Kolumne Gott und die Welt: Prophetische Rede
US-Außenminister John Kerry hat nichts anderes verkündet als das absehbare Ende des jüdischen Staates. Ein solcher kann nur demokratisch sein.
W er die Rede des scheidenden US-Außenministers John Kerry zum Israel-Palästina-Konflikt als verspätete politische Intervention deutet und sie deshalb kritisiert, der missversteht sie.
Diese Rede war ein Vermächtnis und gehört deshalb nicht dem Instrumentarium außenpolitischen Handwerks, sondern der Gattung prophetischer Rede an. Prophezeiungen aber sind etwas radikal anderes als mehr oder minder genaue Prognosen.
So warnte Homers Kassandra die Trojaner vor dem hölzernen Pferd der Griechen und sagte damit zugleich den Untergang Trojas voraus, so verurteilten die Propheten der hebräischen Bibel das gottlose Treiben der Könige Israels und Judas, um gelegentlich auch Trost zu spenden.
Prophezeiungen sind keine Prognosen, ihre Zeitangaben sind nicht exakt, auf Prophezeiungen würde man keine Wetten abschließen – gleichwohl ergehen sie meist dann, wenn ein Schicksal besiegelt ist.
Wohlmeinende, politisch aufgeschlossene Beobachter im heutigen Staat Israel haben Kerrys Rede zu Recht als eine im besten Sinne zionistische Rede gelesen, als eine Rede, die sich machtvoll gegen die Selbstaufhebung des Zionismus in der Besatzungsherrschaft über das Westjordanland wendet. Liest man seine Rede indes als Prophezeiung, so hat Kerry nichts anderes verkündet als das absehbare Ende des jüdischen Staates, der, wenn überhaupt, nur als demokratischer Staat existieren kann.
Ende dieses Monats gedenkt man des 205. Geburtstags – nicht eben eine besonders eingängige Jahreszahl – von Moses Hess, eines Kampfgenossen, aber auch Gegners und Rivalen von Karl Marx. 1812 geboren, als junger Mann Kommunist, kehrte sich Hess angesichts von Antisemitismus und absehbarem Misserfolg vom Kommunismus ab und veröffentlichte im Alter von fünfzig Jahren, 1862, seine lange Zeit unbeachtete Schrift „Rom und Jerusalem, die letzte Nationalitätsfrage“.
Vor dem Hintergrund der polnischen und ungarischen Unabhängigkeitsbewegungen, des Wiederentstehens eines (republikanischen) Italiens und eines modernen Griechenlands erkannte Hess die Wiedergeburt jener Völker, die Europa geprägt haben: der Hellenen, der Römer und: der Juden! Mehr noch: In fast unheimlicher Weise sah Hess einen verheerenden Rassenkrieg heraufziehen, indes:
„Wie nach der letzten Katastrophe des organischen Lebens, als die geschichtlichen Racen zur Welt kamen … so wird auch nach der letzten Katastrophe des socialen Lebens, nachdem der Geist der geschichtlichen Völker zur Reife gelangt ist, unser Volk wieder gleichzeitig mit den anderen Geschichtsvölkern seinen Platz in der Weltgeschichte einnehmen.“
Wie Hegel, den Hess durchaus zur Kenntnis genommen hatte, war er der Überzeugung, dass es geschichtslose Völker gäbe; Völker, über die Europa, namentlich Frankreich, in zivilisationsmissionarischer Absicht verfügen müsse.
So widmete er sein Buch „Den hochherzigen Vorkämpfern aller nach nationaler Wiedergeburt ringenden Geschichtsvölkern“ und plädierte daher für ein von Frankreich unterstütztes jüdisches Staatswesen in den ans Mittelmeer grenzenden Regionen des Osmanischen Reiches.
Irreversible Besiedelung
Der Verwirklichung dieser Vision ging bekanntlich eine Katastrophe voran – auch sie von Hess erahnt. Entstanden doch nach der letzten Katastrophe „des socialen Lebens“, des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs, nicht nur die UN-Menschenrechtskonvention, sondern auch der Staat Israel, der seit bald 50 Jahren das Gebiet eines vermeintlich geschichtslosen Volkes, der palästinensischen Araber, besetzt und irreversibel besiedelt hat.
Damit – und das wollte Kerrys prophetische Rede zum Ausdruck bringen – ist das Ende des jüdischen Staates eingeläutet. Und zwar deshalb, weil ein jüdischer Staat, soll er überhaupt seinen Namen verdienen, nur demokratisch sein kann. Der sich jetzt irreversibel abzeichnende Apartheid- oder „Palästinustan“-Staat entspricht dem jedoch nicht.
Die Weisen Israels, die Rabbanim, die Rabbinen, mussten sich im Lauf der jüdischen Geschichte immer wieder mit politischen Messianisten auseinandersetzen, die – durchaus wohlmeinend – das jüdische Volk ins Unglück geführt haben. So schon in der späten Antike. Damals setzte sich eine rabbinische Auslegung unter Bezug auf das „Hohelied Salomos“ mit den „drei Schwüren“ auseinander.
Tatsächlich finden sich im babylonischen Talmud, in einem Traktat über Heiratsurkunden (Ketubot 111 a), die warnenden Forderungen, dass das Volk Israel nicht geschlossen aus der Diaspora ins Land Israel ziehen, sich dieses Volk nicht gegen die Völker auflehnen sowie dass die Völker das jüdische Volk nicht übermäßig knechten mögen. Man mag das für defätistisch und opportunistisch halten – politische Klugheit ist ihm nicht abzusprechen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“