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Kolumne Knapp überm BoulevardGefangen im Hier und Jetzt

Isolde Charim
Kolumne
von Isolde Charim

Geben linke Erzählungen die falschen Zukunftsversprechen? Oder fehlt ihnen eher die Zukunftsperspektive?

Reicht Bewegung gegen rechten Populismus? Foto: Photocase / Kallejipp

A lle rufen heute nach einer neuen „großen Erzählung“ – eine, die wieder fasziniert, mitreißt, packt. Eine solche Erzählung soll die Lösung der Probleme sein. Sie soll der Linken wieder Aufschwung verschaffen. Aber merkwürdigerweise verhallt dieser Ruf immer unbeantwortet. Wo bleibt sie, diese große Erzählung? Es will sich keine einstellen.

Vielleicht liegt das Problem ja in der Fragestellung. Der Ruf nach einem neuen Narrativ versteht sich als Ruf nach neuen Inhalten. Liegt das Problem aber nicht viel eher im Funktionieren? Die linken Inhalte sind ja da. Gerechtigkeit. Gleichheit. Auflehnung. Gegen Unterdrückung. Gegen Ungerechtigkeit. Emanzipation. Die großen Erzählungen sind ja da. Aber sie funktionieren nicht mehr. Die Inhalte packen die Leute nicht mehr. Sie glauben nicht mehr daran. Das aber ist ein anderes Problem als das Fehlen einer Erzählung. Und es ist ein Problem, das nicht einfach durch andere Inhalte gelöst werden kann.

Die mangelnde Überzeugungskraft wirft eher ein Licht auf die Gesellschaft als auf die Erzählung. Diese Gesellschaft lebt im Zustand einer völligen Immanentisierung: Sie lebt umfassend, unüberschreitbar im Hier und Jetzt. Ohne Vorstellung eines anderen Zustands. Nicht weil es keine politische Fantasie mehr gäbe. Nicht weil keine Utopien mehr vorhanden wären.

In einer profanen Gegenwart leben

Aber politische Utopien sind getragen von einem säkularen Glaubensmoment. Etwa dem Glauben an ein Ziel der Geschichte oder dem heroischen Glauben an die eigene Handlungsmacht. Die Politik hat sich dieser säkular-religiösen Aufladung entledigt. Politik ist tatsächlich säkular geworden. So wie auch unsere Gesellschaften zutiefst säkular sind. Also in einer profanen Gegenwart leben. (Der religiöse Fundamentalismus ist nur die Abwehr eben dieser Säkularisierung.)

Damit aber fehlt allem politischen Handeln, allen politischen Konzepten die Dimension der Transzendenz – im Sinne eines Überschreitens der Gegenwart, im Sinne einer Zukunftsperspektive, die doch die genuin linke Perspektive gewesen ist.

Und da kommt jetzt der rechte Populismus rein. Das ist ja jene Erzählung, die derzeit zu greifen scheint. Warum funktioniert die populistische Erzählung?

Keine säkulare Religion

Das Interessante am Phänomen des Populismus ist, dass dieser eben keine säkulare Religion ist, wie es etwa der Faschismus gewesen ist. Der Faschismus funktionierte ja über eine Sakralisierung der Politik: mit seinen Kulten, seinen sakralen Aufladungen. Warum aber ist der Populismus keine säkulare Religion? Der rechte Populismus mag viele Anleihen beim Faschismus nehmen – nicht aber bei dessen säkularer Religiosität.

Der Populismus agiert punktgenau in einer Gesellschaft, die eben nicht mehr religiös gestimmt ist

Der Populismus agiert punktgenau in einer Gesellschaft, die eben nicht mehr religiös gestimmt ist. Er agiert in einer gänzlich säkularen, in einer rein profanen Gesellschaft. Und er hat das gefunden, was in dieser Innerweltlichkeit noch wie ein Transzendenzersatz funktioniert: die Ausgrenzung der „Anderen“. Dies ist nichts, was uns tatsächlich aus der gegebenen Welt hinausführen würde. Aber die Ausgrenzung gibt vor, das abzuwehren, was unsere Immanenz zu bedrohen scheint. Was der Populismus nun gegen diese vermeintliche Bedrohung in Stellung bringt, ist eben nichts, was ein transzendentes Moment hätte. Kein glorreiches Zukunftsversprechen.

Es spielt sich alles im Hier und Jetzt ab. Auch Trumps Slogan „Make America great again“. Das ist kein Versprechen für die Zukunft. Es ist vielmehr die unmittelbare Bekräftigung der eigenen Stärke. Gefühlt war America schon in Trumps Veranstaltungen great again. Das hat mehr etwas von einer Selbsterfahrungsgruppe, denn von einer säkularen Religion.

Reine Innerweltlichkeit

Die Frage nach der großen Erzählung ist also nicht die Frage nach den fehlenden Inhalten, die packen. Es ist die Frage nach dem Namen, unter dem man sich vereinen, der ein kollektives Handeln herstellen könnte. Ein Name, der eben nicht jener der Nation ist. Ein Name, der Identität verleiht. Und Würde. Ein Name, der also jene Ermächtigung bereitstellt, an der es mangelt – und der dabei die Gegebenheit der reinen Innerweltlichkeit berücksichtigt.

Würde, schreibt Eribon, käme aus dem Kampf, nicht aus dem passiven Verwaltetwerden. Mit dem Populismus ist uns jetzt ein neuer Feind erwachsen. Können wir daraus, aus dessen Abwehr, unsere politische Handlungsmacht wiedergewinnen? Wenn, dann wird, dann muss es eine andere Handlungsmacht als die alte sein.

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3 Kommentare

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  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    Die Utopie ist lange schon in Misskredit geraten und jene, die an sie glauben, werden als Gutmenschen, Naivlinge, Sozialromantiker usw. diskreditiert. Entscheidend ist, wie schon die Birne wusste, was hinten rauskommt und zwar nicht als mittelbar greifbare Qualität eines längeren Bemühens, die der Gesellschaft zugute käme, sondern als messbare monetäre Quantität, die an die wenigen Mitspieler im "Gesellschaftsspiel" namens Monopoly verteilt wird, während die unter dem Tisch die Hälse nach dem recken, was von oben "abfällt".

     

    Die kapitalistische Religion mit seiner Kosten-Nutzen, Humankapitalrechnung usw. hat die Menschen erfolgreich gehirngewaschen, sodass sie mittlerweile weder ihren eigenen Hoffnungen noch ihren Nachbarn oder Verwandten mehr über den Weg trauen.

     

    Jedes Narrativ im Sinne einer gesellschaftlichen Utopie ist vor einem solchen Hintergrund unmittelbar als Märchen entlarvt: alles irgendwie schön und gut, mal wieder ein paar Minuten "Erbauung" und Reminiszenz an die gute alte Zeit, als das Wünschen angeblich noch geholfen hat, aber jetzt weiter im Text mit Hetzen, Hasten, Hamstern. Wir müssen schließlich um unseren Anteil am Kuchen kämpfen. Geschenkt gibt es nix, außer wohlfeiles Blabla.

  • Hier werden meiner Meinung nach zwei Dinge vermischt, die man getrennt betrachten sollte, um den Zusammenhang zu sehen.

     

    Das eine ist der Umstand, dass viele bekannte Leute derzeit nach einer neuen "großen Erzählung" rufen, obwohl es diese Erzählung schon längst gibt.

     

    Ich denke, dass die Rufer selbst an die Gerechtigkeit, die Gleichheit und die Auflehnung gegen Unterdrückung nicht glauben können/wollen. Sie würden damit den eigenen Führungsanspruch unterminieren und Probleme mit der Begründung ihrer Privilegien kriegen. Die erhoffte neue "große Erzählung" soll den selbsternannten Stellvertretern Gottes auf Erden offenbar auch künftig jenen Rang sichern, der ihnen ihrer Ansicht nach zusteht – und ihnen zugleich einen progressiven Anstrich geben, der sie als Teil der Linken ausweist, sodass es keine Abwehrreaktionen gibt.

     

    Das zweite ist die Frage, warum die populistische Erzählung funktioniert.

     

    Es ist nicht wahr, dass diese "kein Versprechen für die Zukunft enthält". Das Versprechen lautet, dass Macht auch künftig eine Rolle spielt. Der Mann kann also morgen noch ein Mann (und seine Frau ne Frau) sein, wie er/sie in alten Büchern steht. Was groß war, wird groß bleiben oder wieder werden. Der Drill war also nicht umsonst.

     

    In beiden Fällen geht es darum zu suggerieren, dass nicht Kontinuität das Ziel ist, sondern Veränderung (hier hin zu etwas Neuem, da hin zu Altbewährtem). Das mobilisiert die Leute, weil es ihnen die Gelegenheit bietet, die eigene Stärke zu beweisen. Es kommt einem erlernten Bedürfnis entgegen. Leider verhindert es zugleich, dass wir eine Zukunft haben, die ohne Herrschaftsdenken auskommt.

     

    Nein, es ist auch nicht der Name, der uns fehlt. Es ist der Glaube an den Wert auch derer, die keinen Platz an Gottes rechter Seite haben. Die Frage ist nicht, ob wir aus einer Abwehrhaltung heraus "unsere politische Handlungsmacht wiedergewinnen" können. Die Frage ist: Wer hindert uns dran, ganz einfach loszulegen? Und wie macht er das?

  • Ich denke man muss verstehen, dass das Wort in Trumps slogan nicht "great" ist sondern "again". Und somit ergibt sich die ERzählung von ganz von selbst in den Köpfen der Menschen. Früher, da waren wir great.. das Schlechte wird automatisch ausgeblendet (denn so tickt der Mensch).... das Gute, das Verklärende rückt in der Vordergrund (und wenn es nur die Gemüsesuppe bei Oma war). Da setzt der Mann auf und das, dass sind dann "wir"... und die anderen sind der Gegner. Das gefällt dem Zuhörer, das kommt an.

     

    Links versteht nicht wie Geschichten in die Köpfe kommen. Es wird gerne verstichwortet, wie eben auch im Text: Gleichheit, Gerechtigkeit, Emanzipation, ... dann woanders: Umverteilung, Raubtierkapitalisms, Neoliberalismus....

    Das ist abstraktes Wortgedöns und leider: Jeder meint dann auch noch was anderes innerhalb der Schlagworte: Nix ist sauber definiert, nix als Ziel konkret akzeptiert.... alles schön im diffusen Wortnebel.

     

    Geschichten erzählen, das geht anders.

     

    Der SPD Schulz versucht das gerade. Leider die falsche Person....und ich glaube auch die falsche Geschichte. Wohl ein Strohfeuer.