Kolumne German Angst: Herzenswärme und Bier am Büdchen
Da wohin wir doch immer wieder zurückkehren, ist Stille eingekehrt. Wohin nun als Nächstes, mit Essen im Magen und unerfüllten Wünschen im Kopf?
Z um allerletzten Mal im alten Jahr habe ich, hoffentlich, die Arschkarte gezogen. Ich soll nämlich eine Kolumne schreiben – für den ersten Tag im neuen, verfasst aber im vergangenen Jahr. Ganz abgesehen von dem Unglück, das dies vermutlich mit sich bringt, entspricht es auch ganz der Jahresendzeitstimmung, wie sie uns pünktlich ereilt, im Bordbistro zwischen irgendeiner mittelgroßen Stadt irgendwo in der Mitte von Deutschland.
Zwischen weihnachtsmüden Menschen (oder dem, was nach dem emotionalem und kulinarischen Kahlschlag der Feiertage von ihnen übrig blieb), und dem was wir „Zuhause“ nennen. Die kaputten ICE-Kleinkinder sind so, wie wir uns bloß fühlen dürfen: überdreht und familienmüde, magenkrank und hungrig, und in ihrer Bedürftigkeit nach Verständnis und Geborgenheit ganz fundamental enttäuscht.
Da wo wir weggezogen sind, und wohin wir doch immer wieder zurückkehren, ist Stille eingekehrt. Schlechtes Essen und gute Drinks: eine kräftezehrende Kombination. Von unseren Luftbetten in schlecht geheizten Jugend-zu-„Arbeitszimmern“-umgeräumten Gästedomizilen starren wir auf die stille, schneelose Welt. Was bleibt uns sonst, im kilometertiefen Funkloch der elterlichen Wohnung?
In den mittelgroßen Wohnzimmern auf mittelguten Couchgarnituren sitzend, sprengen die BewohnerInnen mit Händen wie Schraubstöcken Wallnussköpfe. Jeder gibt zu guter Letzt dem Druck nach. Was diese Metapher nun bedeuten soll? Keine Ahnung. Aber zum Ende des Jahres darf man sich ja alles mögliche Halbgare erlauben.
Strangulierte Nikoläuse
Die Straßen der mittelgroßen Städte jedenfalls: leer. Herzenswärme wie Bier: nur noch in Büdchen, die „Oase“ heißen. Oder „Laternchen“. „Paradies-Eck“. Die Krankenhäuser und Psychiatrien übervoll mit Selbsteinweisungen und gescheiterten Suizidalen. An den Strommasten und Laternenpfosten der mittelgroßen Straßen jenseits des Marktplatzes baumeln strangulierte Nikoläuse, gefallene Sterne und Schlitten, deren Kufen steil abwärts zeigen, im Begriff mitsamt Rentier auf die verkehrsberuhigte Straße zu stürzen, um die Passantinnen und Verzweiflungsflaneure mit Geschenkequadern zu erschlagen.
Unter diesem Baldachin der nicht eingehaltenen Versprechungen und unerfüllten Wünsche schleppen sich Verbliebene wie Zurückgekehrte durch den letzten Rest des Jahres. Wie jedes Jahr hatten sie pünktlich zum 24. Dezember festgestellt, dass die schwarze Welle, die sich das ganze Jahr lang langsam über ihnen aufgetürmt hat, einfach nicht hinabstürzen will. Ewig beschattet sie ihr Gemüt, eine riesige Gewitterwolke, über dem Kopf festgeschraubt wie der Heiligenschein über den Holzköpfen des ramponierten Krippenspiels in der Nachbarstraße.
Irgendwie bin ich jetzt vom Thema abgekommen. Auch hier jedenfalls, wo ich schreibe, neigt sich das Jahr dem Ende zu. Wir sehen uns auf der anderen, auf der besseren Seite.
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