Kolumne Habibitus: Ein Remix deutscher Drecksmentalität
Gegen R'n'B-Sänger R. Kelly werden massive Missbrauchvorwüfe laut. Hierzulande gibt er trotzdem Konzerte. Typisch Deutschland.
ber mehrere Jahrzehnte hinweg missbrauchte der RnB-Musiker R. Kelly seine Macht dafür, (vorwiegend minderjährige, Schwarze und aus armen Familien kommende) junge Frauen in Abhängigkeitsverhältnisse zu bringen. Er übte an ihnen psychische, physische und sexualisierte Gewalt aus – mit dem Versprechen, sie groß herauszubringen.
Diese Vorwürfe sind nicht brandneu, sie wurden einfach von der breiten Öffentlichkeit ignoriert und durch gerichtliche Verfahren trotz aussagekräftiger Beweise negiert. Das zeigt die neue Dokureihe „Surviving R. Kelly“: In über 50 Interviews sprechen Betroffene über die Freiheitsberaubung, die Körperverletzung, den psychischen Missbrauch und die sexualisierte Gewalt durch R. Kelly.
In Post-#metoo-Zeiten wird eine öffentliche Auseinandersetzung mit R. Kellys Verbrechen unumgänglich. Dass die Konsequenzen für ihn derzeit von Musiklabeln (Sony) bis zu Streamingdiensten (Spotify) und anderen Musiker_innen (Chance The Rapper, Lady Gaga) so breit verhandelt werden, ist wieder einmal Schwarzen Feminist_innen zu verdanken. Sie haben zwar auch #metoo initiiert, doch assoziieren die meisten Leute den Hashtag mit weißen Schauspielerinnen. Im diesem konkreten Fall sind die Betroffenen einfach nicht nur Schwarze Frauen, sondern auch solche, die von keinem Management und keinen Top-Anwält_innen unterstützt werden.
In den USA sind die Proteste gegen R. Kelly unter #MuteRKelly, initiiert von Tarana Burke (#metoo) und Oronike Odeleye, derzeit groß genug, um Konzerte skandalisieren zu können. Aber Deutschland wäre nicht Deutschland, wenn nicht zwei seiner drei Liveauftritte hier stattfinden würden – Protest gibt es bisher in Form der Petition #RKellyStummschalten.
Was daran so typisch deutsch ist? Ganz einfach: Die Erfahrungen von Überlebenden sexualisierter Gewalt werden strukturell wie institutionell nach wie vor bagatellisiert. Die körperliche Selbstbestimmung von Menschen, die keine cis-Männer sind, hat hier nicht wirklich Priorität. Und die Gewalt, die Schwarze Menschen und Personen of Color erfahren – insbesondere aber Schwarze Frauen –, geht den meisten (weißen) Deutschen am Arsch vorbei.
Dass R. Kelly hier Konzerttermine mit hoher Resonanz planen kann, ist ein unterirdischer Remix aus deutscher Drecksrealität. Man scheitert hier daran, #metoo auf eine Art zu diskutieren, die Überlebende sexualisierter Gewalt nicht als Lügner_innen darstellt. Aber auch innerhalb der Musikbranche: Flers Misogynoir. Außerdem scheitert Deutschland daran, den Nazi-Paragraf 219 (und 219a) zu beseitigen. Und dann das Desinteresse, die Morde an Oury Jalloh und Amad Ahmad, aber auch den NSU-Komplex und weitere rechtsextreme Strukturen aufzuklären.
Wessen Ängste ernst genommen werden, wird hier deutlich. Ruft man sich diese wenigen Beispiele von vielen ins Gedächtnis, so fragt man sich: Wo sonst würden R. Kelly-Konzerte leger angekündigt werden, wenn nicht in Deutschland, dem Ekelbaron?
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