schreibt Eribon, käme aus dem Kampf, nicht aus dem passiven Verwaltetwerden. Mit dem Populismus ist uns jetzt ein neuer Feind erwachsen. Können wir daraus, aus dessen Abwehr, unsere politische Handlungsmacht wiedergewinnen? Wenn, dann wird, dann muss es eine andere Handlungsmacht als die alte sein.
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