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Kolumne Gott und die WeltA state is born

Kosovo, Katalonien, Palästina: Der Trend geht hin zum Nationalstaat. Der Gedanke, dass neue Völker entstehen, scheint den Zionisten bis heute fremd.

Das palästinensische Volk wurde durch die UN als Rechtssubjekt anerkannt. Bild: dapd

D ie Zeit der Nationalstaaten als rationales Organisationsprinzip ist, darüber sind Politologen weitestgehend einig, angesichts der Globalisierung objektiv überholt. Das ändert nichts daran, dass gleichwohl ständig neue Nationalstaaten entstehen oder im Entstehen begriffen sind.

Die Tschechoslowakei zerfiel in Tschechien und die Slowakei, das Kosovo wurde ein eigener Staat, in Katalonien und Schottland stehen Volksabstimmungen bevor, mancher CSU-Kämpe träumt gar von einem unabhängigen Bayern, und vor einigen Tagen nun hat die Weltgemeinschaft einen palästinensischen Staat anerkannt.

Manche tun die Aufnahme Palästinas mit „Observer Status“ in die UN als läppische Symbolik ab, anders als die wütende israelische Regierung und die jubelnden Menschen im Westjordanland. Mit der Aufnahme nämlich wurde das palästinensische Volk als Rechtssubjekt anerkannt.

Bild: imago/Horst Galuschka
Micha Brumlik

ist Professor für Erziehungswissenschaften an der Universität Frankfurt am Main. Von 2000 bis 2005 leitete er das dortige Fritz-Bauer-Institut.

Mit der Aufnahme wird zudem das Mantra der Regierung Israels, dass ein Staat Palästina ausschließlich aus Verhandlungen mit Israel hervorgehen dürfe, Lügen gestraft. Denn: Ein Staat Palästina, der ausschließlich vom guten Willen einer israelischen Regierung abhängig ist, wäre kein politisches Subjekt eigenen Rechts, sondern bestenfalls ein gnädig geduldeter Vasallenstaat.

Erst jetzt, wo Palästina durch die Staatengemeinschaft anerkannt und damit als Rechtssubjekt konstituiert wurde, kann es auf Augenhöhe mit dem Staat Israel verhandeln. Tatsächlich wirkt hier die Dialektik der Anerkennung: Die israelische Regierung scheint in ihrer Wut gar nicht bemerkt zu haben, dass die von ihr angemahnte Anerkennung Israels durch Palästina ihr volles Gewicht ja nur durch ein im wahrsten Sinne des Wortes selbst-ständiges, nicht abhängiges Palästina erhalten kann. Anerkannt im vollen Sinne wird man nur von Gleichen.

Die letzte Nationalitätenfrage

Moses Hess war ein Zeitgenosse und zeitweiliger Mitstreiter von Karl Marx, der, Jahrzehnte vor Theodor Herzl, angesichts des Antisemitismus vom Sozialisten zum Zionisten wurde. 1862, in den USA tobte der Bürgerkrieg, in Europa wurde unter anderem 1861 unter der Führung des Königshauses von Piemont der neue italienische Nationalstaat gegründet, publizierte Hess sein Buch „Rom und Jerusalem. Die letzte Nationalitätenfrage“.

Darin postulierte er nach der Wiedergeburt Roms nun die Wiedergeburt eines jüdischen Staates: „Auch Jerusalems verwaiste Kinder“, heißt es im Vorwort, „werden Theil nehmen dürfen […] an der Auferstehung aus dem todtenähnlichen Winterschlaf des Mittelalters mit seinen bösen Träumen.“ Hess widmete sein Buch den „hochherzigen Vorkämpfern aller nach nationaler Wiedergeburt ringenden Geschichtsvölkern“.

Wieder-Geburt! Der Gedanke, dass im Laufe der Geschichte auch neue Völker entstehen, dass sie geboren werden und durch Staatsgründung politische Subjektivität gewinnen können, scheint einem breiten Strom des zionistischen Denkens bis heute fremd. Noch Golda Meir war 1969 der Meinung, es gäbe keine Palästinenser.

Was sind Nationalitäten?

Für den Philosophen Hegel, der auch Moses Hess prägte, handelt es sich bei Nationalitäten um „Volksgeister“, um partikulare, beschränkte Einheiten: „Als beschränkter Geist“, schrieb Hegel in der Enzyklopädie, „ist seine Selbständigkeit ein Untergeordnetes; er geht in die allgemeine Weltgeschichte über, deren Begebenheiten, die Dialektik der besonderen Völkergeister, das Weltgericht, darstellt.“

Darauf bezog sich dann Moses Hess, als er sich 1864 noch einmal zu den „Nationalitäten“ äußerte: Spielten diese doch „mit ihrem Vernunftsinstinkte als Fortsetzung des organischen Lebensprozesses eine eben so grosse Rolle im Plane der weltgeschichtlichen Entwickelung der Menschheit wie der tierische Instinkt […] in der Entwickelung der tierischen Spezies.“

Ob der israelischen und der palästinensischen Nationenwerdung ein Vernunftinstinkt innewohnt; wie beide Volksgeister, nun beide zu Rechtssubjekten geworden, in die Weltgeschichte übergehen, ist heute noch ungewiss.

Hannah Arendt, die bezüglich einer zionistischen Staatsgründung schon lange skeptisch war, schrieb im Jahr 1945 in einem Aufsatz unter dem Titel „Zionism reconsidered“: „Sowohl die Juden zu retten als auch Palästina zu retten wird im 20. Jahrhundert nicht leicht sein; daß es sich mit den Kategorien und Methoden des 19. Jahrhunderts erreichen läßt, erscheint zumindest sehr unwahrscheinlich.“ Daran hat sich auch nach der Aufnahme Palästinas in die UN nichts geändert.

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Autor und Kolumnist
1947 in der Schweiz geboren, seit 1952 in Frankfurt/Main. Studium der Philosophie und Pädagogik in Jerusalem und Frankfurt/Main. Nach akademischen Lehr- und Wanderjahren von 2000 bis März 2013 Professor für Theorien der Bildung und Erziehung in Frankfurt/Main. Dort von 2000 bis 2005 Direktor des Fritz Bauer Instituts – Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte des Holocaust. Forschung und Publikationen zu moralischer Sozialisation, Bildungsphilosophie sowie jüdischer Kultur- und Religionsphilosophie. Zuletzt Kritik des Zionismus, Berlin 2006, Sigmund Freud. Der Denker des 20. Jahrhunderts, Weinheim 2006 sowie Kurze Geschichte: Judentum, Berlin 2009, sowie Entstehung des Christentums, Berlin 2010.Darüber hinaus ist er Mitherausgeber der „Blätter für deutsche und internationale Politik.“
Autor und Kolumnist
1947 in der Schweiz geboren, seit 1952 in Frankfurt/Main. Studium der Philosophie und Pädagogik in Jerusalem und Frankfurt/Main. Nach akademischen Lehr- und Wanderjahren von 2000 bis März 2013 Professor für Theorien der Bildung und Erziehung in Frankfurt/Main. Dort von 2000 bis 2005 Direktor des Fritz Bauer Instituts – Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte des Holocaust. Forschung und Publikationen zu moralischer Sozialisation, Bildungsphilosophie sowie jüdischer Kultur- und Religionsphilosophie. Zuletzt Kritik des Zionismus, Berlin 2006, Sigmund Freud. Der Denker des 20. Jahrhunderts, Weinheim 2006 sowie Kurze Geschichte: Judentum, Berlin 2009, sowie Entstehung des Christentums, Berlin 2010.Darüber hinaus ist er Mitherausgeber der „Blätter für deutsche und internationale Politik.“
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10 Kommentare

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  • L
    Luca

    Der Erziehungswissenschaftler Brumlick, der mit seinen postzionistischen Avancen in letzter Zeit zur Genüge klar gemacht hat, dass er eine islamisch dominierte Einstaatenlösung an der Stelle des jetzigen jüdischen Staates haben möchte, ist natürlich der rechte "Fachmann" an dieser Stelle.

  • H
    Harald

    " ... anders als die wütende israelische Regierung ... "

     

    Ja, die israelische Regierung war wütend. Wegen der unsäglichen Hetz- und Gewaltrede Abbas vor der UN GA, die der deutschen Öffentlichkeit beredt vorenthalten wurde.

     

    Der Professor für Erziehungswissenschaften an der Universität Frankfurt am Main scheint in seiner Einseitigkeit gar nicht bemerkt zu haben, daß der UN Beobachterstatus lediglich der PLO verliehen wurde, die nach UN Beschluss als "Palästina" firmiert.

     

    Genial ist dann die Schlussfolgerung Brumliks:

    "Ob der israelischen und der palästinensischen Nationenwerdung ein Vernunftinstinkt innewohnt; wie beide Volksgeister, nun beide zu Rechtssubjekten geworden, in die Weltgeschichte übergehen, ist heute noch ungewiss."

     

    Man muss Brumlik dankbar für seine Offenheit sein, welche den heute in Deutschland üblichen Mainstream zum Thema im Allgemeinen und zu Israel im Besonderen widerspiegelt.

     

    In Ermangelung eines "Vernunftinstinkt" herrscht in diesem Mainstream heute der destruktive Ungeist der 'Äquidistanz'.

     

    Mit dieser "Kategorie und Methode" verschwindet jeglicher Unterschied zwischen einem demokratischen und geordneten Rechtsstaat - und dem auf Vietcong Propaganda Rhetorik aufbauenden Anschlags- und Raketenterror von Terrorbanden.

     

    Ob aber auch die Richter am Haager Gericht dieser Äquidistanz folgen, bleibt abzuwarten. Tun sie es, wäre das Zeitalter Terrors endgültig ausgebrochen.

  • M
    max

    Das ist ja wunderbar, dass gleich die Aasgeier in die Kommentarspalte einfallen und mitteilen, dass es gar keine Palästinenser gibt.

    Erstens ist das Quatsch und zweitens trägt das zur Lösung des Problems nichts bei. Die Menschen dort sind in ihrer Selbstbezeichnung weder von der Zustimmung Israels noch von dem diverser Spinner abhängig, die sich weigern, sie als "Palästinenser" anzuerkennen.

    Das einzige was zählt ist, dass sie da sind und dass sie da wo sie sind zuhause sind. Und wenn Israel oder manch einer, der meint im israelischen Interesse zu sprechen, sie gerne vertrieben sehen würde, dann soll das auch so gesagt werden. Durch Bezeichnungsverweigerung werden sich diese real existierenden Menschen jedenfalls nicht in Luft auflösen.

     

    Dieses "Argument" steht intellektuell auf der selben Stufe wie die Verleugnung von jeglichem Antisemitismus auf arabischer Seite mit dem Verweis darauf, dass auch Araber Semiten sind.

  • A
    Ant-iPod

    Danke, Herr Brumlik - das ist eine interessante Thesensammlung.

     

    Ein Vorschlag: Sie sehen ja anhand der Kommentare hier, wie Ihre Ansichten von einigen aufgenommen werden... was zwar mehr über die Kommentatoren, als über den Sachverhalt aussagt... aber, Sie verfolgen ja eine gewisse Absicht mit Ihrem Beitrag.

     

    Vielleicht könnte man den Kritikern ein wenig den Wind aus den Segeln nehmen, wenn Sie das Problem der Nation anhand der Kurden aufrollen?

    Denn so berechtigt die palästinensischen Forderungen sind und so selbstverständlich deren Anspruch auf Heimat ist - auch die Kurden haben berechtigte anliegen und da wären es dann mal nicht die Israelis, sondern Türken, Araber und Perser, deren Verhalten gegenüber den Kurden in Frage gestellt werden kann.

     

    Das hätte den Vorteil, dass man ohne die mittlerweile peinliche Antisemitismus-Keule, vielleicht einmal nüchtern über die eigentlichen Argumente sprechen könnte.

     

    Ich selbst denke, dass Symbol des Nationalstaates hat zwar eine wichtige, kulturelle und soziologische Bedeutung... in einer immer weiter globalisierten Welt, wird dessen Rolle in den Belangen der Menschen jedoch immer weiter abnehmen. Sehen Sie sich einmal an, wie wenige überhaupt noch ihre Nationalhymne mitsingen wollen/können... außer vielleicht in Spanien ;-)

     

    Mit zunehmendem Wohlstand geht verliert die nationale Identität an Bedeutung, wenn es nicht gerade um Sportereignisse geht.

    Wenn es in der arabischen Welt endlich zu frieden und Interessenausgleich kommt, wird auch dort der Wohlstand steigen - Israel hat da viel einzubringen.

    Es hat eigentlich nur Vorteile, wenn es in einem gemeinsamen Wirtschaftsraum Mitglied ist... aber... es würde - wie in jedem Beispiel - mit einem Verlust nationaler Identität einhergehen.

    Daran ist eigentlich nichts schlimmes... den Regionalpatriotismus wie in Texas oder Bayern ist dadurch ja nicht verboten... aber:

    Es gibt immer noch diejenigen, die einen solchen Verlust an vermeintlicher "Identität" kritisch betrachten und sich genau genommen davor fürchten.

     

    Ich denke - es gibt gar nichts zu befürchten, den israelische Mütter lieben ihre Kinder genauso wie arabische und kurdische.... nicht wahr?

  • L
    lowandorder

    @ …et al.

     

    Habt ihr's nicht 'n bißchen kleiner? Einfach mal den Schaum vom Mund wischen. Danke.

     

    Micha Brumliks Beitrag - und man weiß, warum er Leiter des Fritz Bauer Instituts war. Ja, auch die arabische Welt ist zerstritten. Gewiß. Und bitter genug für die Palestinenser. Die jüdische Welt nicht minder; wenn ich nur die statements amerikanischer Juden zur israelischen Politik nehme.

     

    Jeder juristisch beleckte Mensch weiß, welche Veränderung es gerade im Völkerrecht bedeutet: " a state is born," Das mag man gut oder schlecht finden - es ist fact und das ist entscheidend.

     

    Klug ist auch Brumliks Hinweis auf die Anmerkung von Hannah Arendt: eine völkerrechtlich relevante Veränderung ist festzustellen, - ja, aber ob und wohin das trägt, ist offen. Völkerrecht ist vor allem Gewohnheitsrecht - was bedeutet, alles wird auf palestinensischer Seite davon abhängen, wie, wem und wodurch es gelingen wird, dieses Konstrukt mit Leben zu füllen.

     

    Beiden Seiten kann das nur gelingen mit Einsicht in die Notwendigkeit und Unausweichlichkeit. Was nachhaltig hindert und das viel zu lang, die Geduld aller übrigen überstrspazierend, ist das Reiten auf hohen Rössern, die in Wahrheit, arge Schindmähren sind.

  • SD
    Stimme der Demokratie

    Schönes, abstraktes geschwurbel. Wer genau bitte auf palästinensischer Seite soll den mit Israel auf Augenhöhe verhandeln? Der nicht mehr legitime Präsident Abbas oder der noch nie legitim gewesene Hamas-Fürst?

    Welcher der als Beispiel genannten neu entstandenen Staaten wollte denn mit allen anderen Nachbarn gemeinsam den Staat, aus dem er hervorgehen sollte, zerstören? Nur nebenbei.

  • S
    SomaRiot

    Warum stellt Micha Brumlik sich dumm? Das ist schon in seinen Beiträgen gegen die Giordano-Bruno-Stiftung aufgefallen, die dermaßen überzogen waren, dass es geradezu peinlich wirkte.

     

    In diesem Beitrag verwischt und vermurkst er alles. Er könnte wissen, dass das Palästinensische Volk erst in Opposition zur jüdischen Staatsgründung erfunden wurde. Wenn man denn schon in Kategorien des 19. Jahrhunderts denken will. Auch schon in seinem Beitrag auf sueddeutsche.de lässt Brumlik jegliches Verständnis für israelische Sicherheitsinteressen und reale Gefahren des in der arabischen und islamischen Welt omnipräsenten Antisemitismus/Antizionismus missen. Er macht immer und ausschließlich die israelische Politik für die Perspektivlosigkeit der Entwicklung verantwortlich.

     

    Er reiht sich damit ein, in die Masse der dumpfen antizionistischen Reflexe, die der absolute Mainstream von rechtsextrem bis linksextrem unter Einschluss der Mitte darstellt - und sich dabei gleichzeitig als von fremden Mächten unterdrückt und zensiert vorkommt. Wenigstens Letzteres scheint bei Brumlik nicht der Fall zu sein.

     

    Ob er sich wirklich nur dumm stellt? Es ist geradezu grotesk in einer im Ausgangspunkt sachlichen Debatte über die Verbotswürdigkeit eines körperverletzenden religiösen Rituals die gigantische antisemitische Gefahr zu wittern und gleichzeitig jegliche reale Gefahr für das in Israel organisierte Judentum zu bagatellisieren.

  • P
    PeterWolf

    Sehr geehrter Herr Brumlik,

     

    durch ihre logische Argumentation haben sie sich natürlich als "Antisemit" und "Antizionist" geoutet.

    Blöd ist nur, dass die wirklichen "Antisemiten" gar nicht argumentieren, aber das interessiert ihre Kritiker leider auch nicht.

    Deren Denken ähnelt allerdings stark dem der "Antisemiten"

     

    Bleiben Sie stark!

  • N
    Nassauer

    Was sind "Nationalitäten"? Nun ja, die paar arabischen Nomaden, die sich "Palästinenser" nennen, sind es sicher NICHT!

  • MN
    Ma Ne

    "Noch Golda Meir war 1969 der Meinung, es gäbe keine Palästinenser." ??? Das ist auch heute noch so, und wird sich auch so bald nicht ändern. Es sind nun einmal Araber, die jede Menge eigener Staaten haben. Der Autor sollte sich mal fragen, wieso es eigentlich bis heute niemanden gibt, der sich als Jordanier fühlt, obwohl die sei 60 Jahren angeblich eine Nation sind. Palästina als Nation ist nicht vergleichbar mit Katalonien, eher mit dem Saterland.