Kolumne Fremd und befremdlich: Gescheiterte Verkehrsplanung
Die Unfälle, die Aggressionen, die Scheißluft: Der Verkehr in Hamburg muss dringend anders werden. Breitere Radwege könnten helfen.
S eit wenigen Tagen ist das E-Roller-Fahren erlaubt, je nach Land mit unterschiedlichem oder auch erst einmal gar keinem Konzept. Es ist ja so, dass das E-Roller-Fahren noch nicht erprobt ist. Die einen sehen das Problem in herumliegen gelassenen Rollern, die anderen haben Angst davor, auf dem Fußweg oder der Straße bedrängt zu werden: Der alte Ärger der Fußgänger und Autofahrer wegen des Radfahrers, der überall stört, sowohl auf der Straße als auch auf dem Fußweg.
Radwege sind ja meistens nichts anderes als ein Streifen Farbe. Ganz ehrlich: Welcher Mensch – ich kenne keinen – interessiert sich dafür? Welcher Mensch soll einen Streifen Farbe zu seinen Füßen respektieren? Autofahrer tun es nicht, Radfahrer tun es nicht und Fußgänger tun es schon gar nicht.
Fußgänger warten an Ampeln auf dem Radweg. In Trauben warten sie auf dem Radweg. Sie sind nicht willig, hinter dem Streifen zu warten, und der Radfahrer muss auf seinem Weg so oft um die Fußgänger, die Hunde und Kinder herumfahren, die auf dem Radweg laufen und warten und parken, dass bald für ihn dieser rote Streifen jede Bedeutung verliert. Es funktioniert einfach nicht, liebe Verkehrsplaner.
Wenn die Stadt Hamburg sich jetzt Gedanken darüber macht, wie mit Rollern umzugehen ist, die zu Haufen irgendwo in der Gegend herumliegen, dann möchte ich diesen Menschen sagen: Das ist das kleinste Problem. Haufen von Rollern in Parkanlagen, an Bushaltestellen und auf Bürgersteigen sind nicht schön. Aber wie, wenn schon jetzt kein Platz auf den winzigen, schmalen und auch von jedermann ignorierten Pseudoradwegen für die Radfahrenden ist, wie sollen dann zusätzlich noch diese Tausenden von erwarteten Rollern welchen finden?
ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Das Dorf“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.
Man hat in den vergangenen Jahrzehnten versäumt, die städtische Infrastruktur dem Radverkehr anzupassen, und es ist wohl erlaubt, den Gedanken zu äußern, dass es der hamburgischen Luft zuträglich gewesen und es durchaus also wünschenswert gewesen wäre, wenn nicht nur eine Bedarfsanpassung erfolgt wäre – sondern durch ein vorbildliches Radwegenetz einer Entwicklung Vorschub geleistet worden würde: hin zum vermehrt emissionsfreien Verkehr. Die Umstände in der Stadt verschärfen den Ton zwischen den Verkehrsteilnehmern. Gerade erst ist in Hamburg wieder eine Frau von einem abbiegenden Lkw überfahren worden. Sie war nicht gesehen worden. Die Fahrradfahrer werden nicht gesehen, so wenig wie die kleinen Kinder.
Auch die Rollerfahrer werden auch nicht gesehen werden. Sie sind so klein, und es nützt ihnen auch nichts, wenn sie sich an die Verkehrsregeln halten. Die Verkehrsregeln sind für den Arsch, diesen Eindruck gewinne ich immer mehr. Denn wenn ich – als Radfahrerin – grün habe und eine Straße geradeaus überquere und dann von einem abbiegendem Lkw überfahren werde, kann ich mir noch aus dem Jenseits die Stimmen derer anhören, und ich schätze, sie dringen bis ganz, ganz weit, diese keifenden Stimmen: Ich sei selber schuld, weil ich nicht gehalten und dem stärkeren Lkw die Vorfahrt gelassen habe.
Einmal möchte ich diese stets Radfahrern und Kindern gegebene Empfehlung einem Autofahrer geben können: Sie sehen vor sich eine grüne Ampel? Halten Sie an. Es könnte sein, dass jemand regelwidrig vor ihnen abbiegt. Also halten sie an jeder grünen Ampel erst mal an.
Die Elektroroller werden uns, sollte es wirklich zu so einem Run kommen, vor allem eines bringen: noch mehr Enge auf den Radwegen und Bürgersteigen, auf Plätzen und Wegen, und natürlich auch mehr Unfälle. Ich hoffe nur, dass gleichzeitig vielleicht die Befürworter von breiteren Radwegen zunehmen. Dass die Anzugträger auf ihren Röllerchen die Stadt ein wenig anders wahrnehmen und die Schwierigkeiten erkennen. Denn wir leben ja alle hier und müssen atmen, diese Scheißluft, die uns alle krank macht. Diese Unfälle, die Aggressionen im Verkehr, was uns auch alles krank macht. Es muss dringend anders werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe