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Kolumne „Heult doch!“Spießig sind die anderen

Anna Klöpper
Kolumne
von Anna Klöpper

Als der große Sohn unserer Autorin schulpflichtig wurde, ist sie umgezogen, vom Wedding nach Pankow – mitten rein in den Polyesterpullover-Sperrbezirk.

Spielt schön, Kinder. Foto: dpa

D rei Laufradminuten von unserer Wohnung entfernt gibt es einen netten Spielplatz. Die Kinder dort haben im Winter alle die gleichen Schneeanzüge von dieser teuren finnischen Marke an, und jetzt, im Frühjahr, rollern sie alle mit den gleichen Laufrädern eines deutschen Herstellers vor. Ihre Eltern sind Lehrer, Juristen, Architekten, Ärzte, und wenn sie prekär beschäftigt sind, dann wenigstens kreativ. Die Smalltalk-Themen: der Job (selbstverständlich hat man einen), die Grundschule im Kiez („Taugt die denn was?“), die Nanny („Taugt die denn was?“), Kita-Klein-Klein („Ich hab gehört, die nehmen sogar schon die Zweijährigen mit auf Kitafahrt!“).

Nirgendwo wird das soziale Kastensystem krasser sichtbar als im großstädtischen Sandkasten. Zeigt her eure Stoffwindelhosen (oder eure KiK-Pullover) – und ich sage euch, ob ihr später auf die Grundschule im zwar hippen, aber armen Kiez geht oder rechtzeitig dorthin umzieht, wo „die Mischung stimmt“.

Als der Große, er ist jetzt sieben, schulpflichtig wurde, sind wir von Wedding nach Pankow gezogen. Mitten hinein in den Polyesterpullover-Sperrbezirk. Offiziell sind wir umgezogen, weil wir ein Kinderzimmer mehr wollten, für den Kleinen, der inzwischen zwei ist. Tatsächlich sind wir umgezogen, weil wir Schiss hatten, den Großen in eine der Grundschulen im Soldiner Kiez einzuschulen. Mein Mann hatte mit einer Weddinger Lehrerin gesprochen, die ihren Job zum Kotzen fand. Danach war die Sache für ihn durch.

Dabei sind die Schulen im Soldiner Kiez gar nicht so übel: Mein erster Text für diese Zeitung handelte von einer (Akademiker-)Elterninitiative, die ihre (deutschen) Kinder im Kiez einschulen lässt. Obwohl 90 Prozent der Schüler dort Migrationshintergrund haben und trotz der vorherrschenden Annahme unter (kiezflüchtigen) Eltern, dass die Lehrer hier vor allem damit beschäftigt seien, die Kinder vom Prügeln abzuhalten.

Das Bauchgefühl sagt: Pankow

Ich hatte für meinen Text mit Schulleitungen gesprochen, die einige Vorurteile wieder geraderückten, und diagnostizierte allen wegziehenden Eltern ein ungesundes Maß an Irrationalität. Sie würden nur auf ihr Bauchgefühl achten und den Kopf ausschalten. Zwei Jahre später schalteten wir den Kopf aus und zogen nach Pankow.

Doch selbstverständlich galt dabei: Spießig sind immer die anderen.

Eine Einladung zum Kindergeburtstag vom Fernsehkind: Alarm im Polyester-Sperrbezirk

Ich bekomme mitunter Zweifel, ob ich nicht unfair bin. Ein Treffen mit S. auf dem Spielplatz richtet meine Feindbilder wieder auf. S. verbietet ihrem Sohn, der in derselben Klasse ist wie der Große, auf den Geburtstag von M. zu gehen. M. ist, zusammen mit L., so etwas wie der Quotensozialfall an unserer Schule. Die beiden tragen manchmal Jogginghose in der Schule und verprügeln sich ab und zu gegenseitig ein bisschen. S. hegt außerdem den Verdacht, dass „der M. den Nachmittag vorm Fernseher hängt“. Deshalb darf ihr Sohn auch nie zum Spielen zu M.

Jetzt steht S. auf dem Spielplatz und ist ernsthaft besorgt. Ihr Sohn hat eine Geburtstagseinladung von M. bekommen und will natürlich hin. S. muss ihm erklären, warum das nicht geht. „Das macht mir alles schon Sorgen“, sagt S. Ich hoffe kurz, sie meint die Unterhaltung, die wir gerade haben. Aber nein, dass ihr Sohn überhaupt eine Einladung von M. bekommen hat, bereitet ihr Kopfzerbrechen. „Mit wem spielt der denn auf dem Schulhof?!“

„Warum bist du so verspannt?“

Am Abend bringt auch der Große eine Einladung zu M.s Geburtstag nach Hause. „Unser Sohn geht da auf jeden Fall hin“, rufe ich, als ich nach Hause komme, und halte meinem Mann die Einladungskarte unter die Nase. „Ja, klar“, sagt er, und schaut mich etwas besorgt an. „Und warum genau bist du jetzt so verspannt?“ – „Verspannt? Wenn hier einer locker ist, dann ich! Geh du bloß mal auf den Spielplatz und unterhalt dich mit S.“, sage ich.

Mein großer Sohn war auf dem Geburtstag. Er hat genervt die Augen verdreht, als ich ihn gefragt habe, was sie denn so gemacht haben. „Wir haben Kuchen gegessen und gespielt.“ Klar, blöde Frage. Was man eben so macht auf einem Kindergeburtstag.

Der Sohn von S. war nicht da.

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Anna Klöpper
Leiterin taz.eins
Seit 2011 bei der taz. Leitet gemeinsam mit Sunny Riedel das Ressort taz.eins. Hier entstehen die ersten fünf Seiten der Tageszeitung, inklusive der Nahaufnahme - der täglichen Reportage-Doppelseite in der taz. Davor Ressortleiterin, CvD und Redakteurin in der Berliner Lokalredaktion. Themenschwerpunkte: Bildungs- und Familienpolitik.
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3 Kommentare

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  • Das eigene Kind aus der vermuteten Brennpunktgegend reißen, aber später über die spießige Mutti aus Pankow moppern. Wer das eine will, muss das andere mögen (oder so).

  • Soviel zum Thema "Inklusion":

     

    Die Sonderschulen, die man als erstes auflösen müsste, sind die sog. E-Schulen (früher nannte man das Schule für Schwererziehbare, heute ist es die "Förderschule für emotionale und soziale Entwicklung").

    Die sind meiner Erziehererfahrung nach eben gerade wegen der fehlenden Kontaktmöglichkeiten zu anderen Schülern äußerst kontraproduktiv.

     

    Wenn die Inklusion kommt, dann werden die Autorin und Frau S. noch sehr weit wegziehen müssen.

    Wieviel Sonderpädagogen und Heilerzieher arbeiten eigentlich im Durchschnitt an einer Berliner Grundschule? Offensichtlich nicht genug.

  • Kann es vielleicht sein, dass es dieser S. und ihren Gesinnungs-Genoss*innen einfach an Selbstvertrauen fehlt?

     

    Ich meine: Hätte man sie nicht im Sinne einer angeblich unerlässlichen Abgrenzung nach "unten" entgegen ihren natürlichen Neigungen und Talenten zu Lehrern, Juristen, Architekten, Ärzten oder doch wenigstens brotlosen Kreativen ausbilden und statt dessen hin und wieder im Kik-Pullover und verbeulter Jogginghose mit den M.'s ihrer Schulklasse (die damals niemand auch nur in Gedanken als "Quotensozialfall" bezeichnet hätte) spielen lassen, wären diese Eltern vielleicht mutiger. Sie hätten dann – im Rahmen direkter Vergleiche mit Anderen – die Erfahrung machen können, dass sie erheblich mehr können als nur Kuchen essen und spielen. Zugleich hätten sie sich seltener überfordert fühlen müssen, sodass sie ein gesundes Selbstvertrauen hätten entwickeln können. Dermaßen ausgerüstet hätten sie womöglich weniger Angst davor, (auch) als Erzieher zu versagen bzw. versagt zu haben. Anlässlich vermeintlich unmoralischer Angebote wären sie dann womöglich etwas weniger "verspannt". Sie wüssten ja, dass "Quotensozialfälle" keine ernsthafte Gefahr darstellen können für ihre hoffnungsvollen Sprösslinge. Weil sie als Eltern mindestens so sehr geliebt werden, wie diese, und also mindestens genau so viel zu sagen haben. :-)

     

    Hätte, hätte, Fahrradkette, werden jetzt womöglich Viele sagen. Aber ich weiß, wovon ich rede. Nach der Wende hatten auch mein Mann und ich eine Zeitlang das Gefühl, wir könnten den Anforderungen der Gesellschaft womöglich nicht gewachsen zu sein. Nie vorher und auch nie wieder danach waren wir vergleichsweise spießig. Leider sind genau in der Zeit unsere Kinder klein gewesen. Man merkt es heute noch, bilde ich mir manchmal ein. Immerhin scheinen wir das Schlimmste dadurch verhindert zu haben, dass wir ihnen nie Vorschriften gemacht haben in Bezug auf ihren "Umgang". Unser Vertrauen haben sie meines Wissens bis heute nicht ein einziges Mal enttäuscht.