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Ich lese z.B. den Satz: "Ob man derart essenzialistisch über 'den normativen Kern linken Denkens' diskutieren sollte, sei dahingestellt."
Ich finde: Keine noch so beeindruckende Latte von - mir jedenfalls - unverständlichen Fremdworten und Begriffen ersetzt die Anstrengung des eigenen Nachdenkens und Formulierens, nach Möglichkeit unter Vermeidung von hochtrabend daherkommenden Nomen.. Halbgebildete mögen sich davon beeindrucken lassen, mich schreckt es vom Lesen ab.
Martin Korol, Bremen
@Martin Korol Solche Aussagen halte ich für autoritär, insofern sie jeden herunterholen wollen auf ein selbstgesetztes Maß. Strengen Sie sich ein wenig an, dann klappts auch mit dem Verstehen. Komplexe Satzbildung haben Sie ja schon drauf. Die paar fehlenden Fremdwörter sind leicht gelernt. Und wenn Sie die beiden inkriminierten (und dieses eine) nachgeschlagen und verstanden haben, dann kommen Sie doch bitte zurück und erklären uns, welche Wörter der Autor stattdessen hätte nehmen sollen.
@Martin Korol Demnach müssten Sie ja davon beeindruckt sein und nicht abgeschreckt, wenn Ihnen diese Fremdworte unverständlich, Sie also halbgebildet sind.
@Martin Korol Aber einen Kommentar konnten Sie ja dennoch drunter schreiben. Haben Sie den Artikel nun gelesen oder nicht?
Bei der Verbreitung des Rechtspopulismus in Europa verbreiten die Rechten sehr viele unwahre Tatsachen und schüren dabei starke Angst und viel Hass.
"Der Teufel ist der Vater der Lüge."
Mir scheint, Sie haben Adorno nicht ganz korrekt wiedergegeben:
"Das Individuum fühlt sich frei, soweit es der Gesellschaft sich entgegengesetzt hat und, wenngleich unverhältnismäßig viel weniger, als es glaubt, etwas gegen sie oder andere
Individuen vermag. Seine Freiheit ist primär die eines solchen, der eigene Zwecke verfolgt, die in den gesellschaftlichen nicht unvermittelt
aufgehen; soweit koinzidiert sie mit dem Prinzip der Individuation. Freiheit dieses Typus hat sich der naturwüchsigen Gesellschaft entrungen; innerhalb einer zunehmend rationalen erlangte sie einige Realität. Zugleich jedoch blieb sie inmitten der bürgerlichen Gesellschaft Schein nicht weniger als die Individualität überhaupt. Kritik an der Willensfreiheit wie am Determinismus heißt Kritik an diesem Schein. Über den Kopf der formal freien Individuen hinweg setzt das Wertgesetz sich durch. Unfrei sind sie, nach der Einsicht von Marx, als seine unwillentlichen Exekutoren, und zwar desto gründlicher, je mehr die gesellschaftlichen Antagonismen anwachsen, an denen die Vorstellung
von Freiheit erst sich bildete. Der Prozeß der Verselbständigung des Individuums, Funktion der Tauschgesellschaft, terminiert in
dessen Abschaffung durch Integration. Was Freiheit produzierte, schlägt in Unfreiheit um."
@849 (Profil gelöscht) Und Sie wolen uns was damit sagen bitte ?
Das war als Fußnote für jene gemeint, die vielleicht gerne das Zitierte im Zusammenhang lesen wollen. Aber wo Sie schon fragen:
Zum einen, dass die Aussage des Artikels, Adorno sei " auch wenn er von Freiheit spricht, kein Liberaler" gewesen, aus den Zitaten nicht ersichtlich ist - dass der Autor ihn nicht vom Vorwurf freisprechen wolle, er sei ein Anhänger des Liberalismus, setze ich natürlich voraus.
Adorno geht es um die Kritik an der "bürgerlichen Freiheit", die keine Freiheit ist. Seine Einstellung zur Freiheit als solcher ist dem Text nicht zu entnehmen. Und sie ist auch, wie ich meine, seinem gesamten Werk nicht zu entnehmen, dass ein zutiefst kritisches ist, aber kein Vademecum einer ausgepinselt-utopischen Freiheit. Das drückt sich auch in dem Gefüge "Idee einer freien Gesellschaft" aus.
Ferner lässt der Autor beim Zitat "Über den Kopf der formal freien Individuen hinweg setzt das Wertgesetz sich durch" das "hinweg" weg, wodurch der Satz einen ganz anderen Sinn annimmt. Wobei ich mich in Kenntnis seiner Schriften wundere, dass er das "hinweg" nicht selbst weggelassen hat. :-)
@Thomas Schöffel Während meines Studiums durfte ich mir auch Vorlesungen über die akademischen Werke des Herrn Adorno antun. Mein Kommilitone neben mir fragte mich während der Vorlesung, ob ich die Sachverhalte verstehe und der Vorlesung folgen könne. Ich hatte auch meine Schwierigkeiten und sagte, dass ich ungefähr 40% verstehe. Die Anmerkung meines Kommilitonen war, dass 40% aber sehr viel sind nach seiner Einschätzung. Adorno ist ganz sicherlich nicht dazu geeignet, die kulturelle Kluft, die sich zwischen dem unteren Drittel der Gesellschaft und dem Milieu der akademischen Linken seit Längerem schon auftut, zu schließen.
@2097 (Profil gelöscht) Philosophen, die man sofort versteht, haben nichts zu sagen. Sie haben sich der Anstrengung des Denkens hingegeben und das merkt man ihrer Diktion nun einmal an. Adorno gehört gewiss nicht zu den leicht lesbaren Philosophen, aber mit ein bisschen Übung und Anstrengung kann man ihn zu lesen lernen. Dann versteht man auch mehr als 40%.
@2097 (Profil gelöscht) Da der Sinn und Zweck dieser Angelegenheit sicher nicht der ist, vom Publikum verstanden zu werden, sondern Herrschaftswissen anzuzeigen, ist ignorieren vieleicht das Beste. Das ganze erinnert mich an den Kindersatz: Die voluminöse Expansion der subteralen Magna Bona ist reziprok proportional zum verifizierbaren Intelligenzquotienten des produzierenden Ökonomen. Die deutsche Übersetzung ist so leicht, wie sie nur sein kann: Der dümmste Bauer hat die dicksten Kartoffeln.
@Thomas Schöffel Wenn man sich Herrschaftswissen durch die Lektüre Adornos aneignen würde, wäre es ja geradezu sträflich, dieses Wissen zu ignorieren, wenn man es nicht hätte. Denn dann würde man ja, ohne was zu wissen, beherrscht. Und genau das meint im Wiesengrunde der Herr Adorno, wenn er sagt: "Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen". Tolles Herrschaftswissen, finden Sie nicht?
"Die Politik meldet sich zurück, aber nicht als Primat der Demokratie über die Ökonomie, sondern in Gestalt des Populismus und des autoritären Nationalismus."
Nein! Da gibt es kein "sondern". Brexit und Trump sind die Rückgewinnung des Primats der Politik durch den Nationalismus. Die Nationalisten tun das was sich die linken Globalisten nicht trauten, sie verweisen die Wirtschaft in ihre Schranken.
So sehr man es auch zu verleugnen sucht, die Nationalisten erfüllen gerade eine Kernforderung der Linken. Sie tun es aus den falschen Gründen und mit den falschen Methoden, aber sie tun es.
Das Dogma der sich durch die Globalisierung auflösenden Nationen wird gerade in der Praxis widerlegt. Es bleiben aber die Nachteile der Globalisierung und die werden den "alten Eliten" zugeschrieben.
Hierauf muss eine Antwort gefunden werden und dies UNABHÄNGIG von der Identitätspolitik. Es gibt hier kein "entweder-oder"! Eine "Gegenidentitätspolitik" zu den Ansätzen der Nationalisten ist Irrsinn.
Die politische Linke ist derart im Isentitätsdenken gefangen, man kann alles nur noch Gruppendynamisch denken. Und damit scheitert man bei der Erklärung der Erfolge der Populisten. Das verwundert nicht, die Wählerschaft der Populisten ist vollkommen heterogen.
Streicht den historisch überfrachteten Begriff "Nationalisten" und setzt "neue Anti-Globalisten". Vergesst die Identitätspolitik und die Nationalisten, darum geht es nur einem sehr kleinen Teil der Wählerschaft der Populisten.
Die Globalisierung, also ungehinderte Waren-, Geld- und Menschenströme bedürfen neuer Antworten die wir nicht haben. Aber gar keine Antwort semantisch zur Alternative der starken Nation aufzublasen bringt nichts, das klappt nicht ewig. Und die Identitätspolitik hier hineinzumischen bringt auch nichts, die gehört hier nur am Rande hin.
Als kaum mehr zu leugnen war das der Kommunismus über Landesgrenzen hinweg stets zu Unterdrückung, Mord, Mangel und Ausbeutung geführt hat war das ein harter Schlag für viele ideologische Anhänger im Westen. Menschen wie Derrida haben sich daran gemacht marxistische Denkmuster aufs Soziale zu übertragen um sie vor dem völligen moralischen Bankrott zu bewahren. Das Resultat war der Postmodernismus.
Ich glaube nicht daran das es viele Linke gibt die sich explizit als Postmodernisten verstehen. Oft werden aber Argumentationsmuster übernommen, insbesondere an Universitäten lässt sich das gut beobachten.
Der Postmodernismus richtet sich, wie das Wort schon sagt, gegen die Moderne und ihre Errungenschaften. Das mundet nicht selten in blanker Wissenschafts-Feindlichkeit, Subjektivismus und übler Heuchelei.
Am Beispiel des Verhältnisses intersektioneller Feministinnin zu islamischen Staaten, wie Saudi-Arabien, lässt sich das gut nachvollziehen. An deutschen Universitäten wird unentwegt gegen das Patriarchat Stimmung gemacht, obwohl es das Patriarchat im ursprünglichen Sinne in Deutschland nicht mehr gibt. Was damit gemeint ist wird aber i.d.R. nicht erläutert.
Staaten wie Saudi-Arabien werden von der Kritik dieser Feministinnin aber oft gänzlich verschont. Das erscheint erstmal bizarr, da es in diesen Staaten tatsächlich eine patriachale Gesellschaft gibt unter der Frauen leiden. Nun muss man sich Fragen: Was wollen diese „Feministinnin“ bekämpfen? Und so wie ich das verstehe ist die Antwort nicht „Misogynie“ oder Benachteiligung von Frauen, sondern die westliche Kultur. Die ist meinem Verständnis nach auch gemeint, wenn vom Patriarchat die Rede ist. Deshalb fällt es diesen Feministinnin (explizit nicht allen) leicht auch Staaten die Frauen wie Vieh behandeln als Verbündete zu betrachten, da Sie in ihnen vor allem den Feind ihres Feindes sehen.
Sie haben Recht und ich gehe noch weiter: Linke konstituieren ihre Identität gerade durch Pöbelverachtung. Vielleicht hat man sich lange genug mit ihm herumgeschlagen? Ich weiß es nicht.
Nichtsdestotrotz stehen die im letzten Absatz aufgezählten Probleme nicht im Weg, nein, man sie aufgreifen und aus ihnen Politik machen. Dazu können auch harte Einschnitte folgen: Nicht nur der Ausbau der Festung Europa, sondern auch kulturchauvinistische (in diesem Fall nicht negativ konnotiert, auch wenn sich das für manche unvorstellbar liest) Steuerelemente: Minarettverbot, Kopftuchverbot, Verbot von zweifelhaften Kulturvereinen, Rückeroberung von öffentlichem Raum durch extremste Polizeipräsenz. Vieles – told you so – hätte man sich davon sparen können, hätte man eher mal auf Knochenkonservative gehört.
Nichtsdestotrotz scheint mir noch wichtig zu unterscheiden, dass liberale Einstellungen (wie sie heute vorherrschen) etwas anderes sind, als linke Einstellungen. Es ist schon richtig, dass Adornos Satz verkürzt und falsch ist. Der Gegensatz besteht heute eher zwischen Unrepräsentierten und Liberalen (nicht Rechten und Linken).
Die Linke hat darauf keine Antwort.
Kommentar zum Agenta-Trauma und Hartz-IV-Strafvollzug für langjährige Lohn- und Gehaltsabhängige -in Folge der sozialdarwinistischen und rechtssozialdemokratischen Politik der SPD- und rechten DGB-GewerkschaftsführerInnen:
Es hat keine "Reform" mit der Agenda und dem Hartz-IV-Strafvollzug für Arbeitslose gegeben. Eine Reform ist stets eine sozioökonomische Verbesserung der Lebenslagen. Langjährige Berufs- und Erwerbstätige wurden sozial deklassiert und auf die gleiche Stufe mit sozialhilfebedürftigen Menschen, Obdachlosen, Drogenabhängigen, wie auch Alkoholikern, gleichgestellt. Dies diente zugleich dem eigentlichen Zweck der Absenkung aller Lohn- und Lebensstandards und der sozioökonomischen Ausgrenzung und Verhinderung von Gemeinschaft und Solidarität unter den Lohn- und Gehaltsabhängigen. An diesem sozial-ökonomischen Verbrechen gegen die große Mehrheit der Erwerbsbevölkerung, mit deren Ausnahme unter den Stammbelegschaften der Großunternehmen und der Arbeiter-, Angestellten- und Beamtenaristokratie, hat sich die rechtssozialdemokratische SPD-Führung federführend beteiligt. Siehe hierzu auch als Leseempfehlung das Buch von Sebastian Haffner: Der Verrat 1918/1919 - als Deutschland wurde, wie es ist. Die Prämissen in diesem Buch haben auch noch heute ihre Gültigkeit, insbesondere gegenüber der SPD und deren Gewerkschaftsführungen.
Ein weithin geleugneter Fakt ist: Selbst im faschistischen Herrschaftsystem vor 1939 wäre die NSDAP mit einer vergleichbaren Maßnahme gegen die große Mehrheit der deutschen Erwerbsbevölkerung gescheitert. Mit dieser Feststellung bedient man keineswegs die Relativierung des deutschen Kapitalfaschismus, Nationalismus, Antisemitismus und Imperialismus von 1933 bis 1945, wie Befürworter behaupten.
Der normative Kern des Linken mag die freie Gesellschaft sein. OK. Eine freie Gesellschaft funktioniert aber nur mit einem Mindestmaß an sozialer Gerechtigkeit. (Wer kein Brot hat, hat keine Zeit zum Diskurs.)
Insofern ist das kein Gegensatz, sondern nur eine unterschiedliche Prioritätensetzung.
"Insofern ist das kein Gegensatz, sondern nur eine unterschiedliche Prioritätensetzung."
Doch das sind Gegensätze aber eine Gesellschaft kann und muss gegensätzliche Positionen bis zu einem gewissen Maß aushalten.
Jede Ressource die für "soziale Gerechtigkeit" vom Staat eingezogen wird fehlt der Person die sie erwirtschaftet hat. Das ist ein Eingriff des Staates der aus gutem Grund erfolgt aber es ist dennoch eine Einschränkung der Freiheit des Menschen dem diese Ressource nun nicht mehr zur Verfügung steht.
Sehr guter Artikel.
Viele Menschen haben den Eindruck, dass ihnen etwas genommen wird. Die AfD hat begriffen, dass es sich primär nicht um etwas Finanzielles handelt. Es geht vielmehr um Identität und das Gefühl, dazuzugehören.
"Die Linke spricht zwar gern und oft von „empowerment“, aber eine Politik, die in erster Linie auf die Affirmation ethnischer und sexueller Identitäten setzt, kann keine gemeinsamen Handlungsperspektiven eröffnen."
Noch komplexer wird die Diskussion, wenn der "kleine Mann" (nennen wir ihn doch bitte den einfachen Arbeitnehmer) "Bio-Deutscher" ist und daher das, was die "Minderheiten" als "Identität" bezeichnen, gar nicht haben darf! Stichworte:
"Deutschland verrecke",
"Nie wieder Deutschland" oder "Bomber Harris Flächenbrand, Deutschland werde Ackerland"
Wenn Fr. Merkel ihnen dann sagt, "jeder der hier lebt, ist das Volk", Rot/Grün gedenkt, allen das Wahlrecht einzuräumen (noch kommunal), geht sehr vielen das "Messer in der Tasche auf" und ich gestehe, nach Lektüre des GG, geht es mir genauso - nur die AfD wählen geht halt nicht - "it´s the economy, stupid."
RE."Bio-Deutscher" ist und daher das, was die "Minderheiten" als "Identität" bezeichnen, gar nicht haben darf!
Dem kann ich nur zustimmen, es ist ein großer Widerspruch. Gerade wenn man sich als Einwanderungsgesellschaft versteht, muss man mal ein gesundes demokratisches Selbst entwickeln und kann es nicht Rechten überlassen die Deutungshoheit zu haben.Es sind nicht nur die "Bio-Deutschen" die damit ein Problem haben, auch den Migranten macht man es damit schwer Anschluss zu finden.
""it´s the economy, stupid." ist es eben nicht nur.
Wenn Angela Merkel ein Volksbegriff definiert, der nicht mit dem GG vereinbar ist, dann werde auch ich als gutverdienendem Single ohne jegliche ökonomische Sorgen zum Wutbürger.
Wenn mir als extrem religionskritischen Atheisten und Fan der Aufklärung Kritik am Islam als Rassismus ausgelegt wird, dann bin ich halt Rassist (womit ich übrigens nicht das Problem Rassismus verharmlosen möchte, sondern im Gegenteil: es geht darum dass der inflationäre Rassismusvorwurf gerade diese Verharmlosung darstellt).
Wenn ich eine Art der Leitkultur für nötig halte um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu erhalten obwohl ich nie im Leben CSU wählen würde und auch nicht deren Leitkultur folgen möchte und mir das als kultureller Imperialismus ausgelegt wird, dann mache ich das was jeder vernünftige Mensch macht:
Ich unterstützte politische Gruppen, die meine Werte und Überzeugungen vertreten. Das waren früher immer linke Gruppen - heute oft nicht mehr.
"Das waren früher immer linke Gruppen - heute oft nicht mehr"
Die übliche Links -> Rechts Drift mit zunehmendem Alter?
Ich selber drifte in beide Richtungen gleichzeitig und es wird zunehmend schwieriger, die schizoid auseinander treibenden Tendenzen zu integrieren.
Ich frage mich, wie die "gesellschaftspolitische Alternative" wohl aussehen könnte, die "auf der Ebene der politischen Repräsentation" auch die Verlierer einschließt.
So lange Rechte wie Linke (Möchtegern-)Anführer auch nur 10 oder 20 Prozent ihrer eigenen Identität und ihres "Gefühls einer moralischer Überlegenheit" aus "der Abgrenzung gegenüber der Lebensweise und den Werten dieser Bevölkerungsschichten gewinn[en]", wird das nichts werden mit der Alternative, fürchte ich.
Das Gefühl der moralischen Überlegenheit ist schließlich unerlässlich für jeden, der wildfremden, schon längst erwachsenen Menschen sagen will, wie sie zu leben (und zu sterben) haben und was sie tun bzw. lassen sollen, damit die Zukunft richtig rosig wird. In einer Wettbewerbsgesellschaft wie unserer aber sind 10 oder 20 Prozent Motivation einfach zu viel – wenn man sie (anders, als die Konkurrenz) nicht hat.
Nützt höchstwahrscheinlich alles nichts: Wer wirklich was verändern wollte, der müsste seine Identität loslösen von der Machtfrage . Eine "Wiederbelebung des gesellschaftsverändernden Anspruchs der Politik und eine[] Neuformulierung allgemeiner, gemeinwohlorientierter Ziele, mit denen der rechtspopulistische Volksbegriff herauszufordern wäre", ist nur von solchen Leuten zu erwarten, die mit den Wissenslücken leben können, die jede Zukunft nun mal mit sich bringt.
Dass das „"untere[] Drittel der Gesellschaft" es schaffen wird, die "Kluft [zu] überbrücken", die sich zwischen ihm und "dem Milieu der akademischen Linken seit Längerem schon auftut", halte ich übrigens für ausgesprochen unwahrscheinlich. Es müsste schon die intellektuelle Linke sein, die sich bequemt. Nach unten gibt es schließlich keine Leistungsgrenzen. Die Linke hat also nur eine Wahl: Entweder gibt sie ihren Führungsanspruch auf, oder sie wird nie wieder jemand führen können. Klingt paradox? das weiß ich auch. Ist aber alles, was noch nicht gescheitert ist an Theorie.
"Wer wirklich was verändern wollte, der müsste seine Identität loslösen von der Machtfrage."
Ist der Satz von Ihnen? Wenn ja, dann mein Glückwunsch - mit der klügste 2-Zeiler in der politischen Debatte seit langem.
"...nicht zuletzt aber auch die kulturelle Kluft, die sich zwischen dem unteren Drittel der Gesellschaft und dem Milieu der akademischen Linken seit Längerem schon auftut. Solange Letztere ihre Identität und ihr Gefühl moralischer Überlegenheit nicht zuletzt aus der Abgrenzung gegenüber der Lebensweise und den Werten dieser Bevölkerungsschichten gewinnt, wird diese Kluft kaum zu überbrücken sein."
Yepp.
Zum 75. Jahrestag der DDR-Gründung tritt der einstige SED-Chef Egon Krenz in Berlin auf. Für Russland findet er lobende Worte, für die Ampel nicht.
Debatte Rechtspopulismus in Europa: In die Identitätsfalle getappt
Die Rechten brachten den „kleinen Mann“ zurück in die Politik. Die Linke hat darauf keine Antwort. Eine Replik auf Christian Volks taz-Essay.
Identität ist manchmal ganz schön Käse Foto: dpa
Dirk Jörke und Nils Heisterhagen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wie zuvor schon mit großem Echo Mark Lilla in der New York Times, werfen der postmodernen akademischen Linken vor, mit ihrer liberalen Identitätspolitik, ihrer Vielfaltseuphorie und ihrem Insistieren auf politisch korrekter Sprache die soziale Frage verabschiedet und damit die spektakulären Erfolge des Rechtspopulismus mit verschuldet zu haben. Christian Volk konterte diese Kritik in der taz vom 25./26. Februar mit einem zur Sentenz verkürzten Adorno-Zitat: Der normative Kern linken Denkens sei nicht soziale Gerechtigkeit, sondern „die Idee einer freien Gesellschaft“.
Ob man derart essenzialistisch über „den normativen Kern linken Denkens“ diskutieren sollte, sei dahingestellt. Das Statement klingt jedenfalls ein bisschen wie „Freiheit statt Sozialismus“. Für die Jüngeren unter den LeserInnen: Das war die wichtigste Parole der CDU bei der Bundestagswahl 1976. Und Adorno wird es auch nicht gerecht. Dieser ist nämlich noch so weit Marxist, dass er in seinen Reflexionen zu Freiheit und Unfreiheit in der „Negativen Dialektik“ ausführt, die Freiheit des Individuums in der bürgerlichen Gesellschaft sei „primär die eines solchen, das eigene Zwecke verfolgt“. Und im Übrigen setze sich „über den Kopf der formal freien Individuen das Wertgesetz durch“.
Dieser gesellschaftskritische Hinweis auf verselbstständigte Handlungsfolgen in einer ökonomischen Konkurrenzgesellschaft ist über Fragen der Adorno-Exegese hinaus nicht ganz ohne Bedeutung für die publizistisch ausgetragene Kontroverse zwischen Jörke und Volk. Er belegt zum einen, dass Adorno, auch wenn er von Freiheit spricht, kein Liberaler war. Darüber hinaus deutet er an, dass eine Antidiskriminierungspolitik, die für die Gleichstellung benachteiligter Gruppen eintritt, nicht unbedingt quer liegen muss zur Unterordnung der Gesellschaft unter die vermeintlich objektiven Zwänge der kapitalistischen Ökonomie.
Tatsächlich haben die New Democrats der beiden Clintons in den USA, New Labour unter Tony Blair in Großbritannien und die deutschen Sozialdemokraten seit Schröder es bestens verstanden, die Weichenstellungen zur Deregulierung der Finanzmärkte und der arbeitsmarktpolitischen Anpassungsreformen als alternativlose Modernisierung wirkungsvoll zu entpolitisieren, während sie gleichzeitig versuchten, ihre Wählerbasis durch die Öffnung gegenüber frauenpolitischen Forderungen sowie den Rechten kultureller und sexueller Minderheiten zu verbreitern.
Die Macht der kleinen Leute
Dieses Bündnis zwischen ökonomischen und kulturellen Liberalen ist in Großbritannien und den USA an seiner Kehrseite gescheitert, nämlich an der gesellschaftlichen und politischen Marginalisierung derjenigen, die sich als die eigentliche Basis der Gesellschaft sehen, der sogenannten kleinen Leute. Sie sind von Rechtspopulisten in den politischen Raum zurückgebracht worden, und im Ergebnis werden nun Ökonomie und soziale Frage von rechts (re)politisiert. Heute demonstrieren Theresa May in Großbritannien und Donald Trump in den USA, dass die ökonomische Globalisierung nicht nach naturgesetzlichen Notwendigkeiten abläuft, sondern – so oder so – politisch gesteuert wird.
Anders gesagt: Die Politik meldet sich zurück, aber nicht als Primat der Demokratie über die Ökonomie, sondern in Gestalt des Populismus und des autoritären Nationalismus.
Politik, die vor allem auf Identitäten setzt, eröffnet keine gemeinsamen Handlungsfelder
Insofern haben Jörke und andere recht: Die Linke ist in die Falle der Identitätspolitik gelaufen und hat das Feld gesamtgesellschaftlicher und insbesondere wirtschaftspolitischer Alternativen dem Rechtspopulismus überlassen. Weniger überzeugend ist allerdings der Vorschlag von Jörke und Heisterhagen, eine Moralisierung der Politik durch eine andere zu ersetzen und zu glauben, der Rechtspopulismus ließe sich allein durch die erneute Dramatisierung „sozialer Gerechtigkeit“ wirkungsvoll bekämpfen.
Hier macht Volk in seinem taz- Beitrag einen wichtigen Punkt: Die Mobilisierungserfolge der Rechtspopulisten sind nicht zuletzt auf ihre Fähigkeit zurückzuführen, durch die Entgegensetzung von korrupten Eliten und „wahrem“ Volk ein vermeintlich handlungsfähiges kollektives Subjekt zu konstituieren. Die Linke spricht zwar gern und oft von „empowerment“, aber eine Politik, die in erster Linie auf die Affirmation ethnischer und sexueller Identitäten setzt, kann keine gemeinsamen Handlungsperspektiven eröffnen. Im Gegenteil, sie wird, wie es in den USA geschah, eine Identitätspolitik der kleinbürgerlichen Mehrheitsgesellschaft provozieren.
So sind es seit Längerem schon die Rechtspopulisten, die denjenigen, die sich gesellschaftlich und politisch an den Rand gedrängt und kulturell verachtet fühlen, Aufwertung und politische Wirkung in Aussicht stellen.
Zurück im politischen Raum
Etwas Vergleichbares kann aufseiten der politischen Linken nicht durch die Forderung nach einer längeren Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I entstehen. Die Rückkehr der sogenannten Modernisierungsverlierer in den politischen Raum wird nur dann nicht dem Rechtspopulismus zugute kommen, wenn es gelingt, auf der Ebene der politischen Repräsentation eine gesellschaftspolitische Alternative sichtbar zu machen, die diese Gruppen einschließt.
Dazu bräuchte es mehr als eher kosmetische Korrekturen an der Politik marktkonformer Strukturreformen. Dazu bedürfte es einer Wiederbelebung des gesellschaftsverändernden Anspruchs der Politik und einer Neuformulierung allgemeiner, gemeinwohlorientierter Ziele, mit denen der rechtspopulistische Volksbegriff herauszufordern wäre.
Dem steht leider viel entgegen: die Unklarheit über die Zukunft Europas, die Frage nach der wirtschaftspolitischen Rolle des Nationalstaats, nicht zuletzt aber auch die kulturelle Kluft, die sich zwischen dem unteren Drittel der Gesellschaft und dem Milieu der akademischen Linken seit Längerem schon auftut. Solange Letztere ihre Identität und ihr Gefühl moralischer Überlegenheit nicht zuletzt aus der Abgrenzung gegenüber der Lebensweise und den Werten dieser Bevölkerungsschichten gewinnt, wird diese Kluft kaum zu überbrücken sein.
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Kommentar von
Winfried Thaa
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