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Kolumne KapitalozänAnleitung zum Trotzdem-Glücklichsein

Wut auf das System kommt nur noch von rechts? So ein Quatsch. Alles nur geklaut. Scheißen Sie auf die Populisten und: Lachen nicht vergessen.

Vergessen Sie den und die anderen Idioten

K ürzlich wurde ich fast Opfer von Rechtspopulisten. Hatte mir gerade einen Podcast über deren Rhetorik angehört und meine Hirnwindungen schaukelten sich in Rage.

Da krakeelte immer noch Donald Trump im Kopf, Frauke Petry beim lakonischen Hitlerverharmlosen, Marine Le Pen brüllt eine aufgeheizte Menge an, Norbert Hofer fabuliert was von Völkerwanderung, vor meinem geistigen Auge traf ich sie alle, um ihnen mal so richtig, also, so richtig… nein, nicht, um ihnen so richtig die Fresse zu polieren. Das käme mir nie in den Sinn. Sondern, um ihnen so richtig die Meinung zu trompeten.

Tja, und schon bin ich an der Kochstraße gedankenverloren bei Rot über die Ampel gelatscht und fast von einem Touristenbus überfahren worden.

Kennen Sie das? Wenn es einem Sinn und Verstand verschlägt, angesichts dieser Idiotie? Massen von Menschen wünschen sich Stacheldraht und Grenzen zurück, wegen folgender Predigt: Wir sind vom Islam, Flüchtlingen und korrupten Eliten bedroht. Die Regierenden samt Medien vertuschen und lügen. Nur mit uns gibt es Wahrheit, Sicherheit, Wohlstand und weiße Nachbarn.

Das ist das Kapitalozän

ist ein eigenes Erdzeitalter. In dieser Kolumne geht es ums Überleben in selbigem. Vielleicht kennen Sie bereit das Anthropozän. Super Palaverthema. Wie die Kreidezeit, das Jura oder das Paläoproterozoikum, so ist auch das Anthropozän ein eigenes Erdzeitalter. Es besagt, dass die Menschheit durch Acker- und Bergbau, durch Städte, Atombomben und Straßen die Erde so sehr umgegraben hat, dass man das noch in 1000 Millionen Jahren im Gestein erkennen wird.

Das Kapitalozän ist die linksökologische Erweiterung des Anthropozäns. Demnach ist es nicht der Mensch an sich, der Ánthropos, der den Planeten geologisch verändert. Nein, es sind die Kapitalisten. Schließlich können, global gesehen, die meisten Menschen nichts für die Naturzerstückelung.

Wie kommt man dem bei? Nun, man schlägt den Feind am besten mit den eigenen Waffen. Argumentieren kann man mit den Leuten nicht, also setze ich eine noch kürzere, noch simplere Predigt dagegen. Sie lautet: Scheißen Sie auf Rechtspopulisten.

Werden Sie wieder Herr über die eigenen Gedanken. Bei mir geht das so: Ich bin ein leidenschaftlicher Kritiker der herrschenden Verhältnisse. Ich ärgere mich über schlecht recherchierte, manipulative Artikel und arrogante Klugscheißer in den Medien. Ich ärgere mich über Lobbyisten in Brüssel und Berlin, über Konzerne, die statt Steuern lieber Anwälte bezahlen. Ich ärgere mich über globale Ungerechtigkeit, über einen zügellosen Kapitalismus, der Staaten und Arbeitnehmer gegeneinander ausspielt – man nennt es Wachstum.

Ich ärgere mich, dass niemand Großbanken in gesunde Einzelteile zerlegt. Ich halte die EU für undemokratisch; ihr fehlt das Solidarische; sie verrät meine Idee von Europa. Ich halte Jean-Claude Juncker für einen blasierten Neoliberalen ohne soziale Kompetenz.

Wir domestizieren uns nicht, weil rechte Ideologen ihren braunen Mist mit geklauten Splittern unserer Gedanken garnieren.

Unser Steuersystem ist ungerecht, weil es die Reichen reicher und die Armen ärmer macht. Es ist zum Kotzen, dass Kapital freier als Menschen ist. Dass Mieten explodieren und Innenstädte zu Maklerträumen in besten Wohnlagen mutieren. Mich nervt, dass Wirtschaftsverbände in einem Almosen von Mindestlohn den Untergang Deutschlands sehen.

Darüber ärgere ich mich, und das Ding ist: Rechtspopulisten würden alles sofort unterschreiben (außer die Sache mit der globalen Ungerechtigkeit). Auch Trump und die AFD sind gegen Freihandelsabkommen wie TTIP und Ceta. Gut, die AFD ist gleichzeitig marktradikal. Das mag logisch widersprüchlich sein, aber wen kümmert's, wenn man eh die Wahrheit gepachtet hat.

Aber wissen Sie was? Drauf geschissen. Wir kritisieren, was wir für ungerecht halten. Wir domestizieren uns nicht, weil rechte Ideologen ihren braunen Mist mit geklauten Splittern unserer Gedanken garnieren.

„Wir“, das sind alle, die wissen, dass es keine einfachen Antworten gibt. Alle, die nicht hinter jedem Artikel, der ihrem Weltbild widerspricht, eine Verschwörung vermuten. Alle, die wissen, dass eine freie Gesellschaft ein Tanz der Irrtümer ist; einfach mal drüber lachen.

Ich meine alle, die es ablehnen, wenn Religion Homosexuelle oder Frauen unterdrückt, egal welchem Gott sie huldigt. Alle, die durchschauen, dass Rassismus auch Rassismus ist, wenn er anhand von territorialer Herkunft und Religion ausgrenzt und erst dann auf das Äußere zu sprechen kommt.

Es gibt keine sinnvolle rechte Kapitalismuskritik. Für die Rechtspopulisten ist Kapital eine Chiffre für offene Grenzen und gesellschaftliche Liberalität, die es generell abzuschaffen gilt. Aus Kritik an Geld­-Eliten wird eine Verschwörung gegen das Volk, das weiß und patriarchalisch ist.

Nein, lassen Sie sich Ihre Wut und die Lust daran, eine bessere Welt zu fordern, nicht nehmen. Kritisieren Sie nach Herzenslust das System, den Kapitalismus, wie Sie es auch nennen. Nur nicht ständig nach rechts schielen. Besser nach links. Das kann, das hab ich bei meinem letzten inneren Wutanfall über rechte Idioten gelernt, auf jedem Fall beim Überqueren einer Straße sehr ratsam sein.

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Ingo Arzt
ehem. Wirtschaftsredakteur
Beschäftigte sich für die taz mit der Corona-Pandemie und Impfstoffen, Klimawandel und Energie- und Finanzmärkten. Seit Mitte 2021 nicht mehr bei der taz.
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2 Kommentare

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  • Danke für den Tip, Herr Arzt. Ich fürchte bloß, wenn ich da nicht schon selber drauf gekommen wäre, würde Ihr Statement mir rein gar nicht helfen. :-))

     

    Ob ich mich über Nazi-Trottel aller Gesellschaftsetagen ärgere oder über taz-Journalisten, die mir zwar ihre Lieblingslösung predigen (wer hat, der kann), dann aber (ätsch!) nicht sagt wollen, wie ganz genau auch ich sie praktizieren kann und schon gleich gar nicht helfen bei der Umsetzung des guten Rates, ist schlussendlich beinah egal. Der Bus fragt nicht, WAS du dir grade denkst, wenn er dich überrollt. Er fragt nur, OB. Im Übrigen tut es vermutlich ganz genau so weh, wenn es so richtig schöne Träume sind, um derentwillen man nichts anderes mehr registriert.

     

    Trotzdem: Als Autofahrer weiß ich ganz genau, dass man den Blick da hin zu richten hat, wohin man wirklich fahren will, nicht auf die Kirschbäume am Straßenrand, Blüten und Kreuze hin oder auch her. In sofern haben Sie natürlich völlig recht: Scheiß drauf! Und weiter geht’s. Zum Träumen oder Ärgern ist noch immer Zeit genug, wenn man die Autotür erst mal geschlossen hat. Von außen, wohlgemerkt.

  • Ich hoffe mal das war auch jedem vorher klar, zumindest denjenigen, die taz lesen.

    Gute Ansprache, aber ein Punkt:

     

    "Ich meine alle, die es ablehnen, wenn Religion Homosexuelle oder Frauen unterdrückt, egal welchem Gott sie huldigt."

     

    Nicht die Religion grenzt aus, sondern Einige der Menschen, die ihr frönen.

    Der Sozialismus macht auch keine Diktatur, sondern die ihn ausführenden Menschen.