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Kolumne Fremd und befremdlichUnangebrachte Demut

Kolumne
von Katrin Seddig

Ich freue mich nicht über das Frauenwahlrecht. Die, die sich darüber freuen, sind demütig. Und dazu bin ich nicht bereit.

Festakt zu 100 Jahre Frauenwahlrecht, in diesem Fall nicht in Hannover, sondern in Berlin Foto: dpa

N iedersachsen feiert 100 Jahre Frauen­wahlrecht mit einem Festakt und mit Ausstellungen zur Geschichte des Frauenwahlrechts in Hannover und Lüneburg. Das ist schön.

Aber wer wollte sich heute noch dagegen aussprechen? Auch der Mann, der täglich den „Genderwahn“ anprangert, spricht sich nicht mehr gegen das Frauenwahlrecht aus. Das Frauenwahlrecht ist ihm ziemlich egal. So wie es ihm egal ist, dass die Frau Auto fährt, ein Girokonto hat, ein Bewerbungsgespräch führt oder Hosen trägt. Dies alles sind Dinge, die sind auch für den härtesten „Männerrechtler“ Selbstverständlichkeiten. Da will er gar nicht mehr dran rütteln.

Soll ich mich heute darüber freuen, dass ich wählen darf? Es macht mich, wenn ich dar­über nachdenke, eher wütend, dass ich als Frau irgendwann einmal nicht das Recht zur Wahl hatte. Vielleicht ist das ein Grund, daran zu erinnern, damit wir uns die Wut bewahren? Denn freuen können wir uns doch darüber nicht.

Freuen konnten sich vielleicht die Frauen, die damals kämpften, freuen konnten sie sich über einen Erfolg ihrer Bewegung. Aber sollen wir uns heute darüber freuen, dass wir wählen dürfen? Dass wir Rechte haben? Ich bin dazu nicht bereit. Ich freue mich nicht dar­über. Die sich darüber freuen, die sind demütig.

Warum soll es mich froh machen, dass es anderen Frauen schlechter geht?

Katrin Seddig ist Schrift-stellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Das Dorf“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen. Dies ist ihre 250. Kolumne in der taz.

Ich bin den Frauenrechtlerinnen dankbar, dass sie sich für mich eingesetzt haben, aber ich bin nicht der Gesellschaft dankbar für mein Wahlrecht. Ich bin nicht dankbar, dass ich als Frau dieselben Rechte habe wie ein Mann. Soll ein freigelassener Sklave dankbar für seine Freiheit sein? Soll ein Mensch dankbar sein, dass er nicht misshandelt wird? Und wem? Gott? Der Gemeinschaft?

Ich lese immer wieder, wenn es um Gleichberechtigung geht, dass Frauen hier in Deutschland doch dankbar sein sollen, weil sie hier Auto fahren dürfen, weil sie hier nicht verschleiert sein oder ihren Mann um Erlaubnis fragen müssen, wenn sie eine Arbeit anfangen. Dass sie froh sein sollen, dass sie hier und nicht in einem Land leben, in dem es den Frauen schlechter geht.

Dafür sollen diese Frauen, die sich für Gleichberechtigung einsetzen, dankbar sein, anstatt sich zu beschweren. Das lese ich immer wieder in sozialen Netzwerken, in den Kommentaren, wenn es um irgendein Thema geht, in dem es um die Ungleichbehandlung von Frauen und Männern geht.

Schräge Logik

Froh sollten die Frauen sein. Und froh bin ich dann nicht. Denn warum soll es mich froh machen, dass es anderen Frauen schlechter geht als mir? Warum soll ich aufhören, mich um mich zu sorgen, um meine Rechte zu streiten? Weil, im Verhältnis gesehen, meine Sorgen gering sind? Das ist die Logik?

Dankbar sollen Frauen sein. Schätzen können, was sie haben. „Frauen leben durchschnittlich zehn Jahre länger als Männer. Sie beziehen dadurch auch länger Rente. Sie brauchen keine schweren körperlichen Arbeiten zu verrichten. Was wollen sie noch?“ (Aus einem Kommentar) Das fragt sich der Mann.

Was wollen diese Frauen denn noch? Ich kann es ihm sagen: Lieber Mann aus der Kommentarspalte, ich will alles. Alles, was du hast, alles, was du darfst, ohne in der Gesellschaft dafür angemacht zu werden, das will ich auch haben. Nichts soll es mehr geben, das du als Mann darfst und ich nicht.

Macht der Gewohnheit

Ich will dafür weder dankbar sein noch mich freuen müssen. Ich will vielleicht sogar so lange zornig bleiben, bis wir alle auf dieser Welt vollkommen vergessen haben, dass Frauen und Männer jemals unterschiedliche Rechte hatten. Dass es jemals unterschiedliche Normen und gesellschaftliche Zwänge für unterschiedliche Geschlechter gegeben hat.

In diesem Zusammenhang ist es vielleicht doch gut, sich an die Einführung des Frauenwahlrechts zu erinnern. Wir sehen, wie Dinge, die damals unerhört waren, uns heute gewöhnlich erscheinen. Wir haben uns daran gewöhnt, auch die Männer. Wir finden es gar nicht mehr komisch oder falsch. Wir haben uns alle mitein­ander daran gewöhnt. Das ist das Ziel.

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Schriftstellerin
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9 Kommentare

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  • Traurig, dass es immer noch so ein Thema ist...

  • Interessantes "Männerbild" - bzw Stereotyp. Und interessant was Feminismus noch immer auslöst in den Menschen. Ich glaube, dass die Autorin nichts anderes ausdrücken wollte, als das, was du auch schreibst. Nämlich wie unsinnig diese Stereotype sind, und das entsprechend jeder Mensch dieselben Rechte, Pflichten, Chancen, Möglichkeiten und so weter haben sollte. Ich finde den Artikel sehr gelungen.

    • @BlackRobin:

      Die Antwort bezog sich auf den Kommentar von Mowgli.

  • Zitat: „Lieber Mann aus der Kommentarspalte, ich will alles. Alles, was du hast, alles, was du darfst, ohne in der Gesellschaft dafür angemacht zu werden, das will ich auch haben. Nichts soll es mehr geben, das du als Mann darfst und ich nicht.“

    Ja, genau, lieber Mann aus den Kommentarspalten: Als Frau will ich alles, was du darfst oder hast: Ich will früher sterben, als Soldat Menschen töten, auf Autobahnen in den Tod rasen, meine Mitmenschen ausbeuten, die Tropenwälder abholzen, Untergebene begrabschen, das Klima ruinieren, Migranten im Mittelmeer ersaufen lassen, Gefangene in ihrer Zelle verbrennen – kurz: ich will Macht haben, um sie missbrauchen zu können.

    Okay, Ende des Sarkasmus. Keine Angst, Leute, das war natürlich gelogen. Das alles will ich selbstverständlich nicht. Ich bin als Frau inzwischen nämlich frei genug, selbst zu entscheiden, wonach ich greifen möchte und wovon ich meine Finger lasse. Ich muss mich nicht an männlichen Arschlöchern orientieren. Ich kann meine Wünsche mit meiner Vernunft in Einklang bringen. Denn siehe da: Ich habe eine. Wenn ich mich also überhaupt wem unterwerfe, dann der Vernunft. Und wenn das im Einzelall dazu führt, dass Steinzeit-Machos mich zu dissen versuchen, scheiße ich drauf. Die haben mir gar nichts zu sagen. Und wisst ihr was, liebe taz-Leser*innen? Darüber bin ich verdammt froh. Darüber freue ich mich. Diebisch. Und ich bin dankbar dafür. Ich danke jenen Frauen (und Männern), die ihr Leben riskiert oder sogar verloren haben, damit ich frei sein kann. Und wenn ich so drüber nachdenke, werde ich es diesen Leuten bis an mein Lebensende schuldig sein, nicht Schindluder zu treiben mit meiner Freiheit. Weil: Wenn ich es tue, werde ich sie wieder verlieren, meine Freiheit. Und zwar völlig zu recht.

    • @mowgli:

      …anschließe mich.

    • 9G
      90946 (Profil gelöscht)
      @mowgli:

      Seh ich auch so.

  • Ja wie*¿* ” Die sich darüber freuen, die sind demütig.“



    &



    “Denn freuen können wir uns doch darüber nicht.“ Geht’s noch? Wie kommens frau auf dieses schmale Brett? Im Gegenteil. Ihr Geschwurbel.



    Sie eher - sorry - sans a weng toxisch.

    Mal aus was früher -



    Ein lübscher Bürgerbrief von 1800+



    Hängt bei mir gerahmt an der Wand.



    Darüber freu ich mich - wie alle meine Altvorderen väterlicherseits. Liggers.



    Demütig aber - waren diese selbstbewußten Bäuerinnen & Bauern.



    Aber gerade - nun wirklich nicht. Nie.



    Warum auch*¿*Hatten sie - doch vorher wie hinterher die Arbeit gemacht.



    Den Schädel & die Arbeitskraft “hingehalten!“ Newahr. Normal.

    Mit dieser lübschen Rechts-Urkunde War die rechtlose Zeit zuende!



    Waren sie doch bis dato - bis zu dieser Zeit Leibeigene - von verprassenden verschwenderischen Grafen derer van....xyz.! Das - war - Zuende. •

    Weil sie als dero Adlige Leibeigene an die reiche Stadt Lübeck Verpfändete wg Zahlungsunfähigkeit an Lübeck gefallene - Nunmehr qua lübschem Stadtrecht mit einem Schlag/Federstrich - Freie lübsche Bürger. Was sie konsequent genutzt haben. Genau darum aber geht’s bei allen Rechten. Diese konkretisieren & sich Anverwandeln. Demut*¿*Ach was!

    & Dess - für Spätgeborene - wa!



    Lange Jahre vor den - & ostelbisch weitestgehend eh nie umgesetzten - Stein-Hardenbergschen Reformen.

    So geht das.

    Demütig? Hie wie da! Wieso dat dann?

    kurz - Ihr Pappkameradenaufbau.



    Geschenkt. Ja Albern. Recht ist immer Gewährtes - Zugeschriebenes. Newahr.



    Nur - meist religiös verschwiemelte Naturrechtler wollen anderes glauben machen. Anyway. Ändern tut‘s eh nix.

    & Verzeihung - Aber. Leider Leider -



    Ihr‘s - ist vielmehr ein sich opferrolliges Kleinmachen - ohne Not - doch doch -



    & - Sorry - Verstand - mit Verlaub.

  • "Ich kann es ihm sagen: Lieber Mann aus der Kommentarspalte, ich will alles."

    Geht es etwa konkreter? Dann könnte man auch darüber diskutieren.



    Aber vielleicht wollen wir ja einfach zornig sein.

    • @Gastnutzer 42:

      Eigentlich ist "alles" schon sehr konkret. Ich wüsste nicht, was noch konkreter wäre als "alles". Gleichberechtigung. Gleichbehandlung. Behandlung als Individuum. Alles.